1. Die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 26 Abs. 4 AufenthG setzt voraus, dass der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist. Von dieser Voraussetzung ist - abgesehen von der in § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG getroffenen Sonderregelung - nur in den in § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG genannten Fällen abzusehen. Ein Rückgriff auf die allgemeine Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist nicht möglich.
2. Nach § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG ist von der Voraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nur zugunsten eines Ausländers abzusehen, der diese selbst aus den in § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG genannten Gründen - d.h. wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung - nicht erfüllen kann, nicht aber zugunsten eines den Kranken oder Behinderten pflegenden Dritten.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
Die zulässige Revision der Klägerin hat keinen Erfolg.
Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung ihres Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG ohne Verstoß gegen Bundesrecht verneint. [...]
Nach § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG darf eine Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen nur erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. Hierzu gehört auch die zwingende Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Wie das Berufungsgericht festgestellt hat und von der Revision auch nicht in Abrede gestellt wird, ist die Klägerin zur Sicherung ihres Lebensunterhalts weder gegenwärtig noch in absehbarer Zeit imstande.
Von der zwingenden Erteilungsvoraussetzung der Unterhaltssicherung ist - mit Ausnahme der hier nicht in Betracht kommenden Sonderregelung in § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG - nur im Rahmen der Vorschriften des § 9 Abs. 2 AufenthG abzusehen (1.). Ein Rückgriff auf die allgemeine Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist nicht möglich (2.). Die Notwendigkeit, von dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts abzusehen, ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK (3.).
1. Nach § 26 Abs. 4 Satz 2 AufenthG gelten für die Erteilung der in dieser Vorschrift geregelten Niederlassungserlaubnis die Regelungen des § 9 Abs. 2 Satz 2 bis 6 AufenthG entsprechend. Nach § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG wird von der Voraussetzung der Unterhaltssicherung abgesehen, wenn der Ausländer diese aus den in § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG genannten Gründen - d.h. wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung - nicht erfüllen kann. Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Klägerin nicht vor, da diese selbst nicht krankheits- oder behinderungsbedingt außerstande ist, ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern. Mit Recht hat das Berufungsgericht eine analoge Anwendung der Vorschrift auf den Fall, dass der Ausländer zwar nicht wegen einer eigenen Krankheit oder Behinderung, aber wegen der Pflege eines kranken oder behinderten Angehörigen zur Unterhaltssicherung außerstande ist, abgelehnt.
Hierfür spricht neben dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG insbesondere die gesetzgeberische Wertung, die Sicherung des Lebensunterhalts bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln im Ausländerrecht als eine Voraussetzung von grundlegendem staatlichen Interesse anzusehen (vgl. hierzu BTDrucks 15/420 S. 70 und Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - Rn. 21 - zur Aufnahme in die Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Diese bereits im Ausländergesetz 1990 getroffene Wertung wurde durch die Neuregelung des Aufenthaltsrechts im Zuwanderungsgesetz noch verstärkt, indem die Sicherung des Lebensunterhalts nunmehr nicht nur bei der Erteilung von Titeln zum Daueraufenthalt, sondern für alle Aufenthaltstitel von einem (Regel-) Versagungsgrund (vgl. § 7 Abs. 2 AuslG 1990) zu einer (Regel-) Erteilungsvoraussetzung heraufgestuft worden ist (vgl. § 5 Abs. 1 AufenthG). Aus dieser gesetzgeberischen Bewertung folgt, dass Ausnahmen von der Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG grundsätzlich eng auszulegen sind. Aus den Gesetzgebungsmaterialien zur Ausnahmevorschrift des heutigen § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG ergibt sich ebenfalls, dass diese nur Kranke und Behinderte selbst, nicht aber auch Dritte erfassen soll. Denn danach soll "behinderten Ausländern" eine Aufenthaltsverfestigung ermöglicht und verhindert werden, dass "Behinderte" benachteiligt werden, wenn sie wegen ihrer Behinderung nicht arbeiten können (vgl. BTDrucks. 15/420 S. 72). Nichtbehinderte Dritte werden in den Kreis derer, für die eine Ausnahme von der Voraussetzung der Unterhaltssicherung zu machen ist, hingegen nicht einbezogen. Dafür spricht auch der Hinweis der Gesetzesmaterialien auf das besondere Diskriminierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, das nur Behinderte selbst als Grundrechtsträger schützt, diese allerdings auch vor indirekter, mittelbarer Diskriminierung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 - BVerfGE 96, 288 301 ff.>; Eckertz-Höfer, in: Alternativkommentar zum GG, 3. Aufl., Art. 3 Abs. 3, Rn. 134, 138; zur mittelbaren Diskriminierung vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2008 - 2 BvL 6/07 - Rn. 49 - juris).
Eine indirekte Diskriminierung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG liegt hier schon deshalb nicht vor, weil die für die Pflege des behinderten Sohnes erforderliche Fortsetzung des Aufenthalts der Klägerin nicht von der Erteilung der beantragten Niederlassungserlaubnis abhängt, die Pflege vielmehr auch weiterhin aufgrund der der Klägerin erteilten und jeweils verlängerten befristeten Aufenthaltserlaubnis erbracht werden kann.
Eine Erstreckung der in § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG zugunsten Behinderter getroffenen Regelung auf die Klägerin kann auch nicht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in der Sache Coleman (Urteil vom 17. Juli 2008 - C-303/06 - NJW 2008, 2763 ff.) abgeleitet werden. Darin wurde der Schutzbereich des Diskriminierungsverbots wegen Behinderung zwar auch auf eine Mutter erstreckt, die - wie die Klägerin - die wesentlichen Pflegeleistungen für ihr behindertes Kind erbringt. Die Entscheidung bezieht sich aber nur auf das in der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303, S. 16) verankerte spezielle Verbot der Diskriminierung. Zudem betrifft die Entscheidung nur den Fall der Benachteiligung der pflegenden Mutter, während es im vorliegenden Fall um die Frage der Erstreckung einer Privilegierung (Absehen vom Erfordernis der Unterhaltssicherung) geht. Im Übrigen hat der Gerichtshof in seiner Entscheidung in der Sache Bartsch hervorgehoben, dass sich das Diskriminierungsverbot nach Art. 13 EG (dort: wegen des Alters) nicht auf nationale Regelungen bezieht, die keinen gemeinschaftsrechtlichen Bezug haben, etwa weil sie nicht der Umsetzung einer Gemeinschaftsrichtlinie dienen (vgl. Urteil vom 23. September 2008 - C-427/06 - NZA 2008, 1119 f. <Rn. 25>). Die von der Klägerin erstrebte Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG weist keinen solchen gemeinschaftsrechtlichen Bezug auf, dient insbesondere nicht der Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben zum Ausländerrecht.
2. Von der zwingenden Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts kann auch nicht durch Rückgriff auf die Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen werden.
Mit Recht hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG als stärkste Form der Aufenthaltsverfestigung durch Verweis auf § 9 Abs. 2 AufenthG von besonderen Integrationserfordernissen abhängig macht, die über die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG hinausgehen. Anders als die Aufenthaltserlaubnis ist die Niederlassungserlaubnis unbefristet und inhaltlich grundsätzlich unbeschränkt, sofern nicht ausnahmsweise Nebenbestimmungen im Aufenthaltsgesetz zugelassen sind (vgl. § 23 Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Sie unterliegt keiner Zweckbindung, berechtigt zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und verschafft dem Berechtigten ferner den besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Sie ist daher auf den dauerhaften Verbleib eines Ausländers im Bundesgebiet angelegt. Wenn der Gesetzgeber diese gesicherte Rechtsposition in § 26 Abs. 4 AufenthG von dem in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG genannten Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts abhängig macht, darf von dieser Voraussetzung grundsätzlich auch nur unter den besonderen in § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG normierten Voraussetzungen abgesehen werden. Ein Rückgriff auf die allgemeine Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, wonach ohne Normierung konkreter Voraussetzungen von der Anwendung der Absätze 1 und 2 des § 5 AufenthG - und damit auch von dem Erfordernis der Unterhaltssicherung - abgesehen werden kann, ist daher nicht möglich. Vielmehr trifft § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG insoweit eine abschließende Regelung.
Für die Vorschrift des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG verbleibt - entgegen der Auffassung der Revision - auch ein Anwendungsbereich, wenn sie die Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG nicht erfasst. Denn sie ermöglicht ein Absehen von den Erteilungsvoraussetzungen für Aufenthaltserlaubnisse in allen von § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht erfassten "übrigen Fällen", bezieht sich also allgemein auf Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes (u.a. auf die Aufenthaltserlaubnisse nach §§ 22, 23, 23a, 25 Abs. 4 und Abs. 5 AufenthG) und nicht lediglich auf Fälle der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach Kapitel 2 Abschnitt 5.
Die Tatsache, dass die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis für Asylberechtigte und Konventionsflüchtlinge nach § 26 Abs. 3 AufenthG nicht voraussetzt, dass der Lebensunterhalt gesichert ist (§ 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), für die übrigen Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis nach Kapitel 2 Abschnitt 5 dagegen gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG die strengeren Regeln des § 9 Abs. 1 und 2 AufenthG gelten, hält sich im Rahmen einer zulässigen gesetzgeberischen Differenzierung.
3. Die Notwendigkeit vom Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts abzusehen, ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK.
Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst namentlich die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1 42>). Wird - wie vorliegend - das eheliche und familiäre Zusammenleben gewährleistet, kommt es grundsätzlich nicht darauf an, über welchen Aufenthaltstitel die Betroffenen verfügen. Auch im Falle einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG, über die die Klägerin verfügt, kann die familiäre Gemeinschaft fortgesetzt werden, wenn die Aufenthaltserlaubnis - wie hier - jeweils verlängert wird und keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ergriffen werden.
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