VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 17.07.2008 - 2 K 93/08.TR - asyl.net: M14214
https://www.asyl.net/rsdb/M14214
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für iranische Staatsangehörige wegen Veröffentlichung von regimefeindlichen Artikeln auf der Internetseite der Volksmudjahedin.

 

Schlagwörter: Iran, exilpolitische Betätigung, Oppositionelle, Regimegegner, Volksmudjahedin, Überwachung im Aufnahmeland, Demonstration, Internet, Artikel
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung für iranische Staatsangehörige wegen Veröffentlichung von regimefeindlichen Artikeln auf der Internetseite der Volksmudjahedin.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klägerin hat jedoch Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4, 1 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG.

Eine exilpolitische Tätigkeit ist abschiebungsrechtlich dann relevant, wenn der Asylbewerber nach außen hin in exponierter Weise für eine regimefeindliche Organisation aufgetreten ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. April 1999 - 9 A 5338/98.A -). Dabei wird die exponierte Tätigkeit durch die konkret individuellen Umstände des Einzelfalles geprägt. Ausgangspunkt für die notwendige Differenzierung zwischen unbeachtlicher, öffentlich zur Schau gestellter Kritik einerseits und beachtlichem exponiertem Auftreten in der Öffentlichkeit für eine regimefeindliche Organisation andererseits bildet die Erkenntnis, dass der iranische Geheimdienst Oppositionsgruppen in der Bundesrepublik Deutschland intensiv beobachtet (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.03.2008) und sich bemüht, die Mitglieder und/oder Anhänger dieser Organisationen sowie die Teilnehmer von Demonstrationen oder sonstigen öffentlichen Aktionen zu fotografieren oder zu erfassen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, a. a. O.; Sächsisches OVG, Urteil vom 05. Juni 2002 - 2 B 117/01 -). Darüber hinaus ist in Rechnung zu stellen, dass den iranischen Behörden aufgrund ihrer intensiven Beobachtungen bekannt ist, dass ein nach außen zum Ausdruck gebrachtes politisches Engagement vielfach nicht ernsthaft ist und nur zur Erlangung von Vorteilen im Asylverfahren an den Tag gelegt wird. Angesichts dessen werden die iranischen Stellen die schwierigen und aufwändigen Ermittlungen zur Identifizierung von Asylsuchenden auf diejenigen Personen beschränken, die aufgrund besonderer Umstände über die massentypischen und niedrig profilierten Erscheinungsformen exilpolitischer Proteste hinaus Funktionen wahrgenommen und/oder Aktivitäten entwickelt haben, die den jeweiligen Asylsuchenden aus der Masse, die mit dem Regime in Teheran unzufrieden ist, herausheben und als ernsthaften Regimegegner erscheinen lassen (OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.). Nach der Auskunftslage unterscheiden iranische Stellen je nach der Bedeutung der Organisation und der Person sowie der Aktivitäten, ob gegen den Betreffenden vorgegangen wird. Bei aktiven Mitgliedern an exponierter Stelle besteht eine erhöhte Gefährdung. Eine solche Exponiertheit wird angenommen, wenn der Betreffende Führungsaufgaben in der politischen Organisation wahrnimmt, an Veranstaltungen teilnimmt, welche nur führenden Mitgliedern vorbehalten sind, oder die Verantwortung für Presseerzeugnisse der Organisation übernommen hat (vgl. insoweit Bundesamt für Verfassungsschutz, Stellungnahme vom 11. Dezember 2000 an das VG Köln und Stellungnahme vom 30. Januar 2003 an das VG Braunschweig). Darüber hinaus entscheidend ist ein Hervortreten in der Öffentlichkeit, das aufgrund der Persönlichkeit des Asylsuchenden, der äußeren Form seines Auftritts und nicht zuletzt aufgrund des Inhalts der in der Öffentlichkeit abgegebenen Erklärungen den Eindruck erweckt, dass der Asylsuchende allein oder aber im gegebenenfalls konspirativen Zusammenwirken mit anderen zu einer Gefahr für den Bestand des Mullah-Regimes wird.

Die Klägerin hat an einer Veranstaltung der Volks-Mudjahedin in Paris teilgenommen, die auch in der Presse große Beachtung fand. Damit ist sie allerdings noch nicht im Besonderen aus der Masse der Unzufriedenen hervorgetreten. Die Schwelle der ernst zu nehmenden, auch in den Augen des iranischen Regimes als gefährlich einzuschätzenden politischen Gegnerschaft ist jedoch durch die von der Klägerin verfassten Internet-Artikel unter ihrer persönlichen Namensnennung überschritten. Die in diesem Verfahren und in dem Verfahren 2 K 94/08.TR vorgelegten Artikel haben eindeutig einen politischen Bezug und zielen inhaltlich auf den Sturz des Mullah-Regimes im Iran hin, so dass nach Auffassung des Gerichts sehr wohl der Schluss zulässig ist, dass die Klägerin aus der Masse der oppositionellen Iraner erkennbar hervorgetreten ist und daher davon auszugehen ist, dass sie vom iranischen Geheimdienst genau beobachtet wird. Dies gilt umso mehr, als die Veröffentlichungen auf einer Internetseite der Volks-Mudjahedin erfolgen, deren Mitglieder im Iran erhöhter asylerheblicher Gefährdung unterliegen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, a.a.O.).