VG Düsseldorf

Merkliste
Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 23.10.2008 - 20 K 4536/07.A - asyl.net: M14400
https://www.asyl.net/rsdb/M14400
Leitsatz:

Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in der Türkei bei Verdacht der Unterstützung der PKK bzw. Separatismusverdacht.

 

Schlagwörter: Türkei, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, PKK, Verdacht der Unterstützung, Separatisten, Kurden, Folter, Menschenrechtslage, Reformen, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in der Türkei bei Verdacht der Unterstützung der PKK bzw. Separatismusverdacht.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet.

Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Feststellungen zu § 51 Abs. 1 AuslG liegen im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht vor.

Der Kläger hat die Türkei nach den Feststellungen im Anerkennungsbescheid vom 30.12.1994 wegen der von ihm individuell erlittenen und als politische Verfolgung anzusehenden staatlichen Maßnahmen verlassen. Im Falle einer Rückkehr wäre er vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher.

Das erkennende Gericht (vgl. auch bereits Urteile der Kammer vom 20.08.2008 - 20 K 4991/07.A - und vom 20.10.2008 - 20 K 2292/ und 3002/08.A -) folgt der Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, wonach unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung vorverfolgt ausgereiste Flüchtlinge, die unter PKK- bzw. Separatismusverdacht geraten sind, gegenwärtig vor erneuter Verfolgung (noch) nicht hinreichend sicher sind. PKK-Unterstützer bzw. des Separatismus verdächtigte Kurden wurden in der Vergangenheit und werden nach wie vor in der Türkei häufig Opfer von Verfolgungsmaßnahmen asylerheblicher Intensität, die trotz der umfassenden Reformbemühungen, insbesondere der "Null-Toleranz-Politik" gegenüber Folter, weiterhin dem türkischen Staat zuzurechnen sind (vgl. OVG NRW; Urteil vom 29.07.2008 - 15 A 2998/06.A -; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 31.03.2008 - 8 A 684/08.A - und Urteil vom 19.04.2005 - 8 A 273/04.A - S. 21 ff.).

Als eine wegen PKK-Unterstützung individuell ins Blickfeld der türkischen Behörden geratene Person ist der Kläger nach wie vor nicht hinreichend sicher davor, erneut Opfer asylerheblicher Maßnahmen zu werden.

Die erforderliche hinreichende Verfolgungssicherheit folgt insbesondere nicht aus den in dem angegriffenen Bescheid angeführten zahlreichen in der Türkei in den letzten Jahren durchgeführten Reformen und der dadurch festzustellenden deutlichen Verbesserung der allgemeinen Menschenrechtslage. Denn die türkische Reformpolitik hat bislang nicht dazu geführt, dass asylrelevante staatliche Übergriffe in der Türkei nicht mehr vorkommen. Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 11.09.2008 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei hat der Mentalitätswandel in der Türkei noch nicht alle Teile der Polizei, Verwaltung und Justiz vollständig erfasst. Dem Bericht zufolge ist es bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlungen vollständig zu unterbinden; nach Darstellung von Menschenrechtsorganisationen ist im Jahre 2007 wieder eine Zunahme von Foltervorwürfen zu verzeichnen gewesen. Konstatiert wird, dass es der türkischen Regierung bislang nicht gelungen sei, Fälle von Folter und Misshandlung in dem Maße einer Strafverfolgung zuzuführen, wie dies ihrem erklärten Willen entspreche (Bericht des Auswärtigen Amtes vom 11.09.2008 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei - 508-516.80/3 TUR -, S. 25, 27).

Die der oben genannten Rechtsprechung zugrunde liegende Einschätzung der Gefährdungssituation wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass dem Auswärtigen Amt in jüngerer Zeit kein Fall bekannt geworden ist, in dem ein aus der Bundesrepublik in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes vom 11.09.2008 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei - 508-516.80/3 TUR -, S. 32).

Das trägt zwar maßgeblich zu der Einschätzung bei, dass unverfolgt ausgereiste Asylbewerber bei einer Rückkehr in die Türkei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Übergriffe befürchten müssen. Für die Einschätzung der möglichen Gefährdung von vorverfolgt ausgereisten Personen sind die genannten Feststellungen des Auswärtigen Amtes indes wenig aussagekräftig. Unter den abgeschobenen oder zurückgekehrten Personen war kein Mitglied oder Kader der PKK oder einer anderen illegalen, bewaffneten Organisation und auch keine Person, die der Zugehörigkeit einer solchen Organisation verdächtigt wird (vgl. OVG NRW, Urteil vom 27.03.2007 - 8 A 4728/05.A - unter Verweis auf Serafettin Kaya, Gutachten an das VG Sigmaringen vom 08.08.2005; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 31.03.2008 - 8 A 684/08.A -).