VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Urteil vom 26.11.2008 - 4 E 1652/07 - asyl.net: M14493
https://www.asyl.net/rsdb/M14493
Leitsatz:

Der Ausschluss der Altfallregelung gem. § 104 a Abs. 1 S. 1 Nr. 5 AufenthG setzt aktuelle Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen oder deren aktuelle Unterstützung voraus.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Altfallregelung, Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen, Demonstration, PKK, YEK-KOM, Kurdischer Elternrat e.V., Abwendung
Normen: AufenthG § 104a Abs. 1 S. 1 Nr. 5
Auszüge:

Der Ausschluss der Altfallregelung gem. § 104 a Abs. 1 S. 1 Nr. 5 AufenthG setzt aktuelle Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen oder deren aktuelle Unterstützung voraus.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat Anspruch auf die Erteilung, einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung steht für den Einzelrichter fest, dass auch die Voraussetzungen des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG erfüllt sind. Der Kläger hat keine Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen mehr und unterstützt diese auch nicht. [...] Der Kläger hat seit dem Jahre 2001 an keinerlei Aktivitäten der PKK mehr teilgenommen und ist Anfang des Jahres 2002 auch als Mitglied aus dem Kurdischen Elternrat e.V. in Fulda ausgeschieden. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat sich der Kläger zudem glaubhaft von den Aktivitäten der PKK und der ihr nahestehenden Organisationen distanziert. [...] Der Kläger hat offensichtlich, nachdem er die wahren Ziele und Aktivitäten, insbesondere der YEK-KOM und des Kurdischen Elternrats e.V. in Fulda kennengelernt hat, weitere Aktivitäten eingestellt. Für eine Abwendung von der PKK aus innerer Überzeugung spricht auch, dass der Kläger diesen Schritt noch vor Abschluss seines Folgeverfahrens vollzogen und damit die Erfolgsaussichten dieses Antrages gemindert hat. Aus den weit zurückliegenden angeblichen Aktivitäten des Klägers vor seiner Ausreise aus der Türkei lassen sich schon aufgrund der völligen Andersartigkeit der Lebenssituation dort und in Deutschland, des Zeitablaufs und des Umstands, dass der Kläger mehrere Jahre nach seiner Einreise keinerlei PKK-nahe Aktivitäten entwickelt hat, keine aktuellen Bezüge zur PKK herleiten.

Derartige aktuelle Bezüge sind entgegen der Auffassung des Beklagten jedoch erforderlich. Auch ist eine Distanzierung von früheren Aktivitäten möglich (vgl. Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Loseblatt, Stand: Januar 2008, § 104 a AufenthG, Rdnr. 49). Dafür spricht bereits die Verwendung der Zeitform des Präsens in § 104 a Abs. 1, Satz 1 Nr. 5 AufenthG.

Hätte der Gesetzgeber auch vergangene Aktivitäten einbeziehen wollen, so wäre dies sprachlich ohne weiteres möglich gewesen, wie § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes belegt. Auch handelt es sich bei § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AufenthG um eine Vorschrift der Gefahrenabwehr, nicht um eine strafrechtliche Sanktion, die eine nachträgliche Ahndung vergangener Aktivitäten zum Ziel hat. Aus gefahrenabwehrrechtlicher Perspektive können aber nur solche Bezüge Berücksichtigung finden, die das Bestehen einer aktuellen Gefahr begründen. Letztlich wäre es auch widersinnig, an den Bewerber um die relativ schwache Rechtsposition einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG strengere Anforderungen zu stellen, als an einen Einbürgerungsbewerber. Letzterem ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG der Nachweis möglich, dass er sich von früheren seiner Einbürgerung hindernden Bestrebungen abgewandt hat.

[...]