VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 08.10.2008 - 13 S 709/07 - asyl.net: M14167
https://www.asyl.net/rsdb/M14167
Leitsatz:

Jedenfalls seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes ist es ausgeschlossen, außerhalb der gesetzlich ausdrücklich geregelten Anrechnungsbestimmungen Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 35 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigen.

 

Schlagwörter: D (A), Niederlassungserlaubnis, Aufenthaltsdauer, Aufenthaltsbefugnis, Zuwanderungsgesetz, Richtlinienumsetzungsgesetz, Übergangsregelung
Normen: AufenthG § 35 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; AuslG § 31; AufenthG § 102 Abs. 2; AufenthG § 104 Abs. 7; AufenthG § 26 Abs. 4
Auszüge:

Jedenfalls seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes ist es ausgeschlossen, außerhalb der gesetzlich ausdrücklich geregelten Anrechnungsbestimmungen Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 35 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigen.

(Amtlicher Leitsatz)

 

II. Die Berufung der Beklagten ist begründet, weil der Klägerin keine Niederlassungserlaubnis gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG (1.) oder auf der Grundlage des § 26 Abs. 4 AufenthG (2.) erteilt werden kann.

1. Die Klägerin hat in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG. Sie ist insbesondere nicht seit mehr als fünf Jahren im Besitz einer "Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt" i.S.v. § 35 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Denn der Zeitraum des Besitzes der ihr am 24.8.2001 nach altem Recht auf der Grundlage des § 31 AuslG erteilten Aufenthaltsbefugnis ist nicht anzurechnen.

a) Zwar entspricht die Aufenthaltsbefugnis, die der Klägerin nach altem Recht auf der Grundlage des § 31 Abs. 1 AuslG erteilt worden ist, wohl grundsätzlich einem Titel, der zum Aufenthalt aus familiären Gründen erteilt worden ist. Im Falle der Verlängerung eines ursprünglich als Aufenthaltsbefugnis erteilten Aufenthaltstitels zum Familiennachzug ist dies in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 23.10.2006 - 11 S 387/06 -; OVG Nds., Beschluss vom 16.5.2006 - 5 ME 112/06 -, jeweils juris). Auch die Vorläufigen Anwendungshinweise zum Aufenthaltsgesetz gehen unter Nr. 101.2.3.5 davon aus, dass Aufenthaltsbefugnisse, die nach § 31 AuslG zum Zwecke des Familiennachzugs erteilt wurden, als Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 27 bis 36 AufenthG - also nach dem 6. und nicht etwa dem 5. Abschnitt - fortgelten. Von daher hat im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Februar 2007 durchaus manches für die von ihm vorgenommene Anrechnung der entsprechenden Voraufenthaltszeiten im Rahmen einer erweiternden oder analogen Anwendung des 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG gesprochen.

Allerdings stand möglicherweise auch schon im Februar 2007 die Vorschrift des § 102 Abs. 2 AufenthG dieser Anrechnung entgegen (vgl. einerseits Dienelt, InfAuslR 2005, 247; andererseits VG Göttingen, Urteil vom 17.7.2007 - 2 A 543/05 -; VG Ansbach, Beschluss vom 2.10.2006 - AN 19 K 06.02011 -, jeweils juris). Nach § 102 Abs. 2 AufenthG wird auf die Frist für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis oder Duldung vor dem 1.1.2005 angerechnet. Schon daraus wird im Umkehrschluss möglicherweise zu folgern sein, dass in allen anderen Fällen eine solche Anrechnung ausscheidet (vgl. für Duldungszeiten: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 19.5.2008 - 11 S 942/08 -, juris).

b) Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Jedenfalls seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (Richtlinienumsetzungsgesetz) vom 19.8.2007 (BGBl. I 2007, 1970) am 28.8.2007 ist es ausgeschlossen, außerhalb der gesetzlich ausdrücklich geregelten Anrechnungsregelungen Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis im Rahmen der nach § 35 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG anzurechnenden Aufenthaltszeiten zu berücksichtigen. Denn der Gesetzgeber hat diese hier relevante Frage nunmehr gesehen und einer abschließenden Regelung zugeführt.

Schon der Wortlaut der Vorschrift zeigt, dass der Gesetzgeber das Problem der Anrechnung von Voraufenthaltszeiten auf der Grundlage einer Aufenthaltsbefugnis gesehen hat und mit einer Neuregelung abschließend regeln wollte. Nach § 104 Abs. 7 AufenthG kann – unter anderem – eine Niederlassungserlaubnis auch den minderjährigen ledigen Kindern eines Ausländers erteilt werden, die vor dem 1.1.2005 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 31 Abs. 1 des Ausländergesetzes oder einer Aufenthaltserlaubnis nach § 35 Abs. 2 des Ausländergesetzes waren, wenn die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG erfüllt sind und sie weiterhin die Voraussetzungen erfüllen, wonach eine Aufenthaltsbefugnis nach § 31 des Ausländergesetzes oder eine Aufenthaltserlaubnis nach § 35 Abs. 2 des Ausländergesetzes erteilt werden durfte.

Ausdrücklich bestätigt wird diese Auslegung durch die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/5065, 201). Darin wird ausgeführt, die Neuregelung des § 104 diene dazu, unter anderem den minderjährigen Kindern, die vor dem 1.1.2005 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 31 Abs. 1 oder § 35 Abs. 2 AuslG waren, auch nach dem Aufenthaltsgesetz eine Verfestigung ihres Aufenthaltsstatus unter Anrechnung ihrer Aufenthaltsbefugniszeiten zu ermöglichen. Aufgrund der Neuregelung könne in diesen Fällen zukünftig eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 26 Abs. 4 AufenthG vorlägen und der Rechtsgrund für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis weiterhin bestehe. Zum Zeitpunkt der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis müsse das Kind insbesondere noch minderjährig sein.

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG.

Jedenfalls seit dem 15.1.2003 besitzt sie Aufenthaltstitel zum Aufenthalt aus familiären Gründen, die jetzt im 6. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes geregelt sind.

Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es nicht darauf an, ob zusätzlich materiell noch humanitäre Gründe neben den familiären Gründen vorliegen. Aber selbst wenn man von der entgegen gesetzten Rechtsauffassung der volljährigen und mittlerweile wohl geschiedenen Klägerin ausginge, könnte dies ihrem Begehren nicht zum Erfolg verhelfen, denn solche humanitären Gründe sind in ihrem Falle nicht ersichtlich. Dass sie mittlerweile nach dem Scheitern ihrer Ehe wieder mit ihren Eltern und ihren Geschwistern zusammenlebt, genügt hierfür offenkundig nicht. Auch dass ihr möglicherweise ein eigenständiges Aufenthaltsrecht als geschiedene Ehegattin zusteht, ist nach der Systematik des Aufenthaltsgesetzes den familiären Gründen des 6. Abschnitts zuzuordnen. Soweit sie schließlich geltend macht, ein "Zurückstoßen" in den Irak stelle für sie als alleinstehende geschiedene Frau eine außergewöhnliche Härte dar, übersieht sie, dass sie sich auf zielstaatsbezogene Gesichtspunkte im vorliegenden Verfahren nicht berufen kann. Ein Ausländer kann die Unzumutbarkeit seiner freiwilligen Ausreise nicht auf eine zielstaatsbezogene Gefahrensituation im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG stützen, wenn das zuständige Bundesamt eine solche Feststellung bindend abgelehnt hat (s. § 42 Satz 1 AsylVfG; vgl. BVerwG, Urteil vom 27.6.2006 - 1 C 14/05 -, BVerwGE 126, 192 = NVwZ 2006, 1418; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.4.2007 - 11 S 1035/06 - und Beschluss vom 22.8.2007 - 13 S 163/07 -, juris; Nds. OVG, Urteil vom 27.9.2007 - 11 LB 69/07 -, DVBl. 2007, 57).