VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 16.09.2008 - 5 ZB 07.243 - asyl.net: M14612
https://www.asyl.net/rsdb/M14612
Leitsatz:

Die deutsche Staatsangehörigkeit eines Kindes geht nicht gem. § 25 Abs. 1 StAG verloren, wenn die Wiedereinbürgerung im Wege des sog. Erstreckungserwerbs im Rahmen der Wiedereinbürgerung der Eltern erfolgte, aber kein ausdrücklicher Antrag auf Wiedereinbürgerung des Kindes gestellt wurde (Bestätigung der Rspr. des Senats); Akten des türkischen Generalkonsulats sind als Beweismittel regelmäßig unerreichbar.

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, deutsche Staatsangehörigkeit, Verlust, Wiedereinbürgerung, Türken, Türkei, Erstreckungserwerb, Antrag, Sachaufklärungspflicht, Auslandsvertretung, Mitwirkungspflichten, Rechtshilfe, Amtshilfe, Beweismittel, Erreichbarkeit
Normen: VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1; StAG § 25 Abs. 1; StAG § 19 Abs. 2; StAG § 37 Abs. 1; AufenthG § 82 Abs. 1
Auszüge:

Die deutsche Staatsangehörigkeit eines Kindes geht nicht gem. § 25 Abs. 1 StAG verloren, wenn die Wiedereinbürgerung im Wege des sog. Erstreckungserwerbs im Rahmen der Wiedereinbürgerung der Eltern erfolgte, aber kein ausdrücklicher Antrag auf Wiedereinbürgerung des Kindes gestellt wurde (Bestätigung der Rspr. des Senats); Akten des türkischen Generalkonsulats sind als Beweismittel regelmäßig unerreichbar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht durchgreifen (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

1. An der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Verlusttatbestand des § 25 Abs. 1 StAG in Bezug auf den Kläger nicht erfüllt ist.

a) Der Beklagte verweist darauf, die Regelung des § 25 Abs. 1 StAG gehe vom Konzept der Familieneinheit aus. Der Tatbestand des § 25 Abs. 1 StAG sei bereits dann erfüllt, wenn die Eltern im Rahmen ihres eigenen Erwerbs einer ausländischen Staatsangehörigkeit ihren Willen bekundeten, dass neben ihnen auch ihre Kinder die ausländische Staatsangehörigkeit erwerben sollten. Dabei sei es unmaßgeblich, dass eine solche Willensbekundung wegen des im Recht des ausländischen Staates vorgesehenen Erstreckungserwerbs für den Staatsanghörigkeitserwerb durch die Kinder nicht ursächlich werde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinen den Beteiligten bekannten Urteilen vom 14. November 2007 (Az. 5 B 06.2769, 5 B 05.2958 und 5 B 05.3039; sämtlich in juris veröffentlicht) die Auffassung vertreten, dass der Staatsangehörigkeitsverlust nach § 25 Abs. 1, § 19 Abs. 2 StAG auch bei minderjährigen Kindern eine Ursächlichkeit des Antrags voraussetzt und mithin entsprechend dem allgemeinen Grundsatz bei einer ausschließlich durch das Gesetz bewirkten Einbürgerungserstreckung ausscheidet. Der für die Gegenansicht allein angeführte Grund, anderenfalls wäre der vom Gesetz für Sorgeberechtigte und Kinder gemeinsam gewollte Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit unmöglich (Makarov/v. Mangoldt, a.a.O., RdNrn. 43 zu § 25 RuStAG), kann nicht überzeugen. Denn ein solches Konzept der Familieneinheit beim Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit liegt § 25 Abs. 1, § 19 Abs. 2 StAG gerade nicht zugrunde. Indem das Gesetz die Verlustfolge an den für jeden Familienangehörigen gesondert zu beurteilenden Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit auf Antrag knüpft, nimmt es hin, dass sich die staatsangehörigkeitsrechtlichen Verhältnisse zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern unterschiedlich entwickeln können, je nachdem ob ein Antragserwerb erfolgt oder nicht. Damit aber fehlt es an einem tragfähigen Grund, bei Minderjährigen von dem Erfordernis einer Ursächlichkeit des Antrags für den Staatsangehörigkeitserwerb abzusehen. Die bloße Willensbekundung der Eltern kann den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit mit seinen weitreichenden Folgen nicht rechtfertigen, wenn das Recht des aufnehmenden Staates ihr keinerlei rechtliche Bedeutung beimisst und die Einbürgerungserstreckung zwingend auf die minderjährigen Kinder vorschreibt, ob die Eltern das wollen oder nicht. Denn zum einen knüpft § 25 Abs. 1 StAG die Verlustfolge nicht an die Willensbekundung als solche, sondern an den durch sie bewirkten und deshalb freiwilligen Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit. Zum anderen kommt einer elterlichen Willensäußerung im Fall des gesetzlichen Erstreckungserwerbs allenfalls geringe Aussagekraft zu, weil es typischerweise von Zufälligkeiten, wie etwa dem verwendeten Antragsformular oder der Beratung durch die Behörde des aufnehmenden Staates abhängt, ob die Eltern hinreichend deutlich erklären, die (gesetzlich zwingende) Erstreckung der eigenen Einbürgerung auf ihre minderjährigen Kinder zu "wollen" oder diese nur hinnehmen. Den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit an solche rechtlich unbeachtlichen und in ihrem Aussagegehalt zweifelhaften Willenbekundungen zu knüpfen, lässt sich mit der verfassungsrechtlich gebotenen Verlässlichkeit des Staatsangehörigkeitsstatus (vgl. BVerfG, U.v. 24.5.2006 - 2 BvR 669/04, BVerfGE 116, 24/44 f.) schwerlich vereinbaren.

Diese Urteile sind nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerden der Landesanwaltschaft Bayern durch das Bundesverwaltungsgericht (Beschlüsse vom 22. Mai 2008 Az. BVerwG 5 B 27.08, vom 12. August 2008 Az. BVerwG 5 B 25.08 und vom 15. August 2008 Az. BVerwG 5 B 26.08) rechtskräftig.

b) Entgegen der Auffassung des Beklagten unterliegt die angefochtene Entscheidung auch bei Zugrundelegung des Standpunkts des Verwaltungsgerichts, ein Antrag für das Kind müsse für den Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit nicht ursächlich sein (UA S. 7 f.), keinen ernstlichen Zweifeln hinsichtlich der ordnungsgemäßen Beweiswürdigung, der Richtigkeit der Subsumtion der vorgetragenen Umstände unter die gesetzlichen Voraussetzungen und der Anwendung der Grundsätze über die materielle Beweislast. Das Verwaltungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass kein Antrag beider Elternteile auf Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit für den damals minderjährigen Kläger gestellt wurde.

Mit der Rüge, das Verwaltungsgericht habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt, indem es die konkreten Umstände der Antragstellung im Einzelfall nicht aufgeklärt habe, macht der Beklagte geltend, das Urteilsergebnis sei wegen unvollständiger tatsächlicher Feststellungen ernstlich zweifelhaft. Es trifft indes nicht zu, dass das Verwaltungsgericht zur Aufklärung des Sachverhalts die Mitwirkungslast des Klägers nach § 37 Abs. 1 StAG i.V.m. § 82 Abs. 1 AufenthG beachten und auf die Beibringung ergänzender Auskünfte des Generalkonsulats hätte drängen müssen, weil den deutschen Behörden im Einzelfall die türkischen Akten nicht zugänglich sind. Denn die Annahme des Beklagten, die Konsulate würden den Umfang der Antragstellung – in einer über das im Schreiben des Generalkonsulats der Republik Türkei in Nürnberg vom 17. Juni 2005 erfolgte Maß hinausgehenden, konkret individuellen Weise – bestätigen bzw. entsprechende Kopien aushändigen (wobei im Ergebnis wohl nur das Letztere dem Beklagten genügen würde), geht fehl. Für das Verwaltungsgericht bestand auch kein Anlass für eine weitere Aufklärung von Amts wegen. Dies gilt umso mehr, als der Beklagte keinen Bezugsfall hat benennen können, in dem von türkischer Seite der Antrag auf Wiedereinbürgerung in die türkische Staatsangehörigkeit dem Betroffenen oder einer deutschen Stelle in Original oder Kopie zugänglich gemacht worden wäre. Selbst der im Parallelverfahren 5 B 05.3039 vom Auswärtigen Amt aufgezeigte und vom dortigen Kläger beschrittene Weg einer E-Mail-Anfrage an das türkische Generaldirektorat für Einwohner- und Staatsangehörigkeitswesen ist dort insofern erfolglos geblieben, als sich die Antwort des Generaldirektorats auf eine den konkreten Inhalt des Antrags offen lassende Information über den Ablauf der Entlassung und Wiedereinbürgerung beschränkte.

Ausländische Behörden sind nur dann zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet, wenn völkerrechtliche Vereinbarungen bestehen. Fehlen – wie hier – Vereinbarungen oder sonstige völkerrechtliche Regelungen kann diese nur auf diplomatischem Weg durch Vermittlung (der obersten Dienstbehörde und) des Auswärtigen Amts über die deutschen Auslandsvertretungen erbeten werden. Aus dem Grundsatz der völkerrechtlichen Höflichkeit ergibt sich dabei indes kein Anspruch (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, § 14 RdNr. 5; Geiger in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Auflage 2006, § 14 RdNr. 6 m.w.N.). Es ist mithin – da sich die Gründe für das Unterlassen einer Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen mit denen decken, die die Ablehnung eines förmlichen Beweisantrags rechtfertigen (Geiger, a. a.O., § 86 RdNr. 11) – davon auszugehen, dass der Antrag der Eltern auf Wiedereinbürgerung in den türkischen Staatsverband als Urkundsbeweis unerreichbar ist. [...]