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VG Potsdam

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Zitieren als:
VG Potsdam, Beschluss vom 31.07.2008 - 3 L 172/08 - asyl.net: M14481
https://www.asyl.net/rsdb/M14481
Leitsatz:
Schlagwörter: Staatsangehörigkeitsrecht, Reisepass, Kinderreisepass, Sicherstellung, Einziehungsgrund, deutsche Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeit, Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit, Kinder, Vaterschaftsanfechtung, Rückwirkung, Ehemann, Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt im Inland, Aufenthaltsdauer, Eltern, abgelehnte Asylbewerber, Duldung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: PassG § 13 Abs. 1 Nr. 1; PassG § 13 Abs. 1 Nr. 3; PassG § 12 Abs. 1; PassG § 11 Nr. 2; StAG § 4 Abs. 1; BGB § 1592 Nr. 1; BGB § 1599 Abs. 1; GG Art. 16 Abs. 1; StAG § 4 Abs. 3; AsylVfG § 55 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Ordnungsverfügung und dem Interesse der Antragstellerin an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse. Nach der im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen und nur möglichen summarischen Prüfung stellt sich die Ordnungsverfügung vom 31. März 2008 als rechtmäßig dar.

Die Sicherstellung des Kinderreisepasses, aus der auch die Verpflichtung zur Abgabe folgt (vgl. Ziff. 1 der Ordnungsverfügung vom 31. März 2008), ist aller Voraussicht nach im Ergebnis gerechtfertigt.

Es kann offen bleiben, ob die Sicherstellung auf § 13 Abs. 1 Ziff. 1 PassG oder auf § 13 Abs. 1 Ziff. 3 PassG gestützt werden kann. Die nach beiden Vorschriften erforderlichen Voraussetzungen dürften hier erfüllt sein.

Nach § 13 Abs. 1 Ziff. 1 PassG setzt die Sicherstellung eines Passes voraus, dass eine Person ihn unberechtigt besitzt. Die Antragstellerin ist aller Voraussicht nach nicht zum Besitz des unter dem 18. Dezember 2007 ausgestellten Kinderreisepasses, der als Pass im Sinne des Passgesetzes gilt (vgl. § 1 Abs. 2 Ziff. 2 PassG), berechtigt, weil sie nicht deutsche Staatsangehörige ist. Sie hat die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch die Geburt im Inland erworben. Damit dürften zugleich auch die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Ziff. 3 PassG erfüllt sein. Danach kann ein Pass sichergestellt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass ein Einziehungsgrund vorliegt. Hier besteht Anlass für die Annahme, dass der Einziehungsgrund nach § 12 Abs. 1 PassG i.V.m. § 11 Ziff. 2 PassG deshalb vorliegt, weil die Eintragung "Staatsangehörigkeit: deutsch" unzutreffend und der Kinderreisepass demnach ungültig sein dürfte.

Die Antragstellerin hat die deutsche Staatsangehörigkeit nach der im Zeitpunkt ihrer Geburt am 13. September 2002 geltenden Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG vom 22. Juli 1913, RGBl. S. 583 i.d.F. v. 15. Juli 1999, BGBl. I S. 1618) aller Voraussicht nach nicht erworben, weil es an der Voraussetzung fehlt, dass ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Die Mutter der Antragstellerin ist polnische Staatsangehörige. Der deutsche Staatsangehörige S.T. , der mit der Mutter der Antragstellerin zum Zeitpunkt der Geburt verheiratet war, ist nicht Elternteil i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG. Nicht Herr T., sondern der albanische Staatsangehörige D. K. ist der Vater der Antragstellerin. Dies hat das Amtsgericht Brandenburg a.d.H. durch Urteil vom 21. Juni 2006, ergänzt durch Beschluss vom 2. August 2006 – 41/06 – festgestellt. Das Urteil ist – soweit ersichtlich – rechtskräftig geworden. Die Bestimmung des § 1592 Nr. 1 BGB, wonach Vater eines Kindes der Mann ist, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, gilt gem. § 1599 Abs. 1 BGB nicht, wenn auf Grund einer Anfechtung rechtskräftig festgestellt ist, dass der Mann nicht der Vater ist. Das Kindschaftsverhältnis zum Vater entfällt bei einer erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft nach allgemeiner Ansicht mit Rückwirkung auf den Tag der Geburt des Kindes (vgl. VG Frankfurt, Beschluss vom 25.2.2005 –1 G 457/05 – zit. nach juris m.w.N.). Die Rückwirkung hat zur Folge, dass die Erwerbsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG für die Antragstellerin schon im Zeitpunkt ihrer Geburt nicht vorgelegen haben. Hierin liegt keine Verletzung von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG, wonach die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden darf. Zwar führt die erfolgreiche Vaterschaftsanfechtung zu einem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, der an Art. 16 Abs. 1 GG zu messen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2006 – 2 BvR 696/04 – zit. nach juris). Der Staatsangehörigkeitsverlust, von dem ein Kind auf Grund einer gerichtlichen Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft des (früheren) Ehemannes der Mutter betroffen ist, stellt eine Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit i.S.d. Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG jedenfalls dann nicht dar, wenn das betroffene Kind sich in einem Alter befindet, in dem Kinder üblicherweise ein eigenes Vertrauen auf den Bestand ihrer Staatsangehörigkeit noch nicht entwickelt haben (vgl. BVerfG, a.a.O.). Hiervon ist im vorliegenden Fall auszugehen. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft war die Antragstellerin 3 Jahre alt und damit in einem Alter, in dem Kinder normalerweise noch kein eigenes Bewusstsein ihrer Staatsangehörigkeit und kein eigenes Vertrauen auf deren Bestand entwickelt haben.

Nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnissen dürfte die Antragstellerin die deutsche Staatsangehörigkeit auch nicht nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG erworben haben. Danach erwirbt ein Kind ausländischer Eltern durch die Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil 1. seit 8 Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und 2. eine Aufenthaltsberechtigung oder seit 3 Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt. Diese Voraussetzungen dürften nach den vorliegenden Erkenntnissen hier nicht erfüllt sein. Die Mutter der Antragstellerin ist erst am 30. August 1996 in das Bundesgebiet eingereist und hielt sich vom 1. Januar bis 1. Oktober 1999 im Ausland auf. Der in erster Linie hier als Bezugsperson in Betracht kommende Vater der Antragstellerin hatte im Zeitpunkt der Geburt der Antragstellerin zwar seit mehr als 8 Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Dieser Aufenthalt war jedoch nicht rechtmäßig. Zwar wird ein besonderer Aufenthaltstitel, etwa in Gestalt einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung nicht für die Gesamtdauer der 8 Jahre verlangt; vielmehr zählen die Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis sowie einer Aufenthaltsgestattung in gleicher Weise (vgl. Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl., § 4 Rdnr. 76). Der Aufenthalt von Asylbewerbern ist von Rechts wegen jedoch nur bei späterer Asylanerkennung in die Berechnung einzubeziehen (§ 55 Abs. 3 AsylVfG). Eine Duldung genügt nicht, weil sie die Ausreisepflicht und damit die Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht beendet, sondern sie gerade voraussetzt (vgl. Hailbronner/Renner, a.a.O.). Auf der Grundlage dieser Maßstäbe und der Angaben der Antragsgegnerin, denen die Antragstellerin nicht entgegengetreten ist, kann nicht von einem 8 Jahre andauernden rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt des Vaters der Antragstellerin im Inland ausgegangen werden. Insoweit hat die Antragsgegnerin mitgeteilt, dass der Vater der Antragstellerin am 15. Dezember 1992 als Asylbewerber in das Bundesgebiet eingereist sei. Der Asylantrag sei abgelehnt worden, die Klage sei am 28. Juli 1994 abgewiesen worden. Auch ein Folgeantrag sei am 6. Juni 1995 durch das seinerzeit zuständige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgelehnt worden. In der Zeit vom 8. April 1993 bis 29. Mai 1995 sei der Vater der Antragstellerin im Besitz einer Aufenthaltsgestattung, anschließend – nach Abschluss des Asylverfahrens – im Besitz einer Duldung gewesen. Erst nach Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 15. August 1996 sei dem Vater der Antragstellerin am 22. August 1996 (erstmals) ein Aufenthaltstitel erteilt worden. Demnach begründete erst der im Jahre 1996 erworbene Aufenthaltstitel für den Vater der Antragstellerin einen rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne des § 4 Abs. 3 Ziff. 1 StAG. Zum Zeitpunkt der Geburt der Antragstellerin hielt sich der Vater der Antragstellerin lediglich mehr als 5 Jahre rechtmäßig im Inland auf. [...]