LSG Bayern

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Zitieren als:
LSG Bayern, Beschluss vom 05.11.2008 - L 11 B 771/08 AS ER - asyl.net: M14422
https://www.asyl.net/rsdb/M14422
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Grundsicherung für Arbeitssuchende, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Unionsbürger, Arbeitssuche, Eilbedürftigkeit
Normen: SGG § 86b Abs. 2; SGB II § 7 Abs. 1 S. 2
Auszüge:

[...]

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig und auch begründet. Der Beschluss des SG vom 04.08.2008 ist aufzuheben und der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist abzulehnen. Die Ag ist nicht zur Erbringung vorläufiger Leistungen an die ASt zu verpflichten.

Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG dar.

[...]

Vorliegend ist die Rechtsfrage, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II gegen das Recht der Europäischen Union verstößt, als offen anzusehen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.07.2008 - L 7 AS 3031/08 ER-B mwN zu den verschiedenen Auffassungen unter Rdnr. 25 des Juris-Ausdrucks). Diese Rechtsfrage ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht zu klären, eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof im Wege einer Vorabentscheidung ist nicht angezeigt (vgl. LSG Baden-Württemberg aaO Rdnr 27). Damit sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen anzusehen.

Ein Anordnungsgrund ist gegeben, denn die ASt haben zurzeit kein ihren Bedarf vollständig deckendes Einkommen oder Vermögen, ihre Existenz ist gefährdet.

Es ist somit eine Folgenabwägung vorzunehmen. Dabei überwiegen die Interessen der ASt an Leistungen zum Lebensunterhalt das Interesse der Ag an einem sparsamen Umgang mit öffentlichen Mitteln. Für die Ag besteht allein die Gefahr, dass bei einem für sie positiven Ausgang des Hauptsacheverfahrens die gezahlten Beträge evtl. nicht zurückgezahlt werden. Andererseits halten sich die ASt berechtigt in der Bundesrepublik Deutschland auf, zur Ausreise sind sie nicht aufgefordert worden. Eine erst nach Abschluss eines Hauptsacheverfahrens nachgezahlte Leistung durch die Ag könnte die bis dahin erfolgten Einschränkungen der ASt nicht mehr beseitigen. Im Übrigen erhalten selbst sich unberechtigt in der Bundesrepublik Deutschland aufhaltende Ausländer aus Nicht-EU-Staaten eine Sicherung des Mindestlebensstandards (nach dem Asylbewerberleistungsgesetz), die allerdings unterhalb der Regelleistung nach dem SGB II liegt. Dies alles berücksichtigt, sind den ASt vorläufig Leistungen zu zahlen, beschränkt allerdings auf das zum Leben Unerlässliche, wodurch die finanzielle Belastung der Ag entsprechend berücksichtigt wird. Für das Leben unerlässlich sind u.a. nicht die unter Abt. 08 (Nachrichtenübermittlung), Abt. 09 (Freizeit, Unterhaltung, Kultur) und Abt. 11 des EVS (Beherbergungs- und Gaststättendienstleistung) zu berücksichtigenden Bedarfe, die zusammen 22,6 % der Regelleistung ausmachen. Unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 12.05.2005 aaO) ist ein Abschlag von jedenfalls 20 % von der Regelleistung zulässig.

Der Bedarf der ASt ergibt sich somit aus der Regelleistung für die ASt zu 1. (351,00 EUR) und für die ASt zu 2. (211,00 EUR), insgesamt 562,00 EUR. Ein weiterer Bedarf für Unterkunfts- und Heizungskosten ist bislang nicht von den ASt glaubhaft gemacht worden, ein Mietvertrag oder entsprechende Zahlungsbelege etc. sind nicht vorgelegt worden. Nach Abschlag von 20 % bleibt somit ein Bedarf in Höhe von 449,60 EUR. Diesem Bedarf steht ein Einkommen der ASt in Höhe von zurzeit 154,00 EUR Kindergeld und 300,00 EUR Elterngeld gegenüber. Abzüge von diesem Einkommen sind vorliegend im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht vorzunehmen. Damit aber ist der Bedarf durch das gegenwärtige Einkommen der ASt gedeckt; vorläufige Leistungen sind durch die Ag nicht zu erbringen.

[...]