VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 17.07.2008 - 2 K 95/08.TR - asyl.net: M14213
https://www.asyl.net/rsdb/M14213
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung einer iranischen Staatsangehörigen wegen Übertritts zum Christentum.

 

Schlagwörter: Iran, Christen, Konversion, Apostasie, religiös motivierte Verfolgung, nichtstaatliche Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Willkür, Religion, religiöses Existenzminimum, Übergriffe, Glaubwürdigkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 9 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b
Auszüge:

Flüchtlingsanerkennung einer iranischen Staatsangehörigen wegen Übertritts zum Christentum.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klägerin, die im Bundesgebiet zum christlich-evangelischen Glauben übergetreten ist, hat im Falle ihrer nunmehrigen Rückkehr in den Iran unabhängig von dem Vorliegen etwaiger Vorfluchtgründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG relevanten Verfolgungsmaßnahmen seitens des iranischen Staates in Anknüpfung an ihren Übertritt vom Islam zum christlichen Glauben zu rechnen.

Zunächst ist festzuhalten, dass mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. 2007, 1970) eine Rechtsänderung kodifiziert wurde, die einen wesentlich umfangreicheren Schutz der persönlichen Glaubensbetätigung enthält, als dies zuvor der Fall war. Gegenüber der bisherigen Annahme der verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, wonach sowohl Art. 16 a Abs. 1 GG als auch § 60 Abs. 1 AufenthG lediglich das sogenannte religiöse Existenzminimum schützt (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Juli 1987, BVerfGE 76, 143; BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2004, NVwZ 2004, 1000), sind nunmehr zur Auslegung des Begriffes der Religion im Zusammenhang mit der Prüfung von Verfolgungsgründen die Maßgaben der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatenangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sogenannte Qualifikationsrichtlinie, Amtsblatt der Europäischen Union L 304/12 vom 30. September 2004) zu beachten. Dies sieht § 60 Abs. 1 S. 5 AufenthG nunmehr ausdrücklich vor. Art. 10 Abs. 1 b der Qualifikationsrichtlinie erweitert den Bereich geschützter religiöser Betätigung. Das folgt aus dem Zweck der Qualifikationsrichtlinie. Gemäß Abs. 1 der Präambel ist Ziel, eine gemeinsame Asylpolitik der in der Europäischen Union verbundenen Mitgliedstaaten zu schaffen. Mittels eines gemeinsamen Asylsystems sollen die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Zuerkennung und die Merkmale der Flüchtlingseigenschaft einander angenähert werden (Präambel Abs. 4). Wesentliches Ziel der Qualifikationsrichtlinie ist es, ein Mindestmaß an Schutz von Flüchtlingen in allen Mitgliedsstaaten zu gewährleisten (Präambel Abs. 6), auch um die Sekundärmigration von Asylbewerbern zwischen den Mitgliedsstaaten, soweit sie auf unterschiedlichen Rechtsvorschriften beruht, einzudämmen (Präambel Abs. 7). Nach den Absätzen 16 und 17 der Präambel sollen Mindestnormen für die Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und ihre Merkmale festgelegt werden, um die jeweiligen innerstaatlichen Stellen der Mitgliedsstaaten bei der Anwendung der Genfer Konvention zu leiten und gemeinsame Kriterien für die Anerkennung von Asylbewerbern als Flüchtlinge im Sinne von Art. 1 der Genfer Konvention einzuführen. Die Qualifikationsrichtlinie bestimmt den Umfang des mit dem Flüchtlingsstatus verbundenen Schutzes deshalb unabhängig von der jeweiligen Auslegung der Genfer Konvention in den einzelnen Mitgliedsstaaten. Gegenüber dem religiösen Existenzminimum, dem sogenannten "Forum Internum", umfasst der Begriff der Religion in diesem Sinne nunmehr die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit, aber auch sonstige Betätigungen, Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dazu zählen insbesondere das offene, nicht nur an die Mitglieder der eigenen Religionsgemeinschaft gewandte Bekenntnis der persönlichen religiösen Überzeugung wie auch die Darstellung ihrer Verheißungen und damit auch missionarische Betätigung, die gerade darin besteht, Nicht- oder Andersgläubigen vor Augen zu führen, welches Heil den die jeweiligen Lehren beachtenden Gläubigen im Gegensatz zu der Verdammnis Ungläubiger erwartet. Eine Beschränkung dieses Bekenntnisses und der Verkündigung auf den Bereich der eigenen Glaubensgemeinschaft kann weder dem Wortlaut noch der Systematik dieser Vorschrift entnommen werden. Es sind vielmehr alle Betätigungen, Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen erfasst, die sich auf eine ernstzunehmende religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dem entspricht das Bedürfnis des Gläubigen, sich gegenüber anderen Menschen zu bekennen und für seine Überzeugung zu werben. Ihre Grenze finden solche religiöse Handlungen, wenn sie in einer erheblich, den öffentlichen Frieden störenden Weise, in die Lebenssphäre anderer Bürger eingreifen oder mit dem Grundbestand des Ordre Public nicht vereinbar sind. Innerhalb dieser Grenzen ist nicht nur derjenige geschützt, der seine religiösen Überzeugungen ohne Rücksicht auf Verfolgungsmaßnahmen nach außen vertritt, sondern auch derjenige, der unter dem Zwang der äußeren Umstände aus Furcht vor Verfolgung seine religiösen Bedürfnisse nur abseits der Öffentlichkeit oder gar heimlich auslebt. Maßstab können auch nicht die im Iran traditionell beheimateten christlichen Konfessionen sein, die um ihrer Existenzwillen auf Missionsarbeit verzichten.

Im Falle ihrer Rückkehr in Iran hätte die Klägerin nach Überzeugung des Gerichts Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinien zu befürchten. Gemäß Art. 9 Abs. 1 a, b und c der Qualifikationsrichtlinie zählen dazu die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, gesetzliche, administrative, polizeiliche und - bzw. oder - justizielle Maßnamen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden oder auch unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung.

Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin in Deutschland aufgrund einer echten Glaubensentscheidung vom Islam zum Christentum konvertiert ist. Dies ergibt sich aus ihrem Vorbringen im Rahmen der mündlichen Verhandlung, an dessen Wahrheit zu zweifeln kein Anlass besteht. Die Klägerin hat ausführlich dargelegt, was sie zu ihrer Entscheidung bewogen hat Sie hat die Rolle der Frau in beiden Religionen herausgestellt, an Beispielen belegt und miteinander verglichen. Sodann hat sie ausführlich dargelegt, warum sie mit dem Islam nicht mehr habe leben können. Auch hat sie die Friedfertigkeit der christlichen Religion betont und angegeben, regelmäßig christliche Kirchen und Messen zu besuchen. Dies zeigt, dass sie sich ihrer Glaubensentscheidung auch weiterhin verpflichtet fühlt. Das lässt insbesondere erwarten, dass die Klägerin auch im Falle einer Rückkehr in den Iran ihrer gewonnenen Glaubensüberzeugung folgen wird, sich offen dazu bekennen und dafür werben wird, soweit dies die äußeren Umstände zulassen. Dann aber wäre die Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatlichen Willkürmaßnahmen ausgesetzt. Das Auswärtige Amt geht in seinem Lagebericht vom 18. März 2008 davon aus, dass Mitglieder religiöser Minderheiten, zu denen zum Christentum konvertierte Muslime gehören, staatlichen Repressionen ausgesetzt sein können, wobei es insbesondere auf das öffentlich erkennbare Engagement des Betroffenen ankommt. Nach den Erkenntnissen der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover/Landeskirchenamt vom 18. Januar 2007 droht Iranern, die zum Christentum übertreten, eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben und Freiheit. Getaufte iranische Christen seien durch den Tatbestand der Apostasie, durch ihre christliche Lebensführung und ihre Verneinung des Prophetentums Mohammeds im Iran hochgradig gefährdet. Zwar werde Apostasie bislang strafrechtlich nicht verfolgt, falle aber unter die Scharia und könne als Hochverrat angesehen werden. Eine freie Religionsausübung sei einem Apostaten nicht möglich. Apostasie werde im Iran als massive Beleidigung des Propheten, der religiösen Führer, als Zerstörung islamischer Moral und als Angriff auf die Islamische Republik gewertet. Jedenfalls wenn sich die Klägerin daher im Iran zum Christentum öffentlich bekennt, hat sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Maßnahmen seitens staatlicher Stellen oder Dritter zu erwarten (vgl. hierzu auch Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 17. Oktober 2007 - 14 B 06.30315 -).