VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 24.06.2008 - 2 A 13/08 - asyl.net: M14376
https://www.asyl.net/rsdb/M14376
Leitsatz:

Zwar keine mittelbare Gruppenverfolgung von Yeziden in der Türkei mehr, aber keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung wegen Unterstützung der PKK.

 

Schlagwörter: Türkei, Widerruf, Kurden, Jesiden, Gruppenverfolgung, Verfolgung durch Dritte, mittelbare Verfolgung, PKK, Unterstützung, Separatisten, Menschenrechtslage, Verfolgungssicherheit, Strafurteil, Strafhaft, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Zwar keine mittelbare Gruppenverfolgung von Yeziden in der Türkei mehr, aber keine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung wegen Unterstützung der PKK.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Widerruf kann nach diesen Maßstäben nicht auf eine nachträgliche entscheidungserhebliche Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse im Vergleich zu denjenigen zum Zeitpunkt der Anerkennungsentscheidung (1990 und 1993) nach den o. g. Maßstäben gestützt werden. Die Asylanerkennung der Kläger erfolgte, weil sie wegen ihrer yezidischen Religionszugehörigkeit einer mittelbaren Gruppenverfolgung in ihrer Heimat ausgesetzt waren und darüber hinaus eine Individualverfolgung des Klägers zu 2. gegeben war. Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Urteil vom 17. Juli 2007 (- 11 LB 332/03 -), der sich die Kammer angeschlossen hat, sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischer Religionszugehörigkeit bei einer Rückkehr in ihr Heimatland zwar hinreichend vor Verfolgung sicher. Dies reicht für einen Widerruf dann nicht aus, wenn die hinreichende Verfolgungssicherheit aus anderen Gründen nicht gegeben ist. Dies ist hier der Fall. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte geht nach Auswertung aktueller Erkenntnismittel nach wie vor davon aus, dass es in der Türkei trotz der eingeleiteten Reformen immer noch zu menschenrechtswidriger Behandlung von inhaftierten Regimegegnern kommt, insbesondere, wenn sie der Begehung von Staatsschutzdelikten verdächtigt werden. Neben wegen entsprechenden Verdachts vorverfolgten Asylbewerbern gelten als besonders gefährdet Personen, die durch ihre Nachfluchtaktivitäten als exponierte und ernst zu nehmende Gegner des türkischen Staates in Erscheinung getreten sind und die sich dabei nach türkischem Strafrecht strafbar gemacht haben (vgl. OVG NW, Urt. vom 17. April 2007 - 8 A 2771/06.A; Nds. OVG, Urteile vom 25. Januar 2007 - 11 LB 4/06 - und vom 18. Juli 2006 - 11 LB 75/06; OVG Rh.- Pf., Urteil vom 1. Dezember 2006 - 10 A 10887/06.OVG - m.w.N.; zur Rückkehrgefährdung vgl. auch Kaya, Stellungnahme vom 22. Mai 2007 an Rechtsanwalt ..., Bl. 80 ff. GA). Dies gilt insbesondere für Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten oder als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden.

Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger zu 2. vor. Bereits bei seiner Anhörung im Asylerstverfahren am 11. Oktober 1990 hat er seine Vorverfolgung wegen Unterstützung der PKK und die daraus folgende Verurteilung wegen Mordes zu 18 Jahren Haft vorgetragen (Bl. 16 ff BA "B") und ist deshalb mit Bescheid vom 23. Oktober 1990 als Asylberechtigter anerkannt worden. Auch wenn er nach einer Haftzeit von 7 Jahren entlassen worden ist und der Staatsanwalt keine Bedenken gegen seine anschließende Ausreise hatte, rechtfertigt dies nicht den Schluss, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland vor Verfolgung hinreichend sicher wäre. Hinsichtlich der für diese Einschätzung maßgeblichen objektiven Verhältnisse in der Türkei lässt sich aus den aktuellen Erkenntnismitteln nicht eine wesentliche nachträgliche und dauerhafte Veränderung feststellen (ebenso VG Stuttgart, Urt. v. 14.1.2008 - A 11 K 4866/07 - in juris; VG Minden, Urt. v. 28.7.2006 - 8 K 275/06.A -; VG Braunschweig, Urt. v. 11.9.2007 - 5 A 316/06 -; VG Hannover, Urt. v. 30.1.2008 - 1 A 7832/05 -; VG Oldenburg, Urt. v. 4.10.2007 - 5 A 4386/06 -). Diesbezüglich macht sich der Einzelrichter die Würdigung der Erkenntnismittel in den o.g. Entscheidungen zu eigen und verweist auf sie. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften seit Juni 2004 wieder aufgeflammt sind und ein Anstieg von Übergriffen der Sicherheitskräfte erneut zu verzeichnen ist und der Verschärfung des Antiterrorgesetzes am 29. Juni 2006 als Reaktion auf die Zunahme der Spannungen im Südosten der Türkei kann damit nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger zu 2. bei einer Rückkehr in die Türkei Verfolgungsmaßnahmen nicht mehr ausgesetzt sein wird.

Liegen mithin die Voraussetzungen für einen Widerruf der Asylanerkennung des Klägers zu 2 nicht vor, ist auch der Widerruf hinsichtlich der Klägerin zu 1. rechtlich zu beanstanden, weil ihr ein Anspruch auf Familienasyl zusteht.