VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 03.09.2008 - 5 K 384/08.TR - asyl.net: M14403
https://www.asyl.net/rsdb/M14403
Leitsatz:

Eine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG liegt nur vor, wenn die für den Verwaltungsakt maßgeblichen Rechtsnormen, also seine entscheidungserheblichen rechtlichen Grundlagen, nachträglich geändert wurden.

Ein Asylbewerber ist verpflichtet, in seinem ersten Asylantrag umfassend alle Tatsachen vorzutragen, die Rückschlüsse auf eine ihm drohende Verfolgungsgefahr zulassen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die drohenden Verfolgungsgefahren asylrechtsrelevant sind oder ein Abschiebungsverbot begründen.

Trägt er im ersten Asylverfahren nicht alle Tatsachen vor, so kann er mit einem Asylfolgeantrag nicht geltend machen, erst durch einen nunmehr beauftragten anderen Rechtsanwalt davon Kenntnis erlangt zu haben, dass die seinerzeit nicht genannten Tatsachen - auch im Lichte der zwischenzeitlichen Neufassung/Änderung des § 60 AufenthG - nunmehr ein Abschiebungsverbot begründeten.

 

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Folgeantrag, Änderung der Rechtslage, nichtstaatliche Verfolgung, geschlechtsspezifische Verfolgung, Genitalverstümmelung, Mitwirkungspflichten, Darlegungspflicht, Verfahrensbevollmächtigte, Verschulden, Zurechnung, verspätetes Vorbringen
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 15; VwGO § 86 Abs. 1; VwGO § 173; ZPO § 85 Abs. 2
Auszüge:

Eine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG liegt nur vor, wenn die für den Verwaltungsakt maßgeblichen Rechtsnormen, also seine entscheidungserheblichen rechtlichen Grundlagen, nachträglich geändert wurden.

Ein Asylbewerber ist verpflichtet, in seinem ersten Asylantrag umfassend alle Tatsachen vorzutragen, die Rückschlüsse auf eine ihm drohende Verfolgungsgefahr zulassen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die drohenden Verfolgungsgefahren asylrechtsrelevant sind oder ein Abschiebungsverbot begründen.

Trägt er im ersten Asylverfahren nicht alle Tatsachen vor, so kann er mit einem Asylfolgeantrag nicht geltend machen, erst durch einen nunmehr beauftragten anderen Rechtsanwalt davon Kenntnis erlangt zu haben, dass die seinerzeit nicht genannten Tatsachen - auch im Lichte der zwischenzeitlichen Neufassung/Änderung des § 60 AufenthG - nunmehr ein Abschiebungsverbot begründeten.

(Amtliche Leitsätze)

 

Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet, den Klägerinnen steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als asylberechtigt noch ein solcher auf Feststellung von Abschiebungsverboten zur Seite, denn bei ihnen ist gemäß § 71 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG - kein weiteres Asylverfahren durchzuführen.

Vorliegend sind die Voraussetzungen der §§ 71 Abs. 1 AsylVfG, 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht erfüllt, denn die Verhältnisse, insbesondere die Rechtslage, haben sich seit Abschluss der ersten Klageverfahren der Klägerinnen nicht entscheidungserheblich geändert. Eine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG liegt nämlich nur vor, wenn die für den Verwaltungsakt maßgeblichen Rechtsnormen, also seine entscheidungserheblichen rechtlichen Grundlagen, nachträglich geändert wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 21.07 - BVerwGE 129, S. 243 ff). Daran fehlt es indessen, denn in Bezug auf den von den Klägerinnen in ihren ersten Asylverfahren vorgetragenen Sachverhalt, der auch den Entscheidungen der Beklagten über die beiden ersten Asylanträge zugrunde gelegt wurde, haben sich die einschlägigen Bestimmungen nicht entscheidungserheblich geändert.

Zwar wurde durch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in der seit Januar 2005 geltenden Fassung zunächst klar gestellt, dass eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch wegen einer geschlechtsspezifischen Verfolgung vorliegen kann. Durch § 60 Abs. 1 Satz 4 c AufenthG wurde außerdem der bisher durch § 51 Abs. 1 AuslG gewährte Abschiebungsschutz auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure erstreckt, sofern der Staat oder Parteien und Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Schließlich stellte die zum 28. August 2007 in Kraft getretene Neuregelung des § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) nunmehr klar, dass für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, die Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Qualifikationsrichtlinie ergänzend anzuwenden sind.

Diese Rechtsänderungen stellen indessen keine Änderung der Rechtslage in Bezug auf die Entscheidungen der Beklagten im jeweils ersten Asylverfahren der Klägerinnen dar, weil die Klägerinnen in ihren ersten Asylverfahren keine Tatsachen vorgetragen haben, die im Lichte der geänderten Bestimmung des § 60 AufenthG Einfluss auf die Entscheidungen über Abschiebungshindernisse/Abschiebungsverbote hätten haben können. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der nunmehr von den Klägerinnen im Rahmen der Klagebegründung vorgetragenen frauenspezifischen Gesichtspunkte. Soweit die Klägerinnen vortragen, von deren Asylrelevanz erst infolge der Beauftragung ihrer nunmehrigen Prozessbevollmächtigten erfahren zu haben, ändert dies nichts daran, dass die von ihnen behaupteten Tatsachen, sollten sie denn überhaupt vorliegen, keine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage betreffen. Im Hinblick auf die die Klägerinnen gemäß §§ 15 AsylVfG, 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO treffenden Mitwirkungspflichten war es nämlich zunächst ihre Aufgabe, in ihren ersten Asylverfahren als Asylsuchende alle ihre guten Gründe für eine politische Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Sie hätten also unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern müssen, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihnen nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu bleiben oder nach dort zurückzukehren/erstmals einzureisen. Dabei braucht der Asylsuchende zwar nur in Bezug auf die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erlebnisse eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen, während es hinsichtlich der allgemeinen politischen Verhältnisse ausreicht, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen sich - ihre Wahrheit unterstellt - hinreichende Anhaltspunkte für eine nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung für den Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland ergeben kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. März 1987 - 9 B 266/86 -). Demnach muss er alle Umständen vortragen, aus denen sich zumindest Anhaltspunkte für eine politischen Verfolgung bzw. das Bestehen von Abschiebungshindernissen/Abschiebungsverboten ergeben. Nicht verlangt wird von ihm hingegen eine Bewertung, ob die behauptete Verfolgungsgefahr tatsächlich asylrechts- oder abschiebungsrelevant ist oder nicht. Demnach ist er gehalten, alle Tatsachen, die Rückschlüsse auf eine irgendwie geartete Verfolgungsgefahr zulassen können, umfassend vorzutragen.

Dieser ihrer Verpflichtung sind die Klägerinnen indessen in ihren ersten Asylverfahren nicht nachgekommen, denn sie haben keine Tatsachen vorgetragen, die Rückschlüsse auf geschlechtsspezifische Verfolgungsgefahren zulassen könnten. Dabei können sie auch nicht geltend machen, dass ein diesbezüglicher Vortrag seinerzeit von vornherein entscheidungsunerheblich gewesen und deshalb unterblieben sei, zumal sie nicht vorgetragen haben, dass ihnen in den ersten Asylverfahren abgeraten worden sei, derartiges vorzutragen. Vielmehr ist den die beiden ersten Asylverfahren betreffenden Verwaltungsvorgängen zu entnehmen, dass die Klägerinnen Gelegenheit hatten, alle Gründe darzulegen, die einer Rückkehr in ihr Heimatland entgegenstehen könnten (vgl. Blatt 8 der Verwaltungsakte 5120121-232 und Blatt 24 der Verwaltungsakte 5162940-232). Im Übrigen stellte sich die Frage, ob eine drohende Zwangsbeschneidung asylrechts-/abschiebungsrelevant sein kann, nicht erst seit der seit 2005 geänderten Rechtslage, sondern konnte auch vorher bereits von Bedeutung sein (vgl. insoweit BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118/90 -, BVerwGE 89, S. 162 ff.).

Von daher hätten die Klägerinnen die frauenspezifischen Gesichtspunkte bereits in ihren ersten Asylverfahren vortragen können und müssen. Wenn dies deshalb unterblieben sein sollte, weil der frühere Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu 1) diese nicht hinreichend informiert hätte, müsste sich die Klägerin zu 1) insoweit gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO ein eventuelles Verschulden ihres früheren Prozessbevollmächtigten zuzurechnen lassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Dezember 2002 - 1 B 429/02 -, NVwZ 2003, S. 868).