OLG Naumburg

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Zitieren als:
OLG Naumburg, Beschluss vom 22.08.2007 - 2 Ss 262/07 - asyl.net: M14158
https://www.asyl.net/rsdb/M14158
Leitsatz:

Ein rechtskräftiger Strafbefehl beinhaltet nicht die Feststellung, dass der Angeklagte der ihm darin zur Last gelegten Tat tatsächlich schuldig ist; die Tat kann daher nicht im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden (hier: Verstoß gegen räumliche Beschränkung).

 

Schlagwörter: D (A), Strafrecht, räumliche Beschränkung, Verstoß gegen räumliche Beschränkung, Strafbefehl, Strafzumessung, Freiheitsstrafe, kurze Freiheitsstrafe
Normen: StGB § 47 Abs. 1
Auszüge:

Ein rechtskräftiger Strafbefehl beinhaltet nicht die Feststellung, dass der Angeklagte der ihm darin zur Last gelegten Tat tatsächlich schuldig ist; die Tat kann daher nicht im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden (hier: Verstoß gegen räumliche Beschränkung).

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Strafzumessung ist in diesem Umfang rechtsfehlerhaft, weil die Kammer die Verhängung der kurzen Freiheitsstrafen zur Einwirkung auf den Angeklagten ohne hinreichende Grundlage im Hinblick darauf für unerlässlich (§ 47 Abs. 1 StGB) gehalten hat, dass dieser durch die Strafbefehle vom 01. August 2006 und vom 15. Februar 2006 schon zweimal wegen wiederholten Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung nach dem Aufenthaltsgesetz strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden sei und sich hiervon nicht habe beeindrucken lassen.

Die Existenz eines - auch rechtskräftigen - Strafbefehls bietet zum einen keine ausreichende Grundlage für die Feststellung, der Angeklagte sei tatsächlich der ihm darin zur Last gelegten Straftat schuldig. Einem Strafbefehl liegt nämlich keine in einer Hauptverhandlung gewonnene Erkenntnis über die Schuld des Angeklagten zugrunde, sondern nur der aus dem Ermittlungsergebnis hergeleitete hinreichende Tatverdacht (§ 408 Abs. 2 StPO). Auch wenn der Strafbefehl rechtskräftig ist, folgt daraus nicht etwa, dass der Angeklagte den Tatvorwurf wie durch ein Geständnis als zutreffend anerkannt hat. Vielmehr kann der Eintritt der Rechtskraft andere Gründe haben. Beispielsweise kann der Angeklagte die Einspruchsfrist versäumt oder eine unrichtige Verurteilung hingenommen haben, etwa aus Desinteresse oder zur Vermeidung der Peinlichkeiten einer öffentlichen Hauptverhandlung. Ein Strafbefehl belegt somit nur, dass der Angeklagte bestraft wurde, nicht aber, dass er eine Straftat verübt hat. Er ist deshalb auch nicht ohne weiteres als alleinige Grundlage eines Bewährungswiderrufs (§ 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB) geeignet (Tröndle/Fischer, StGB, 54. Auflage, § 56 f Rdn. 3 c m. w. Nachw.).

Der Umstand einer früheren Verurteilung darf dem Angeklagten nur dann straferschwerend entgegengehalten werden, wenn zuverlässig festgestellt wurde, dass sie ihm bei Begehung der neuen Tat bekannt war, denn nur dann konnte sie ihre Warnfunktion erfüllen. Bei einem in seiner Anwesenheit verkündeten Urteil kann dies ohne weiteres unterstellt werden. Wurde jedoch ein Strafbefehl gegen ihn erlassen, bedarf es näherer, vom Landgericht versäumter Untersuchungen zur Kenntnis des Angeklagten von der Verurteilung. Die - hier nicht einmal getroffene - Feststellung, dass der Strafbefehl wirksam zugestellt wurde, genügt dazu nicht. Nur bei der Zustellung durch Übergabe an den Angeklagten persönlich kann seine Kenntnisnahme ohne weiteres als sicher gelten, nicht aber bei einer Ersatzzustellung oder im Fall der Zustellung durch Niederlegung.