VGH Baden-Württemberg

Merkliste
Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.08.2008 - 11 S 1443/08 - asyl.net: M14298
https://www.asyl.net/rsdb/M14298
Leitsatz:

Örtlich zuständig für die Änderung einer Wohnsitzauflage zur Aufenthaltserlaubnis ist die Ausländerbehörde, in deren Bezirk der Ausländer seinen Wohnsitz nehmen muss.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Nebenbestimmung, Wohnsitzauflagen, Wiederaufgreifen des Verfahrens, Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, Umverteilung, Ausländerbehörde, gewöhnlicher Aufenthalt, Verlassenspflicht, Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1; VwVfG § 3 Abs. 1 Nr. 3a; SGB I § 30 Abs. 3 S. 2; AAZuVO § 4 Abs. 2; AufenthG § 12 Abs. 3
Auszüge:

Örtlich zuständig für die Änderung einer Wohnsitzauflage zur Aufenthaltserlaubnis ist die Ausländerbehörde, in deren Bezirk der Ausländer seinen Wohnsitz nehmen muss.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Das Verwaltungsgericht hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, den – bedürftigen – Klägern Prozesskostenhilfe für das Verfahren 2 K 367/08 zu gewähren, weil die (im Hauptantrag) auf Verpflichtung der Beklagten zur Streichung der Nebenbestimmung in ihren Aufenthaltserlaubnissen "Wohnsitznahme im Freistaat Sachsen im Falle des Leistungsbezugs nach SGB II oder SGB XII" und (im Hilfsantrag) auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen ohne diese Nebenbestimmung gerichteten Klagen keine hinreichenden Erfolgsaussichten haben.

Die Beklagte ist für das Begehren der Kläger nicht passiv legitimiert. Der Sache nach begehren die Kläger im Hauptantrag einWiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der offenbar bestandskräftigen Wohnsitzauflagen gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG. Nach Absatz 4 der Norm entscheidet über einen entsprechenden Antrag die nach § 3 LVwVfG zuständige Behörde und zwar auch dann, wenn die angegriffene Wohnsitzauflage – wie im vorliegenden Fall – von einer anderen Behörde erlassen worden ist. Die Beklagte ist jedoch in diesem Sinne nicht zuständige Behörde. Örtlich zuständige Behörde ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 a LVwVfG vielmehr diejenige, in deren Bezirk die Kläger ihren "gewöhnlichen Aufenthalt" haben oder zuletzt hatten. Durch ihren Umzug nach Backnang und die dortige Anmeldung am 07.10.2007 haben die Kläger im Rechtssinne keinen gewöhnlichen Aufenthalt in Backnang begründet und können diesen auch, solange sie – wie derzeit – im Leistungsbezug nach SGB II oder XII stehen und die angegriffene Wohnsitzauflage fortbesteht, außerhalb Sachsens nicht begründen. In Anlehnung an die Definition des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Im Falle von Ausländern ist hierfür Voraussetzung, dass dieses nicht nur vorübergehende Verweilen nach den Vorschriften des Ausländerrechtes zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 20.05.1987 – 10 RKg 18/85 –, InfAuslR 1988, 52). Der tatsächliche Aufenthalt eines Ausländers kann im Rechtssinne mithin erst dann zum gewöhnlichen Aufenthalt werden, wenn ausländerrechtlich davon auszugehen ist, dass der Ausländer auf unabsehbare Zeit dort bleiben kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.02.1993 – 1 C 45.90 –, BVerwGE 92, 116; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10.04.2000 – 3 M 132/99 –, juris). Daran fehlt es im Falle der Kläger. Seitdem sie Leistungen nach dem SGB II beziehen, haben sie ihren Wohnsitz ausländerrechtlich in Sachsen zu nehmen. Gemäß § 12 Abs. 3 AufenthG müssen die Kläger Backnang unverzüglich verlassen, weil sie sich dort ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde der räumlichen Beschränkung ihrer Aufenthaltserlaubnisse zuwider aufhalten.

Eine Zuständigkeit der Beklagten ergibt sich auch nicht aus § 4 Abs. 2 Satz 1 AAZuVO. Hiernach ist jede Ausländerbehörde zur Entscheidung über die bei ihr gestellten Anträge zuständig, soweit keine Zuständigkeit nach Absatz 1 der Norm begründet ist. Dies ist zwar dem Wortlaut nach gegeben. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AAZuVO ist die Ausländerbehörde örtlich zuständig, in deren Dienstbezirk sich der Ausländer gewöhnlich aufhält. Daran fehlt es, wie oben dargelegt, im Falle der Kläger in Backnang. § 4 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AAZuVO scheidet aus, weil die Kläger nicht aufgrund eines Auslandsaufenthaltes keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Auch § 4 Abs. 1 Satz 2 AAZuVO findet im Falle der Kläger keine Anwendung. Zwar liegt eine Wohnsitzauflage bezüglich Sachsen vor. Das Land Baden-Württemberg kann aber mangels Verbandskompetenz gemäß Art. 83, Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG keine örtliche Zuständigkeit in einem anderen Bundesland bestimmen.

§ 4 Abs. 2 Satz 1 AAZuVO ist dennoch nicht einschlägig. Denn nach Sinn und Zweck der Norm kann diese Auffangzuständigkeit nur dann zum Tragen kommen, wenn nicht nur keine Zuständigkeit nach § 4 Abs. 1 AAZuVO begründet ist, sondern überhaupt keine ausländerrechtliche Zuständigkeit im Bundesgebiet vorliegt. Daran fehlt es hier, weil die Kläger ihren gewöhnlichen Aufenthalt zuletzt in Sachsen hatten und diesen dort aufgrund der Wohnsitzauflage im Rechtssinne durch Umzug in ein anderes Bundesland derzeit auch nicht verlieren können.