Eine formelhafte Begründung genügt nicht zur Ausübung des richterlichen Ermessens gem. § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG; die Wahrnehmung von Verfahrensrechten darf nicht zur Begründung von Abschiebungshaft herangezogen werden (hier: Vorlage von Attesten zur Haft- und Reiseunfähigkeit); begründet das Landgericht die Notwendigkeit der Abschiebungshaft mit der Weigerung, freiwillig auszureisen, darf es nicht von der persönlichen Anhörung absehen; es besteht begründeter Anlass zur Beantragung von Abschiebungshaft, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG vorliegen, so dass der Ausländerbehörde nicht die außergerichtlichen Kosten auferlegt werden können.
Eine formelhafte Begründung genügt nicht zur Ausübung des richterlichen Ermessens gem. § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG; die Wahrnehmung von Verfahrensrechten darf nicht zur Begründung von Abschiebungshaft herangezogen werden (hier: Vorlage von Attesten zur Haft- und Reiseunfähigkeit); begründet das Landgericht die Notwendigkeit der Abschiebungshaft mit der Weigerung, freiwillig auszureisen, darf es nicht von der persönlichen Anhörung absehen; es besteht begründeter Anlass zur Beantragung von Abschiebungshaft, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG vorliegen, so dass der Ausländerbehörde nicht die außergerichtlichen Kosten auferlegt werden können.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
In der Sache ist das Rechtsmittel begründet, weil die Entscheidungen beider Vorinstanzen nicht rechtsfehlerfrei sind, § 27 Abs. 1 FGG.
Zutreffend haben die Vorinstanzen angenommen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG vorlagen. [...]
Über diese Tatbestandsvoraussetzungen hinaus ist Anordnung der Haft in § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG durch das Wort "kann" in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt. Diese Ermessensausübung hat unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgebots im Hinblick auf den Eingriff in die persönliche Freiheit des Betroffenen unter Abwägung mit dem Zweck der gesetzlichen Vorschrift zu erfolgen, im Allgemeininteresse eine zügige Durchführung der vollziehbaren Abschiebung des Betroffenen zu sichern (Senat FGPrax 2004, 53 = NVwZ-RR 2004, 303; OLG München, Beschluss v. 6.7.2006 - 34 Wx 87/06, bei Melchior, Abschiebungshaft, Anhang). Die tatrichterliche Entscheidung muss die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gründe erkennen lassen. Das Rechtsbeschwerdegericht kann zwar nicht die sachliche Richtigkeit der tatrichterlichen Ermessensentscheidung nachprüfen. Zu überprüfen ist jedoch, ob der Tatrichter ein Ermessen überhaupt ausgeübt oder die Notwendigkeit dazu verkannt hat (OLG München, a.a.O.). Diejenigen Anforderungen, die an die Ermessenentscheidung bei der Anordnung der kleinen Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG zu stellen sind, hat der Senat in seinem Beschluss vom 06.11.2006 (15 W 299/06 = InfAuslR 2007, 159) zusammengefasst, auf den hier Bezug genommen wird. Diesen Anforderungen werden die Begründungen der Entscheidungen beider Vorinstanzen nicht vollständig gerecht.
Die Begründung der Entscheidung des Amtsgerichts beschränkt sich auf die Wiedergabe der Sachverhaltsdarstellung des Beteiligten zu 2) und die ergänzende Bewertung, nach Abwägung des dem Gericht zustehenden Ermessens sei die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung erforderlich. Die so gefasste Begründung geht über eine formelhafte Wendung nicht hinaus, weil sie nicht erkennen lässt, welche Umstände konkret in der Ermessensabwägung gewichtet worden sind.
Das Landgericht hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung ausgeführt, die Haftanordnung verstoße nicht unter dem Gesichtspunkt einer fehlenden Reise- bzw. Haftfähigkeit gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen müsse nämlich davon ausgegangen werden, dass der Betroffene haft- und reisefähig sei. Die von dem Betroffenen vorgelegten Atteste ließen eine abweichende Schlussfolgerung nicht zu. Diese tatsächliche Würdigung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Ausführungen des Landgerichts können jedoch in ihrem Zusammenhang dahin missverstanden werden, als habe die Kammer die positive Feststellung der Reise- bzw. Haftfähigkeit des Betroffenen als gewichtigen Gesichtspunkt heranziehen wollen, der im Rahmen der Ermessenausübung für den Erlass der Haftanordnung spricht. Eine solche Schlussfolgerung wäre bedenklich, weil dem Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen darf, dass er in Wahrnehmung seiner Verfahrensrechte im Rahmen seines tatsächlichen Vorbringens diesen Gesichtspunkt in das Verfahren eingeführt hat, mag auch das Landgericht eine Überzeugung von einer bestehenden Reise- bzw. Haftunfähigkeit des Betroffenen im Ergebnis nicht hat gewinnen können. Eine abweichende Bewertung wäre allenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Betroffene seine behauptete Reise- bzw. Haftunfähigkeit inszeniert hätte.
Entsprechende Feststellungen hat das Landgericht jedoch nicht getroffen; auch aus dem Akteninhalt ergeben sich für eine solche weitgehende Schlussfolgerung keine hinreichenden Anknüpfungspunkte.
Das Landgericht hat weiter ausgeführt, die Haftanordnung sei gerechtfertigt, weil davon ausgegangen werden müsse, dass der Betroffene, wenn er in Freiheit bleibe, zu der geplanten Abschiebung tatsächlich nicht zur Verfügung stehen werde. Diese Schlussfolgerung ergebe sich insbesondere daraus, dass er seinem Versprechen, das Bundesgebiet freiwillig zu verlassen, nicht nachgekommen sei. Der Senat hat in seinem bereits herangezogenen Beschluss vom 06.11.2006 hervorgehoben, dass der Tatrichter aus dem Gesamtverhalten des Betroffenen im Einzelfall die Schlussfolgerung ziehen kann, der Betroffene werde voraussichtlich sein Verhalten so einrichten, dass er zum Vollzug der Abschiebung nicht zur Verfügung stehen werde. Der Senat hat in diesem Zusammenhang insbesondere hervorgehoben, dass für diese Beurteilung die nach § 5 Abs. 1 FEVG auch im Beschwerdeverfahren vorzunehmende persönliche Anhörung des Betroffenen von tragender Bedeutung ist. Das Landgericht hat hier indessen davon abgesehen, den Betroffenen erneut persönlich anzuhören. Der dafür gegebenen Begründung, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen sei keine weitere Sachaufklärung zu erwarten, kann der Senat nicht folgen. Im Zusammenhang der Begründung der landgerichtlichen Entscheidung verbleibt nämlich als tragende Erwägung, die für die Haftanordnung spricht, nur noch der Gesichtspunkt, dass der Betroffene bislang nicht freiwillig ausgereist ist. Auf welchen Gründen dies beruht, insbesondere ob dem Betroffenen überhaupt die finanziellen Mittel für eine selbst organisierte Reise in sein Heimatland zur Verfügung standen, ist nicht festgestellt. Die Beschränkung der landgerichtlichen Entscheidung auf diesen einen Gesichtspunkt lässt aus der Sicht des Senats befürchten, dass die gerichtliche Ermessensentscheidung nicht mehr ausschließen kann, dass die Anordnung der Haft in erster Linie der Erleichterung des tatsächlichen Vollzugs der Abschiebung dient. Dies wäre indessen, wie der Senat in seinem Beschluss vom 06.11.2006 ausgeführt hat, vom Zweck der gesetzlichen Vorschrift nicht mehr gedeckt.
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Die Erstattung außergerichtlicher Kosten war nicht anzuordnen. Über die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten des Betroffenen ist nach § 16 FEVG zu entscheiden. Danach hat das Gericht, wenn es den Antrag der Verwaltungsbehörde auf Anordnung der Freiheitsentziehung ablehnt, zugleich die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Gebietskörperschaft aufzuerlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört, wenn das Verfahren ergeben hat, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrages nicht vorlag. Die Vorschrift findet im Falle der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung entsprechende Anwendung.
Ob ein begründeter Anlass zur Antragstellung vorgelegen hat, ist dabei nach dem Sachverhalt zu beurteilen, der von der Behörde zur Zeit der Antragstellung unter Ausnutzung aller ihr nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Erkenntnisquellen festgestellt werden konnte; ein schuldhaftes Verhalten von Verwaltungsbediensteten wird nicht vorausgesetzt (vgl. Senat, Beschluss v. 14.12.2005 - 15 W 381/05 -).
Nach diesem Prüfungsmaßstab hat eine Erstattungsanordnung zu unterbleiben. Wie festgestellt, lagen zum Zeitpunkt der Antragstellung die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG vor. Die Begründung des Antrags lässt mit dem Hinweis, der Beteiligte komme schon seit Jahren seiner Ausreisepflicht nicht nach, im Ansatz ein bei der Ermessensentscheidung verwertbares Element erkennen. Hätte die gerichtliche Ermessensentscheidung entsprechend den obigen Ausführungen danach auch in einem größeren Rahmen das Gesamtverhalten des Beteiligten zu 1) berücksichtigen müssen, wozu insbesondere auch weitere Feststellungen erforderlich gewesen wären, so wäre es in erster Linie Sache des Gerichts gewesen, im Rahmen der Amtsermittlungspflicht solche Tatsachen in das Verfahren einzuführen.
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