VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Beschluss vom 18.11.2008 - 10 L 626/08.A - asyl.net: M14416
https://www.asyl.net/rsdb/M14416
Leitsatz:

Vorläufige Aussetzung der Überführung nach Schweden wegen drohender Kettenabschiebung eines Yeziden in den Irak.

Schlagwörter: Schweden (A), Verordnung Dublin II, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Abschiebungsanordnung, Drittstaatenregelung, Kettenabschiebung, Irak, Jesiden, Dublin II-VO, Dublinverfahren, Non Refoulement, Schweden,
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AsylVfG § 34a Abs. 1; AsylVfG § 34a Abs. 2; AsylVfG § 27a
Auszüge:

Der Antrag des Antragstellers,

1. "die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid vom 28. Oktober 2008 anzuordnen,

2. hilfsweise die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sicherzustellen, dass auf Grund der Abschiebungsanordnung bis zu einer Entscheidung im Klageverfahren keine Überstellung erfolgt,"

hat nach summarischer Prüfung vorläufig Erfolg.

Ob der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. Oktober 2008 offensichtlich rechtmäßig oder rechtswidrig ist, kann angesichts der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung des Antragstellers nicht hinreichend sicher entschieden werden. Zwar können Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gemäß § 34 a Abs. 1 AsylVfG nach § 34 Abs. 2 AsylVfG nicht mit einen Antrag nach § 80 VwGO ausgesetzt werden, doch hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass diese Rechtsfolge verfassungskonform auszulegen ist.

Diese Entscheidung ist zwar ergangen, bevor das Gesetz durch die Alternative "oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a)" ergänzt wurde. Diese durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäbe sind nunmehr auch auf die in der Ergänzung in Bezug genommenen Staaten entsprechend anwendbar.

Der Antragsteller hat glaubhaft dargelegt, dass ihm bei einer Rückführung nach Schweden eine sog. Kettenabschiebung drohe, weil er von Schweden in den Irak zurückgeführt werden würde, wo ihm dann aufgrund seiner yezidischen Religionszugehörigkeit Verfolgungsmaßnahmen durch den überwiegenden muslimischen Bevölkerungsanteil drohen könnten. Ob dies tatsächlich der Fall sein wird, d.h. ob Schweden den Antragsteller unmittelbar ohne Prüfung seines Asylbegehrens in sein Herkunftsland zurückschieben wird, kann an dieser Stelle und in diesem Verfahrensstadium nicht beurteilt werden. Nach den vom Antragsteller in Bezug genommenen Stellungnahmen des UNHCR vom 4. August 2008 und vom 16. Oktober 2008 erhalten die meisten irakischen Asylbewerber in Schweden keinen originären Flüchtlingsstatus, sondern lediglich subsidiären Schutz. Bereits im Dezember 2007 habe der schwedische Migrationsbord seine Einschätzung aufgegeben, dass es sich im Irak um einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt bzw. eine Bürgerkriegssituation handele. Infolgedessen komme eine pauschale Zuerkennung subsidiären Schutzes nach einer Rückkehr nach Schweden nun auch nicht mehr in Betracht. Wenn dies der Fall ist, was derzeit nicht abschließend bei summarischer Prüfung beurteilt werden kann, läge ein vergleichbarer Sonderfall vor, wie ihn das Bundesverfassungsgericht vorliegend unter anderen Konstellationen skizziert hat.

Anders als in der Bundesrepublik Deutschland, von der aus Rückführungen allein in den Nord-Irak möglich sein sollen, würden irakische Staatsangehörige aus Schweden in den Zentralirak und dort unmittelbar in die Hauptstadt Bagdad zurückgeschoben. Eine Differenzierung der abgeschobenen irakischen Asylbewerber etwa nach Familienstand, Religionszugehörigkeit oder Herkunftsgebiet im Irak werde von den schwedischen Behörden nicht vorgenommen. Angesichts dieser Umstände könnte hier ein Sonderfall vorliegen, den im Hauptsacheverfahren nachzugehen sein wird und der im Rahmen der allgemeinen Interessenabwägung das Anordnungsinteresse des Antragstellers ausnahmsweise als überwiegend erscheinen lässt.

Demgegenüber vermag die Einlassung der Antragsgegnerin nicht zu überzeugen. Sie beruft sich auf Entscheidungen verschiedener Verwaltungsgerichte, die dem erkennenden Gericht jedoch nicht vorliegen und die auch nicht in entsprechenden Rechtsprechungsdatenbanken (juris, milo, NRWE) einsehbar sind. Der Verwaltungsvorgang ist von der Antragsgegnerin trotz erfolgter Bitte des Vorsitzenden der Kammer nicht übermittelt worden. Soweit die von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Entscheidungen für den Einzelrichter erreichbar waren - namentlich die Beschlüsse der Verwaltungsgerichte Minden vom 20. März 2008 - 1 L 171/08.A - und Sigmaringen vom 6. Oktober 2008 - A 2 K 1987/08 -, ergibt sich hieraus keine andere Bewertung. Der Fall, der dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden zugrunde lag, hatte eine andere Sachverhaltskonstellation. Dort ging es um die Rückführung eines erkrankten Antragstellers zu seinem Vater nach Schweden. Ob und inwieweit es sich bei dem dortigen Antragsteller um einen Angehörigen einer religiösen Minderheit handelte, der von Schweden in den Irak zurückgeschoben werden sollte, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen. In der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen war über den Asylantrag des dortigen Antragstellers in Schweden noch nicht abschließend entschieden worden. Auch insofern ergeben sich - bei summarischer Überprüfung - Unterschiede zum vorliegenden Fall. Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Schleswig waren in der Kürze der Zeit nicht greifbar, zumal sie von der Antragsgegnerin auch nicht vorgelegt wurden. Angesichts dessen muss aus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung der gleichzeitig erhobenen Klage des Antragstellers vorläufig angeordnet werden.