VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 19.06.2008 - 12 A 29/08 - asyl.net: M14382
https://www.asyl.net/rsdb/M14382
Leitsatz:
Schlagwörter: Kosovo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, fachärztliche Stellungnahmen, medizinische Versorgung, Suizidgefahr, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klage hat Erfolg.

Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte im Hinblick auf ihre Erkrankung das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in ihrer Person feststellt.

Nach Auswertung der von der Klägerin vorgelegten fachärztlichen Stellungnahmen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Zahlreiche Ärzte - Dr. med. ..., Dr. med. ... vom DRK-Krankenhaus ..., der sozialpsychiatrische Dienst des Gesundheitsamtes der Stadt ... und Herr Dr. med. ... haben bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Zwar haben die Ärzte ihre Diagnose vorrangig aufgrund der Symptomatik der Klägerin festgestellt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang aber, dass eine Feststellung der das Trauma auslösenden Ereignisse (wie sie das Bundesamt verlangt) - eine sog. Traumakonfrontation - erst möglich ist, wenn eine gewisse Stabilisierung eingetreten sei. Insofern leuchtet es ein, dass die behandelnden Ärzte im jetzigen Behandlungsstadium nicht vorrangig alle in ihrem Heimatland erlebten Ereignisse ausleuchten.

Im Zusammenhang mit der Symptomatik besteht nach Aussage der die Klägerin behandelnden Fachärzte eine latente Suizidalität (vgl. bereits das Attest des Dr. ... vom 24.02.2005). Bei regelmäßigem Einsatz der benötigten Medikamente kann ein gewisser Stabilisierungszustand erreicht werden. Bei Wegfall der Medikation ist mit einer Verschlechterung zu rechnen bis hin zu akuter Suizidalität zu rechnen.

Nach einer Auskunft des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo vom 04.04.2007 kann die Klägerin bei einer Rückkehr in den Kosovo zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit das von ihr benötigte Medikament Lyogen - und auch ein vergleichbares Mittel - nicht erhalten. Selbst wenn es inzwischen verfügbar wäre, ist zu berücksichtigen, dass es noch immer zu (finanziellen) Engpässen und anderen Unregelmäßigkeiten bei der Medikamentenversorgung (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.11.2007) kommt. Nach dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Juni 2007 hat selbst die "essential drug list" heute kaum noch praktische Bedeutung. Die dort aufgelisteten Präparate sind danach in den Apotheken häufig nicht erhältlich und auch in den Krankenhäusern nicht immer verfügbar. Dies - so der Bericht - hat zur Folge, dass Medikamente meist aus eigenen Mitteln bezahlt werden müssten. Die Klägerin verfügt jedoch nicht über derartige Mittel. Aufgrund ihres Aufenthalts in Deutschland und unter Berücksichtigung der hohen Arbeitslosigkeit im Kosovo haben weder sie noch ihre Angehörigen Aussicht, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Dies gilt erst recht für die Klägerin im Hinblick auf ihre Erkrankung. Die Sozialhilfeleistungen, die lediglich 35 Euro für die erste Person und maximal 75 Euro für Familien betragen, reichen kaum aus, um den laufenden Lebensunterhalt zu bestreiten (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.11.2007) und stehen daher für den Kauf für das von der Klägerin benötigte Medikament Lyogen nicht zur Verfügung.