VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Beschluss vom 24.09.2008 - 4 K 812/08 - asyl.net: M14397
https://www.asyl.net/rsdb/M14397
Leitsatz:

Es ist einem Staatenlosen nicht zuzumuten, während eines Asylverfahrens einen Antrag auf Wiedereinbürgerung zu stellen.

 

Schlagwörter: D (A), Türkei, Staatenlose, Ausbürgerung, Reiseausweis, Staatenlosenübereinkommen, Duldung, Ermessen, Wiedereinbürgerung, Zumutbarkeit, Asylantrag, Asylfolgeantrag, Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114; StlÜbk Art. 28 Abs. 1; StlÜbk Art. 28 Abs. 2; StlÜbk Art. 1 Abs. 1
Auszüge:

Es ist einem Staatenlosen nicht zuzumuten, während eines Asylverfahrens einen Antrag auf Wiedereinbürgerung zu stellen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Sürig für das Klageverfahren hat teilweise Erfolg. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe liegen vor, soweit der Kläger einen Anspruch auf Neubescheidung seines Antrags verfolgt (§ 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO).

Ein gebundener Anspruch auf Erteilung eines Staatenlosenausweises nach Art. 28 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954 (BGBl. II 1976 S. 473) (StlÜbk) scheidet aus. Denn die Vorschrift setzt einen rechtmäßigen Aufenthalt im jeweiligen Hoheitsstaat voraus. Hieran fehlt es, denn die dem Kläger erteilte Duldung begründet keinen rechtmäßigen Aufenthalt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 1990 - 1 C 15.88 - BVerwGE 87 <18> und Beschluss vom 28. Januar 1997- 1 B 6.87 - juris, Rn. 4).

Die Klage hat dagegen Erfolgsaussichten, soweit sie auf eine Neubescheidung gerichtet ist. Anspruchsgrundlage ist Art. 28 Satz 2 1. Halbsatz StlÜbk. Danach können die Vertragsstaaten auch jedem anderen in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Staatenlosen einen Staatenlosenausweis ausstellen.

Es spricht derzeit Überwiegendes dafür, dass der Kläger - wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen - staatenlos im Sinne des Art. 1 Abs. 1 StlÜbk ist, weil kein Staat ihn aufgrund seines Rechtes als Staatsangehörigen ansieht. Für die Staatenlosigkeit des Klägers spricht die entsprechende Veröffentlichung in der "Resmi Gazete".

Das Stadtamt der Beklagten hat das damit in Art. 28 Satz 2 1. Halbsatz StlÜbk eröffnete Ermessen in ihrem Bescheid vom 18. Oktober 2007 wohl fehlerhaft ausgeübt. Es stellt auf zwei Erwägungen ab: Der Kläger habe seine Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft selbst zu vertreten, da er keinen Wehrdienst geleistet habe. Es sei ihm möglich und zumutbar, einen Antrag auf Wiedereinbürgerung bei den türkischen Behörden zu stellen.

Jedenfalls die zweite Ermessenserwägung dürfte rechtsfehlerhaft sein, weil sie die besondere Stellung des Klägers als Antragsteller eines Asylfolgeverfahrens nicht beachtet. Allerdings darf die zuständige Behörde zu Lasten eines Staatenlosen in das Ermessen des Art. 28 Satz 2. Halbsatz StlÜBk einstellen, dass er eine zumutbare Möglichkeit nicht nutzt, sich in seinen Heimatstaat wieder einbürgern zu lassen (BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 1997 - 1 B 223.97 - Buchholz 402.27 Art. 28 StlÜbk Nr. 6 - juris, Rn. 6; OVG Lüneburg, Beschluss vom 27, August 2002 - 11 PA 284/02 - juris, Rn. 6). Eine solche Möglichkeit besteht für den Kläger: In dem aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juli 2008, vom 11. September 2008, S. 19) wird darauf hingewiesen, dass seit dem 12. Juni 2003 Personen, die u.a. wegen Art. 25 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes die türkische Staatsangehörigkeit verloren haben, unabhängig von ihrem Wohnsitz erneut in die türkische Staatsangehörigkeit aufgenommen werden, sofern sie verbindlich erklären, den Wehrdienst ableisten zu wollen. Einen solchen Antrag hat der Kläger bisher nicht gestellt; erst nach Bescheidung eines solchen Antrags könnte geklärt werden, ob der Kläger auf diesem Weg die türkische Staatsbürgerschaft erlangen kann (vgl. VG Bremen, Gerichtsbescheid vom 8. November 2006 - 4 K 51/06).

Derzeit dürfte dem Kläger ein Wiedereinbürgerungsantrag indes unzumutbar sein. Denn sein Asylfolgeantrag bliebe erfolglos, sobald er die türkische Staatsangehörigkeit freiwillig wiedererlangte. Nach § 72 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG erlischt selbst die Anerkennung als Asylberechtigter, wenn ein Ausländer nach Verlust seiner Staatsangehörigkeit diese freiwillig wiedererlangt hat. Damit kann erst recht ein Asylfolgeantrag keinen Erfolg haben, wenn ein Antragsteller noch vor Bestandskraft der Entscheidung des Bundesamtes freiwillig seine frühere Staatsangehörigkeit wieder erlangt. Dem Kläger kann nicht zugemutet werden, seinem Asylfolgeverfahren durch Stellung eines Wiedereinbürgerungsantrages den Boden zu entziehen. Dabei kommt es nicht auf die Frage an, ob der Asylfolgeantrag in der Sache Erfolgsaussichten hat. Dies zu beurteilen, ist weder Sache der Beklagten noch der entscheidenden Kammer.