VG Schwerin

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Zitieren als:
VG Schwerin, Urteil vom 16.07.2008 - 5 A 92/05 As - asyl.net: M14216
https://www.asyl.net/rsdb/M14216
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen zwar niedrig profilierten, aber vielfältigen exilpolitischen Engagements eines iranischen Staatsangehörigen.

 

Schlagwörter: Iran, exilpolitische Betätigung, Oppositionelle, Regimegegner, Monarchisten, Veröffentlichung, Internet, Zeitschriften, Fernsehen, Überwachung im Aufnahmeland, Auslandsaufenthalt, Asylantragstellung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung wegen zwar niedrig profilierten, aber vielfältigen exilpolitischen Engagements eines iranischen Staatsangehörigen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat allerdings aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten zu der Feststellung, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Allein aufgrund seiner Asylantragstellung in Deutschland und seinem Aufenthalt im Bundesgebiet hat der Kläger somit im Fall einer Rückkehr in sein Heimatland keine Maßnahmen seitens der iranischen Behörden zu befürchten.

Die Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG sind vorliegend allerdings deshalb zu bejahen, weil aufgrund der umfangreichen exilpolitischen Aktivitäten des Klägers für die monarchistische Bewegung wie der Veröffentlichung von regimekritschen Gedichten, Karikaturen, Artikeln bzw. Interviews mit hochrangigen Persönlichkeiten der iranischen Auslandsopposition in den Zeitungen ... und ..., dem Betreiben einer eigenen Internetseite namens ... der Veröffentlichung von regimekritischen Beiträgen im Internet auf den Seiten ... und ..., der Herausgabe der Zeitschrift ..., der Werbung für die eigene Internetseite ... und als Herausgeber eines an die iranische Führung gerichteten offenen Briefes, der Veröffentlichung von Beiträgen und Gedichten im iranischen Auslandsfernsehen ("TV Azadi" und "Channel I" in den USA) sowie der Veröffentlichung von zwei Gedichtbänden von einer Rückkehrgefährdung des Klägers auszugehen ist.

Zwar handelt es sich nach Einschätzung des Gutachters Uwe Brocks in der vom Gericht für den vorliegenden Fall angeforderten Stellungnahme vom 2. Mai 2008 bei sämtlichen Veröffentlichungen des Klägers um klar - auch für die iranischen Behörden - zweckgerichtete Äußerungen im Rahmen der Betreibung eines Asylverfahrens. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger (und damit auch die von ihm propagierte Einstellung, die im Wesentlichen aus einer Ablehnung des Regimes bestehe) den iranischen Sicherheitsbehörden bekannt geworden sei, sei einerseits als relativ hoch einzuschätzen, da der Kläger tatsächlich jahrelange und unablässige Aktivitäten entfaltet habe, wenn auch das Ganze in jüngster Zeit etwas zurückgegangen sei. Allerdings habe der Kläger seit der Einrichtung seiner Internetseite, die zeitgleich mit dem Beginn der Publikationstätigkeit erfolgt sei, relativ viel - verglichen mit ähnlichen Verfahren - veröffentlicht, so dass es im vorliegenden Fall jedenfalls mit einer durchaus hohen Wahrscheinlichkeit so sei, dass der Kläger - auf verschlungenen Wegen, die man nicht im Einzelnen nachvollziehen könne - den iranischen Sicherheitsbehörden bekannt geworden sei. Weiter sei der Kläger zwar trotz der Häufigkeit und des Inhalts seiner Veröffentlichungen nicht als herausragende Persönlichkeit innerhalb der iranischen Exilszene anzusehen, da er keine leitende Funktion innerhalb der organisierten Exilopposition einnehme. Auch sei die Frage zu verneinen, ob die iranischen Sicherheitskräfte das exilpolitische Engagement des Klägers als ernsthafte Bedrohung des Regimes betrachten würden. Das heiße aber nicht notwendig, dass dem Kläger keine Verfolgung bei Rückkehr drohe, denn auch unabhängig davon, ob der Kläger von den iranischen Behörden als ernsthafte Bedrohung des Regimes angesehen werden würde, habe er sich jedenfalls in einer dauerhaft-unablässigen Weise außerhalb der für Iran geltenden Regeln für die öffentliche Wahrnehmbarkeit gestellt, und da es natürlich auch im Hinblick auf die als solche tolerierten europäischen Zwecksetzungen des Klägers Grenzen gebe, die er nicht ohne Sanktionen überschreiten könne, dürfte der Kläger mit einer durchaus äußerst beachtlichen Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, nicht ungeschoren davonzukommen, wenn die auf unklaren Wegen nach Iran gelangten Informationen gegen ihn verwendet würden. Die unablässige Bedienung des in Europa notwendig Geforderten entfalte eine Art Eigendynamik, so dass die Leute irgendwann die Grenze überschritten, wo sie bei unterstellter Rückkehr seitens der iranischen Behörden nicht mehr als Iraner aufgefasst werden, die "für Europa das Nötige tun", sondern als Leute, die "es doch stark übertrieben hätten". So ein Fall scheine hier vorzuliegen.

Angesichts dieser Einschätzung - an deren Richtigkeit das Gericht keinen Anlass zu Zweifeln sieht - ist von einer Rückkehrgefährdung des Klägers aufgrund seiner exilpolitischen Tätigkeit auszugehen.