VG Leipzig

Merkliste
Zitieren als:
VG Leipzig, Urteil vom 24.07.2008 - A 3 K 30099/07 - asyl.net: M14191
https://www.asyl.net/rsdb/M14191
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung eines iranischen Staatsangehörigen allein wegen Mitgliedschaft bei den Volksmudjahedin sowie der hierfür typischen Aktivitäten.

 

Schlagwörter: Iran, exilpolitische Betätigung, Volksmudjahedin, Oppositionelle, Regimegegner, Mitglieder
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Keine Flüchtlingsanerkennung eines iranischen Staatsangehörigen allein wegen Mitgliedschaft bei den Volksmudjahedin sowie der hierfür typischen Aktivitäten.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Annahme einer Verfolgungsgefahr wegen exilpolitischer Aktivitäten ist nur dann gerechtfertigt, wenn davon ausgegangen werden muss, dass den Staatssicherheitsbehörden Irans die exilpolitischen Tätigkeiten des Betroffenen bekannt geworden sind und anzunehmen ist, dass die iranischen Behörden diese als erhebliche, den Bestand des Staates gefährdende oppositionelle Aktivität bewerten (vgl. Nds OVG, Urt. v. 26.10.1999 - 5 L 3180/99 -, OVG NW, Beschl. v. 16.4.1999 - 9 A 5338/98.A -). Vor dem Hintergrund der derzeitigen Auskunftslage reicht eine einfache Mitgliedschaft in einer exilpolitischen Organisation verbunden mit den hierfür typischen Aktivitäten, wie der wiederholten einfache Demonstrationsteilnahme, der Betreuung von Büchertischen oder dem Verteilen von Flugblättern grundsätzlich nicht aus. Der Betroffene muss vielmehr aufgrund seiner Aktivitäten aus der Vielzahl der exilpolitisch aktiven Iraner hervortreten. Dies gilt auch für exilpolitische Aktivitäten der Volksmudjahedin. Auch wenn die Volksmudjahedin zu den Hauptfeinden der islamischen Regierung zählen und die am meisten verfolgten Oppositionsgruppen sind, ist für die Annahme, dass der Betroffene bei einer Rückkehr in den Iran mit einer politischen Verfolgung zu rechnen hat, Voraussetzung, dass dieser den iranischen Behörden als aktiver Regimegegner bekannt geworden ist (vgl. SächsOVG, Urt. v. 27.3.2007 - A 2 B 817/95 -).

Bei der oppositionellen Gruppe der Volksmudjahedin handelt es sich um Feinde des iranischen Regimes (AA Lagebericht Stand: Februar 2008 v. 18.3.2008; Deutsches Orient-Institut v. 5.7.2006 an VG Stuttgart, 671 i/br). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes besteht in der für Mitglieder von Organisationen, die bewaffnet gegen den Staat kämpfen oder von denen das Regime dies vermutet (oder behauptet), ein hohes Risiko der Strafverfolgung und -vollstreckung. Insbesondere Mitglieder der Volksmudjahedin haben in der Vergangenheit Strafen bereits wegen bloßer Mitgliedschaft zu der Organisation zu befürchten. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, welchen Rang das Mitglied bei den Volksmudjahedin bekleidet (AA, Lagebericht a.a.O.; Deutsches Orient-Institut a.a.O.; ai v. 11.9.1997 an VG Münster). Das Auswärtige Amt führt aus, dass Aktivisten und Sympathisanten der Volksmudjahedin bei ihrer Rückkehr in den Iran grundsätzlich mit Strafverfolgung rechnen müssen. Voraussetzung sei jedoch, dass der Betroffene den iranischen Behörden als aktiver Regimegegner bekannt geworden sei (AA v. 3.11.1997 an OVG Schleswig-Holstein). Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes müssten einfache Mitglieder der Volksmudjahedin bei einer Rückkehr in den Iran damit rechnen, verhört zu werden. Zu einer schwerwiegenden Bestrafung komme es nur, wenn sie im Ausland als aktives Mitglied dieser Organisation aufgefallen seien (AA v. 5.9.2000 an VG Köln).

Nach Ansicht des Deutschen Orient-Instituts verlieren die Volksmudjahedin an Bedeutung und stellen kein nennenswertes exilpolitisches Potential mehr dar, nachdem sie ihre Lager im Irak verloren haben. Trotzdem sind sie nach wie vor verhasste Gegner der Islamischen Republik Iran und unterliegen auch in Europa der Überwachung durch iranische Stellen (Deutsches Orient-Institut v. 5.7. und 26.4.2004 a.a.O.). Für die Annahme, dass der Betreffende ein echter Anhänger der Volksmudjahedin ist allerdings erforderlich, dass dieser langjährig oder doch mehr als im Zusammenhang lediglich mit einzelnen Demonstrationen/Veranstaltungen/Aktionen aktiver Anhänger sei (Deutsches Orient-Institut v. 26.4.2004, 513 i/bt; v. 8.1.1998 an OVG Schleswig-Holstein). Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz geht in seiner Einschätzung betreffend exilpolitischer Aktivitäten für Volksmudjahedin davon aus, dass eine Verfolgungsgefahr in erster Linie für Personen besteht, die eine exponierte Stellung innerhalb der Oppositionsgruppe einnehmen und dass die iranischen Stellen bei der Beurteilung oppositioneller Kräfte genau zu unterscheiden wissen, ob es sich um echte Regimegegner oder lediglich um Wirtschaftsflüchtlinge handelt (Bundesamt für Verfassungsschutz v. 22.10.1999 an VG Koblenz, v. 23.8.2000 an VG Köln (IV C 22-247-S-410093-24/00). Nach Auffassung des Auswärtigen Amtes begründet eine öffentlichkeitswirksame Betätigung in herausgehobener Position eine exponierte Stellung, nicht jedoch die einfache, d.h. passive Mitgliedschaft in einer Organisation (AA v. 16.11.2000 an VG Potsdam). Die Gefährdung einfacher Mitglieder bei einer Rückkehr habe sich nicht erhöht (AA v. 21.8.2003 an VG Leipzig), vielmehr habe sich die Lage in den letzten Jahren im Verhältnis zur Zeit nach der Revolution entspannt (AA, Lagebericht v. 24.3.2006). Seit dem Machtantritt Ahmadinejads habe sich keine Änderung der Verhältnisse ergeben, weder zu Lasten noch zu Vorteil der Volksmudjahedin (Deutsches Orient-Institut v. 5.7.2006 an VG Stuttgart, 671 i/br).

Die im zweiten Folgeverfahren, im gerichtlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung beschriebenen Tätigkeiten des Klägers für die Volksmudjahedin, insbesondere seine Aufgabe als weiterhin Verantwortlicher der Organisation in lässt im Zusammenhang mit dem Vortrag im ersten Folgeverfahren auch aufgrund der Dauer nicht auf eine hervorgehobene Tätigkeit i.S. der obigen Ausführungen schließen.