BlueSky

VG Karlsruhe

Merkliste
Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 24.10.2008 - 1 K 2065/08 - asyl.net: M14439
https://www.asyl.net/rsdb/M14439
Leitsatz:

Zeiten einer Duldung nach dem 1.1.2005 sind gem. § 102 Abs. 2 AufenthG auf die Aufenthaltsdauer nach § 26 Abs. 4 AufenthG anzurechnen, wenn der Ausländer nur deshalb keine Aufenthaltserlaubnis erhalten hat, weil die Ausländerbehörde die neue Rechtslage nach dem Zuwanderungsgesetz nicht sofort umgesetzt hat.

 

Schlagwörter: D (A), Niederlassungserlaubnis, Aufenthaltsdauer, Asylverfahren, Duldung, Zuwanderungsgesetz, Altfälle, Übergangsregelung, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, Kosovo, Kosovaren
Normen: AufenthG § 26 Abs. 4; AufenthG § 102 Abs. 2
Auszüge:

Zeiten einer Duldung nach dem 1.1.2005 sind gem. § 102 Abs. 2 AufenthG auf die Aufenthaltsdauer nach § 26 Abs. 4 AufenthG anzurechnen, wenn der Ausländer nur deshalb keine Aufenthaltserlaubnis erhalten hat, weil die Ausländerbehörde die neue Rechtslage nach dem Zuwanderungsgesetz nicht sofort umgesetzt hat.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis hat in rechtswidriger Weise dem Kläger eine Niederlassungserlaubnis versagt. Auch die fürsorglich herangezogenen Ermessenserwägungen sind fehlerhaft. Der Kläger hat Anspruch, dass über seinen Antrag auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels nach der Rechtsauffassung des Gerichts neu entschieden wird. [...]

Der Kläger hat jedoch erst seit dem 11.05.2005 eine Aufenthaltserlaubnis. Rechnet man nun die Aufenthaltszeit des vorangegangenen Asylverfahrens und die Zeit seiner Duldung im Bundesgebiet hinzu, so kann der Kläger allerdings auf mehr als sieben Jahre berechtigten Aufenthalts verweisen.

Die Anrechnung des Asylverfahrens kann sich auf § 26 Abs. 4 Satz 3 AufenthG stützen, die Anrechnung der Duldungszeit auf § 102 Abs. 2 AufenthG. Streitig zwischen den Beteiligten ist in diesem Zusammenhang die Zeit vom 01.01. bis zum 10.05.2005, in der der Kläger nur im Besitz einer Duldung war.

Nach dem Wortlaut des § 102 Abs. 2 AufenthG wird auf die oben genannte Siebenjahresfrist nur die Zeit einer Duldung vor dem 01.01.2005 angerechnet. Diese Vorschrift ist jedoch teleologisch nicht restriktiv auszulegen. Mit ihr wollte der Gesetzgeber jedenfalls eine Benachteiligung der Ausländer vermeiden, die nach dem jetzigen Aufenthaltsgesetz ab 01.01.2005 Anspruch auf eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis haben, nach dem früheren Recht zwar eine Aufenthaltsgenehmigung in Form einer Aufenthaltsbefugnis hätten erhalten können (§ 30 Abs. 3 und 4 AuslG), aber oft nur eine Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG erhalten haben (vgl. BT-Dr 15/420 S. 100). Zu diesem Personenkreis zählt der Kläger, dessen Ausreise aus rechtlichen Gründen schon vor dem 01.01.2005 unmöglich war, dessen Altduldung am 12.01.2005 ablief und dem rechtswidrig auf seinen an diesem Tag gestellten Antrag nicht eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, sondern wieder nur eine Duldung erteilt wurde. Dies hat der Kläger aufenthaltsrechtlich nicht zu vertreten, wobei dahingestellt bleiben kann, ob die Behörde in diesem Fall § 102 Abs. 2 AufenthG erweiternd auslegt oder ob dem Kläger die Aufenthaltserlaubnis zur Vermeidung von unzumutbaren Rechtsnachteilen rückwirkend ab 01.01.2005 erteilt wird. Um die eindeutige Zielsetzung des Gesetzes nicht in sein Gegenteil zu verkehren, darf sich die Behörde in diesem Fall nicht auf die Unterbrechung des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis berufen, nur weil die Umsetzung des neuen Rechts nicht von heute auf morgen erfolgen kann und Bearbeitungszeiten hier zu Verzögerungen führen müssen.

Somit ist festzustellen, dass die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind, weil sie unzutreffend von der Nichterfüllung der Siebenjahresfrist des § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgehen. Darüber hinaus ist es in diesem Fall auch nicht ermessensgerecht, hilfsweise einen dreijährigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zu verlangen, denn das darin ausgedrückte Interesse an einem berechtigten Aufenthalt von gewisser Dauer erfüllt der Kläger, der sich diesbezüglich seit September 2004 auf einen seinen Aufenthalt in Deutschland absichernden Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge berufen kann, in ausreichendem Maße.

Allerdings reduziert das Ermessen der Behörde nach § 26 Abs. 4 AufenthG sich damit nicht auf Null. Im Rahmen dieser Vorschrift hat die Ausländerbehörde die Interessen des Ausländers an einer Verfestigung seines Aufenthalts mit dem öffentlichen Interesse an einer Begrenzung des Zuzugs von Ausländern abzuwägen. Bisher erbrachte Integrationsleistungen können dabei nicht außer Acht gelassen werden. Auch ist beim gegenwärtig noch hilfebedürftigen Kläger der Aufenthaltsstatus seiner Eltern zu berücksichtigen. Da sich im Kosovo die Verhältnisse zunehmend verbessern und stabilisieren, liegt eine Rückkehr der Familie einschließlich des Klägers nicht außerhalb jeder Diskussion. Auch dies ist eine zulässige Ermessenserwägung. [...]