VG Weimar

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Zitieren als:
VG Weimar, Beschluss vom 04.09.2008 - 5 E 20138/08 We - asyl.net: M14659
https://www.asyl.net/rsdb/M14659
Leitsatz:

Ablehnung eines Eilantrags gegen eine Dublin-Überstellung nach Polen, da die (im 6. Monat schwangere) Antragstellerin nicht dargelegt habe, dass sie auf die Unterstützung ihres in Deutschland (mit Aufenthaltserlaubnis) lebenden Ehemannes angewiesen ist.

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Abschiebungsanordnung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, vorbeugender Rechtsschutz, Drittstaatenregelung, Verfassungsmäßigkeit, normative Vergewisserung, Polen, Verfahrensrichtlinie, Verordnung Dublin II, Familienangehörige, Abschiebungshindernis, subsidiärer Schutz, Schwangerschaft, Ehegatte, Ehemann, Dublin II-VO, Dublinverfahren,
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AsylVfG § 27a; AsylVfG § 34a Abs. 2; VO EG Nr. 343/2003 Art. 7; VO EG Nr. 343/2003 Art. 14; VO EG Nr. 343/2003 Art. 15 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Der Antrag ist als Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO als Sicherungsanordnung zulässig.

Das Bundesamt hatte bereits zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bei Gericht das Verfahren zur Abschiebung der Antragstellerin in den nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 - VO Nr. 343/2003/EG - (im Folgenden Dublin II-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat eingeleitet. Polen hat dem Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben vom 22. Juli 2008 stattgegeben.

Da laut Auskunft des Bundesamtes nunmehr der Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 27a AsylVfG unmittelbar bevorsteht oder gar bereits erfolgt ist, ist das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin gegeben.

Der Antrag ist auch insoweit zulässig, als das § 34a Abs. 2 AsylVfG bestimmt, dass die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat, der auf dem Wege des § 27a AsylVfG - wie hier - ermittelt worden ist, nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden darf.

Entscheidend für den verfassungskonformen Ausschluss des Eilrechtsschutzes mit Wirkung für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist, ob das angerufene Gericht davon ausgehen kann, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylVfG vorliegen. Dies ist nach der vorliegend zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zur Drittstaatenregelung) dann aber nicht der Fall, wenn die Bundesrepublik Deutschland aus verfassungs- oder konventionsrechtlichen Gründen Schutz zu gewähren hat, weil dessen Gewährung durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und somit nicht zu den Regelfällen des § 34a AsylVfG gehören, für die Eilrechtsschutz nicht in Frage kommt (BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938, 2315/93 - BVerfGE 94, 49, 99).

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt zur Überzeugung des Gerichts eine Abweichung vom Regelfall bereits nicht vor.

Das Bundesverfassungsgericht bildet beispielhafte Sonderfälle, deren gemeinsames Kennzeichen ist, dass bei ihrem Vorliegen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat unzulässig wäre (vgl, BVerfGE. a.a.O., S. 99). Hierzu gehören etwa die drohende Todesstrafe im Drittstaat, sonstige Ausnahmesituationen, aber auch, dass der Drittstaat - etwa aus politischer Rücksichtnahme gegenüber dem Herkunftsstaat sich des Flüchtlings ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen könnte.

Davon ausgehend, dass es sich bei den Mitglied Staaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i.S.d. Art. 16 a Abs. 2 GG bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zu Grunde liegenden normativen Vergewisserungskonzepts davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) grundsätzlich sichergestellt ist. Zudem beruht die Dublin II-VO wie jede auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK sowie der EMRK in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und 12 der Dublin II-VO und Art, 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EGV).

Das erkennende Gericht hält die oben aufgeführten Sonderfälle - erstens - für nicht abschließend und - zweitens- grundsätzlich auch unter der Bedingung eines verfahrensrechtlich abgesicherten europäischen Asylrechts auf die vorliegende Sachlage übertragbar.

Nach dieser Maßgabe lässt sich vorliegend die der einstweiligen Anordnung zugrundeliegende Abwägung dahin gehend fassen, dass deren Erlass dann notwendig ist, wenn dem jeweiligen Antragsteller nach der Abschiebung nach Polen dort insbesondere ein die europäische Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326 S.13) verletzendes Verfahren droht.

Dies hat die Antragstellerin bereits nicht gerügt, noch sind insoweit Hinderungsgründe ersichtlich.

Da die Antragstellerin darüber hinaus aber auch gegen den Vollzug der Abschiebung gerichtete humanitäre und persönliche Gründe geltend macht, ist auf dieser Grundlage gleichfalls eine Vergewisserung vorzunehmen.

Ein Anspruch aus dem Art. 7 Dublin II-Verordnung scheidet bereits aus, da der Ehemann der Antragstellerin nicht den Status als Flüchtling (nach § 60 Abs. 1 AufenthG) hat, bei diesem ist lediglich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG festgestellt worden. Art. 14 Dublin II Verordnung scheidet bereits deswegen aus, weil die Antragstellerin nicht in zeitlicher Nähe ihren Asylantrag zu dem ihres Mannes gestellt hat.

Letztlich verbleibt es bei der Ermessensnorm des Art. 15 Dublin II-Verordnung und hier insbesondere Abs. 2, der Schwangerschaft als Schutzgut benennt. Mit dieser Ermessensfrage hat sich die Antragsgegnerin jedoch auch in zutreffender Weise auseinandergesetzt. Insbesondere greift Art. 15 Abs. 2 Dublin II-Verordnung vorliegend nicht durch. Zwar ist die Antragstellerin nach ihrem Bekunden schwanger, jedoch hat sie die weitere Voraussetzung, dass sie auf Unterstützung angewiesen ist nicht dargelegt. Hierzu wurde lediglich dargelegt, dass sich die Anwesenheit der Antragstellerin für den Ehemann positiv auswirken könnte. Diesbezüglich wurde gleichfalls auch keine Betreuungsnotwendigkeit dargetan. Letztlich fehlt es auch an der weiteren Voraussetzung, dass die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat. Dies meint den Fall, dass Familien sich im Herkunftsland in unterschiedlicher zeitlicher Folge auf die Flucht machen. Hier war es aber so, dass der Ehemann der Antragstellerin in sein Herkunftsland zurückkehrte, um die familiäre Bindung erst zu begründen, und dann gemeinsam mit seiner Frau in die Bundesrepublik zurückkehrte. Je nach Betrachtung ist auch in jedem Fall an der familiären Bindung zu zweifeln. Stellt man allein auf den formalen Akt Eheschließung ab, erfolgte diese kurz vor der Ausreise der Antragstellerin, so dass von einer Bindung noch nicht gesprochen werden kann. Jedoch auch wenn man nicht allein auf den formalen Eheschließungsakt abstellt, kann nicht von einer familiären Bindung die Rede sein, da die Kontakte der jetzt Eheleute sich auf ganz wenige tatsächliche Kontakte beziehen müssen, da der Ehemann sich ja in der Bundesrepublik in seinem Verfahren und seiner Behandlung befunden haben muss. [...]