LSG Niedersachsen-Bremen

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Zitieren als:
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.10.2008 - L 11 AY 111/08 ER u. - asyl.net: M14557
https://www.asyl.net/rsdb/M14557
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Asylbewerberleistungsgesetz, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Gemeinschaftsunterkünfte, Privatwohnung, Zuständigkeit, sachliche Zuständigkeit, Duldung, Wohnsitzauflage, deutsche Kinder, Schwangerschaft
Normen: SGG § 86b Abs. 2; AufnG § 2 Abs. 1; AufnG § 2 Abs. 2; AufnG § 2 Abs. 3; AufenthG § 61; AsylbLG § 3; AsylbLG § 10; GG Art. 1 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 4; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die gemäß §§ 172ff des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrages auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ist nicht begründet. Das SG Oldenburg hat diesen Antrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt. [...]

Nach § 2 Abs 1 des Niedersächsischen Gesetzes zur Aufnahme von ausländischen Flüchtlingen und zur Durchführung des AsylbLG (Aufnahmegesetz – AufnG) vom 11. März 2004 (GVBl S.100, i.d.F. des Gesetzes vom 13. Dezember 2007, GVBl S.710) sind die Landkreise und kreisfreien Städte für die Durchführung des AsylbLG im übertragenen Wirkungskreis zuständig. Abweichend von Abs 1 obliegt den vom Fachministerium zu bestimmenden Landesbehörden die Durchführung des AsylbLG für Personen, die in einer Aufnahmeeinrichtung des Landes oder in einer einer Aufnahmeeinrichtung angegliederten Gemeinschaftsunterkunft wohnen oder zu wohnen verpflichtet sind (Abs 2 Nr 1 AufnG). Gemäß § 2 Abs 3 AufnG können die Landkreise zur Durchführung der Aufgabe nach Abs 1 durch Satzung oder öffentlichrechtlichen Vertrag kreisangehörige Gemeinden und Samtgemeinden heranziehen (Satz 1).

Aus den zitierten Vorschriften ergibt sich, dass die Antragsgegnerin, die eine einer Aufnahmeeinrichtung angegliederten Gemeinschaftsunterkunft (§ 53 AsylVfG) betreibt, in der die Antragstellerin derzeit zu wohnen verpflichtet ist, nicht für die beantragte Zusicherung auf Übernahme der Kosten für eine eigene Wohnung zuständig ist.

Das Begehren der Antragstellerin läuft namentlich darauf hinaus, den Aufenthalt in der Gemeinschaftsunterkunft zu beenden und einen Aufenthalt außerhalb einer solchen Einrichtung kostenrechtlich sicherzustellen. Hierbei handelt es sich um den Sachleistungsanspruch auf Unterkunft im Sinne von § 3 AsylbLG. Für diesen Anspruch sind aber in Niedersachsen nach den zitierten landesrechtlichen Vorschriften i.V.m. § 10 AsylbLG die Landkreise und kreisfreien Städte zuständig, gegen die der Sachleistungsanspruch als zuständige Behörde zu richten ist (vgl. auch Beschluss des Nds. OVG vom 10. November 2003, 4 ME 476/03 in juris). Mithin wäre die von der Antragstellerin begehrte Zusicherung für die Kostenübernahme einer eigenen Wohnung nicht von der Antragsgegnerin, sondern vielmehr vom Landkreis bzw. der Stadt F. als nach dem AsylbLG örtlich zuständigem Leistungsträger zu erlangen. Bereits aus diesem Grund kann die begehrte einstweilige Anordnung keinen Erfolg haben.

Im Übrigen hat die Antragstellerin bislang auch nicht die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen für einen Aufenthalt außerhalb der Gemeinschaftsunterkunft hinreichend glaubhaft gemacht. Zu Recht hat das SG Oldenburg darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin verpflichtet ist, die Wohnsitzauflage (§ 61 AufenthG) zu befolgen. Diese Auflage in der Duldung vom 22. November 2007 ist bestandskräftig geworden. Zu Recht hat das VG F. im Beschluss vom 03. Juli 2008, Az. H. darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin die Aufhebung der Wohnsitzauflage nur über einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, der sich allerdings auf eine Ermessensreduzierung auf Null verdichtet haben müsste, beseitigen könnte. Diese Voraussetzungen liegen derzeit nicht vor. Erst dann, wenn der Antragstellerin nach der Geburt ihres deutschen Kindes eine Aufenthaltserlaubnis (gemäß § 28 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AufenthG) erteilt werden sollte, würde auch die mit der Duldung ausgesprochene Wohnsitzauflage entfallen. Dadurch würde auch dem Anspruch des Neugeborenen auf Freizügigkeit hinreichend Rechnung getragen werden. Zum heutigen Entscheidungszeitpunkt ist die Duldung allerdings noch bis zum 30. Oktober 2008 befristet. Eine Geburtsurkunde des Kindes ist bislang nicht beigebracht worden.

Im Übrigen ist auch kein anderer rechtlicher Gesichtspunkt erkennbar, aus welchem Grund sich der Anspruch der Antragstellerin auf eine Unterbringung außerhalb der Gemeinschaftsunterkunft zum heutigen Entscheidungszeitpunkt verdichtet haben könnte.

Ein solcher Rechtsanspruch lässt sich weder aus dem Grundrecht auf Menschenwürde (Artikel 1 Abs 1 GG), dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Abs 2 Satz 1 GG) noch dem Grundrecht der Mutter auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft (Artikel 6 Abs 4 GG) herleiten. Die Antragstellerin hat bereits nicht hinreichend glaubhaft dargelegt, dass ihr Gefährdungen für diese Rechtsgüter drohen könnten. Zwischenzeitlich hat die Antragstellerin ihr Kind in einer Klinik – außerhalb der Unterkunft der Antragsgegnerin – zur Welt gebracht. Die Antragsgegnerin hat die medizinische Betreuung während der Schwangerschaft und schließlich auch für die für Geburt in ausreichendem Maße sichergestellt. Die Antragsgegnerin hat glaubhaft dargelegt, dass Schwangere und jüngere Mütter in der Einrichtung der Antragsgegnerin professionell versorgt werden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Räumlichkeiten der Antragsgegnerin eine angemessene Versorgung nicht zuließen. Die seitens der Antragstellerin vorgetragene Stresssituation, die sich in der Schwangerschaft sicherlich verstärkt haben mag, kann allein nicht ausschlaggebend für die begehrte Zusicherung sein. Denn diese Stresssituation war geprägt durch die Sorge einer bevorstehenden Abschiebung. Schließlich folgt auch keine andere Einschätzung aus dem fachärztlichen Attest vom 07. Januar 2008. Dieses ärztliche Attest konnte weder eine hinreichende Suizidgefahr noch eine posttraumatische Belastungsstörung der Antragstellerin belegen (vgl Beschluss des VG Oldenburg vom 24. April 2008, Az. M.. Im Übrigen hat sich die Antragstellerin wegen des Aufenthaltes bei der Antragsgegnerin auch nicht mehr auf dieses Krankheitsbild bezogen.

Schließlich ist die Wohnsitzauflage derzeit auch nicht durch den familiären Schutz aus Artikel 6 GG obsolet geworden. Es liegen derzeit keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragstellerin ein familiäres Zusammenleben mit dem Kindesvater anstrebt. [...]