VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 09.09.2008 - 11 ZB 08.30289 - asyl.net: M14250
https://www.asyl.net/rsdb/M14250
Leitsatz:
Schlagwörter: Berufungszulassungsantrag, Verfahrensmangel, Begründungserfordernis, Urteilsgründe, rechtliches Gehör, Beweisantrag, eigene Sachkunde, Sachverständigengutachten, Erkenntnismittel, Herkunftsländerinformationen, Auswärtiges Amt, Divergenz
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3; VwGO § 138 Nr. 6; VwGO § 138 Nr. 3; VwGO § 98; ZPO § 412; GG Art. 103 Abs. 1; AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 2
Auszüge:

1. Dem Verwaltungsgericht Ansbach ist bei seiner Entscheidung kein Verfahrensfehler i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG unterlaufen.

b) Auch ein Verfahrensfehler in Gestalt der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr.3 VwGO) ist nicht gegeben.

Für einen insoweit ähnlich gelagerten Fall hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss vom 5. September 2002 (Az. 2 BvR 995/02, zit. nach Juris) festgestellt, "die Tatsachengerichte können einen Beweisantrag auf Einholung von Sachverständigengutachten im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen (vgl. die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, z. B. Beschluss vom 27. Februar 2001, Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 46). Vorliegend hat das Verwaltungsgericht auf seine eigene Sachkunde, beruhend auf den vorliegenden Erkenntnismitteln, verwiesen. Erforderlich ist in einem solchen Fall, dass das Tatsachengericht seine Entscheidung nachvollziehbar begründet und insbesondere angibt, woher es seine Sachkunde hat. Wie konkret der Nachweis der eigenen Sachkunde des Gerichts zu sein hat, hängt dabei von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, insbesondere den jeweils in tatsächlicher Hinsicht in dem Verfahren in Streit stehenden Einzelfragen ab; jedenfalls muss der Nachweis plausibel und nachvollziehbar sein und der Verweis auf vorhandene Gutachten und Auskünfte dem Einwand der Beteiligten standhalten, dass in diesen Erkenntnisquellen keine, ungenügende oder widersprüchliche Aussagen zur Bewertung der aufgeworfenen Tatsachenfragen enthalten seien (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 19. September 2001, AuAS 2001, S. 263 und Beschluss vom 27. Februar 2001, a.a.O.)". Diesen Anforderungen genügt die protokollierte Kurzbegründung des Ablehnungsbeschlusses in der mündlichen Verhandlung vom 8. Juli 2008 noch.

Mit ihrem Zulassungsantrag machen die Kläger geltend, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, weil das Verwaltungsgericht trotz Beweisantrags und trotz Vorliegens völlig einseitiger und unzureichender Erkenntnismittel kein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt habe, die Notwendigkeit der Einholung weiterer Sachverständigengutachten zur aktuellen Gefährdung syrisch-orthodoxer Christen, insbesondere von Pfarrern, in der Türkei sich aber geradezu aufgedrängt habe. Die Westtürkei stelle für die Kläger auch keine inländische Fluchtalternative dar, weil ihnen dort nur ein Leben unterhalb des Existenzminimums möglich wäre und von den Klägern vernünftigerweise nicht erwartet werden könne, sich im Westteil der Türkei, insbesondere in Istanbul, aufzuhalten. Ein Verstoß gegen das einfachrechtliche Gebot des § 86 Abs. 1 VwGO, den Sachverhalt umfassend aufzuklären, stellt in aller Regel nicht zugleich einen Zulassungsgrund i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr.3 VwGO dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts bietet Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz dagegen, dass ein angebotener Beweis aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts nicht erhoben wird. Die Nichtberücksichtigung eines von den Fachgerichten als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt nur dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. etwa BVerfGE 69, 141 ff.; 69, 145 ff.; BVerwG vom 22.2.2005 Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 36). Die Ablehnung des klägerischen Beweisantrags ist im Lichte dieser Anforderungen noch ausreichend begründet. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht nicht ausschließlich Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat sondern in den Entscheidungsgründen auch die von den Klägern in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse, insbesondere das Gutachten von Dr. Oehring vom 6. April 2008, würdigt. Es bewertet diese im Ergebnis anders als die Kläger es tun, weshalb die Kläger mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts inhaltlich nicht einverstanden sind. Unabhängig davon, ob die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Bewertung der ihm vorliegenden Erkenntnisse zutreffend ist oder nicht, liegt darin kein Gehörsverstoß (vgl. BVerfG vom 19.7.1967, BVerfGE 22, 267). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung, die die Kläger letztlich der Sache nach geltend machen, stellen im Asylrecht, anders als nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, gerade keinen Zulassungsgrund dar. Die Aufzählung in § 78 Abs. 3 AsylVfG ist abschließend.

2. Die Kläger machen ferner geltend, das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 17. Juli 2008 weiche im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab.

Die Prognosebasis müsse durch das Gericht sachgerecht und methodisch einwandfrei erarbeitet werden. Dies sei gemäß Urteil des BVerfG, InfAuslR 1993, 146 und BVerwGE 87, 141 dann der Fall, wenn die Tatsachenermittlungen einen hinreichenden Grad an Verlässlichkeit aufwiesen und dem Umfang nach zureichend seien. Da sich das Verwaltungsgericht Ansbach bei den Erkenntnismitteln lediglich auf drei Berichte des Auswärtigen Amtes beziehe, weiche es von diesen Urteilen ebenso ab, wie von der Entscheidung BVerwGE 85, 92, nach der es verboten sei, eine Auswahl und Selektion von Beweismitteln vorzunehmen und abweichende Erkenntnismittel nicht in nachweisbarer Weise zu berücksichtigen. Diese Rügen treffen inhaltlich nicht zu, denn insbesondere Seite 20 der angefochtenen Entscheidung zeigt, dass das Verwaltungsgericht sich auch mit den von der Klägervertreterin vorgelegten Erkenntnismitteln befasst hat. Vor allem aber stellt die unrichtige Anwendung eines Rechtssatzes keine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG dar (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 12. Auflage 2006, RdNr. 82 zu § 124 unter Verweis auf BVerwG NVwZ-RR 1997, 191).