VG München

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Zitieren als:
VG München, Urteil vom 14.08.2008 - M 10 K 07.2879 - asyl.net: M14300
https://www.asyl.net/rsdb/M14300
Leitsatz:

Ist die Erwerbstätigkeit eines türkischen Arbeitnehmers durch Arbeitslosigkeit unterbrochen, können die Beschäftigungszeiten nicht im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrick ARB Nr. 1/80 addiert werden.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, nachträgliche Befristung, Ermessen, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Erwerbstätigkeit, Arbeitnehmer, Addition, Unterbrechung, Arbeitslosigkeit
Normen: ARB Nr. 1/80 Art. 6 Abs. 1; ARB Nr. 1/80 Art. 6 Abs. 2; AuslG § 12 Abs. 2 S. 2
Auszüge:

Ist die Erwerbstätigkeit eines türkischen Arbeitnehmers durch Arbeitslosigkeit unterbrochen, können die Beschäftigungszeiten nicht im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrick ARB Nr. 1/80 addiert werden.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage hat sich nicht etwa hinsichtlich der Anfechtung des Bescheids des Beklagten vom ... September 2003 erledigt. Das Rechtsschutzinteresse des Klägers ist nicht dadurch entfallen, dass die zuletzt erteilte Aufenthaltserlaubnis bis 14. Dezember 2004 befristet war und die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids vom ... September 2003 im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts nicht mehr zum Wiederaufleben der Aufenthaltserlaubnis führen kann. Obwohl der streitgegenständliche Bescheid mittlerweile keinen Einfluss mehr auf das Bestehen einer Aufenthaltserlaubnis des Klägers hat, gehen von ihm dennoch weiterhin Rechtswirkungen aus, aus denen sich eine Rechtsverletzung des Klägers ergeben kann. Würde der Bescheid vom ... September 2003 bestehen bleiben, würde dies dazu führen, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) erwerben kann.

Die Klage ist jedoch sowohl in ihrem Anfechtungs- als auch Verpflichtungsantrag unbegründet.

Die nachträgliche zeitliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis in Nr. 1 des Bescheids kann sich in rechtmäßiger Weise auf § 12 Abs. 2 Satz 2 Ausländergesetz in der Fassung des Gesetzes vom 9. Januar 2002 (AuslG) stützen. Nach dieser Vorschrift kann die Frist einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nachträglich verkürzt werden, wenn eine für die Erteilung wesentliche Voraussetzung entfallen ist. Dies war hier der Fall.

Die Ermessensentscheidung des Beklagten, von der Möglichkeit der nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis Gebrauch zu machen, ist nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch sein Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise ausgeübt (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Die Ermessensentscheidung ist insbesondere nicht deshalb fehlerhaft, weil dem Kläger ein anderweitiger Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zusteht.

Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis könnte sich für den Kläger allenfalls aus Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 ergeben.

Nach den von dem Kläger vorgelegten Bescheinigungen hat dieser zunächst in der Zeit vom 17. Juni 2002 bis 1. Januar 2003 bei der ... GmbH gearbeitet. Zum 2. Januar 2003 wurde ihm aufgrund Beschäftigungsmangels im Winter gekündigt (vgl. Bl. 54 der Behördenakten). Erst ab dem 10. März 2003 war er wieder bei der ... GmbH beschäftigt. Eine Beschäftigungsdauer von einem Jahr würde sich deshalb nur ergeben, wenn die Beschäftigungszeiträume im Jahr 2002 und ab 10. März 2003 zusammengezählt werden dürften. Eine derartige Addition von Beschäftigungszeiten, die für sich genommen Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 nicht erfüllen, kommt jedoch nicht in Betracht (vgl. BayVGH, Beschl. v. 22.1.2007, Az. 24 CS 06.3256, juris RdNr. 10).

Eine derartige Addition ist nicht etwa aufgrund der Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 ARB 1/80 durchzuführen. Nach dieser Vorschrift werden der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Hiervon sind nur solche Unterbrechungen erfasst, die generell als Bestandteil jedes Arbeitsverhältnisses anzusehen sind (BayVGH v. 22.1.2007, a.a.O.; VG München, Beschl. v. 8.11.2006, Az. M 10 S 06.3423). Wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift scheidet eine erweiternde Auslegung aus. Insbesondere kann die im vorliegenden Fall ausgesprochene Kündigung zum 2. Januar 2003 nicht mit einer kurzen Krankheit oder einem Jahresurlaub gleichgesetzt werden. Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 regelt die Berücksichtigung von Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses abschließend (vgl. GK-Aufenthaltsgesetz, Art. 6 ARB 1/80, RdNr. 190). Nachdem in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 der Fall der unverschuldeten Arbeitslosigkeit und die daraus zu ziehenden Rechtsfolgen ausdrücklich geregelt sind, besteht keine Möglichkeit die Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 ARB 1/80 analog auf ein (unverschuldet) gekündigtes Arbeitsverhältnis analog anzuwenden. Es fehlt an einer hierfür erforderlichen Regelungslücke.

Die Beschäftigungszeiten des Klägers sind auch nicht aufgrund der Regelung des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 als ausreichend anzusehen. Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 werden die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche. Nachdem die Vorschrift von "erworbenen Ansprüchen" spricht, setzt sie voraus, dass vor dem unterbrechenden Ereignis bereits eine Beschäftigungszeit liegt, die zu einem Anspruch nach Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 geführt hat. Es muss sich dabei um vorherige Beschäftigungszeiten handeln, die ausreichend lang sind, um einen Anspruch zu begründen, der fortbestehen soll (vgl. BayVGH v. 22.1.2007, a.a.O. RdNr. 10). Die Arbeitslosigkeit des Klägers in Folge der Kündigung zum 2. Januar 2003 führt daher dazu, dass die Jahresfrist des Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 erst mit Wiederaufnahme der Beschäftigung am 10. März 2003 erneut zu laufen begann. Eine Addition der beiden Beschäftigungsperioden kommt nicht in Betracht, nachdem aufgrund des ersten Beschäftigungszeitraums kein Anspruch entstanden war (vgl. ebenso GK-AufenthG, ARB 1/80, Art. 6 RdNr. 205 u. EuGH, Urt. v. 26.10.2006, Az. C-4/05, RdNr. 42, 43).