VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 11.07.2008 - 29 A 338.07 - asyl.net: M14156
https://www.asyl.net/rsdb/M14156
Leitsatz:

Allein der Eintrag in einem türkischen Personenstandsregister rechtfertigt nicht die Annahme, ein (vermeintlicher) Staatenloser aus Libanon habe bewusst falsche Angaben über seinen türkische Staatsangehörigkeit gemacht.

 

Schlagwörter: D (A), Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Bleiberechtsregelung, Libanon, Staatenlose, Türkei, Personenstandsregister, Registrierung, Staatsangehörigkeit, Falschangaben, Identitätstäuschung, Vorsatz, Erlasslage, Aufenthaltserlaubnis, Verlängerung, außergewöhnliche Härte, Ausreisehindernis, Integration
Normen: VwGO § 166; ZPO § 114; AufenthG § 23; AufenthG § 25 Abs. 4 S. 2; AufenthG § 25 Abs. 5
Auszüge:

Allein der Eintrag in einem türkischen Personenstandsregister rechtfertigt nicht die Annahme, ein (vermeintlicher) Staatenloser aus Libanon habe bewusst falsche Angaben über seinen türkische Staatsangehörigkeit gemacht.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostehhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten ist begründet, weil die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und die Klägerin wegen Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II die Prozessführungskosten auch nicht in Raten aufbringen kann (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).

Bei der hier nur gebotenen summarischen Prüfung dürfte die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis - hinsichtlich der unter Androhung unmittelbaren Zwangs angeordneten Vorführung ist Erledigung eingetreten - voraussichtlich Erfolg haben. Denn hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme des Beklagten, die Klägerin habe zur Erlangung des erstmals im Jahre 1989 erteilten Aufenthaltsrechts nach der früheren Altfallregelung Nr. 11 über ihre Identität und Staatsangehörigkeit getäuscht, liegen nicht vor.

Dabei kann letztlich offen bleiben, ob der Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister eine hinreichende Grundlage für die Annahme darstellt, dass die Klägerin tatsächlich die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, dies vom türkischen Staat anerkannt wird und ihr dementsprechend auch türkische Reisedokumente erteilt werden, worum sich der Beklagte derzeit noch bemüht. Denn durch diesen Personenstandsregisterauszug wird ungeachtet eingeräumter etwaiger "Inkorrektheiten", die jedenfalls hinsichtlich des Geburtsdatums der Klägerin naheliegen, die Annahme des Beklagten, die Klägerin habe bewusst falsche Angaben über ihre Identität und Staatsangehörigkeit gemacht und dadurch getauscht, nicht belegt. Dass über die Umstände der Registrierung der Klägerin in der Türkei nichts bekannt ist und dass es dazu nicht einmal der Vorlage von Urkunden bedarf, vielmehr schon ein naher Verwandter unter Berufung auf Zeugen eine solche Registrierung herbeiführen kann, räumt der Beklagte selbst ein. Auch behauptet er selbst nicht, dass die Klägerin diese Registrierung veranlasst hat und vermutet lediglich, sie habe davon gewusst oder wissen müssen. Diese Vermutungen überzeugen jedoch nicht.

Dem Verweis auf die türkische Staatsangehörigkeit ihres Bruders ... ist die Klägerin nachvollziehbar - und durch den Beklagten nicht bestritten oder gar widerlegt - mit dem Hinweis entgegengetreten, dieser sei erst nach dem Umzug ihrer Eltern aus dem Libanon in die Türkei geboren werden und dort auch aufgewachsen. Von daher liegt auch vor dem Hintergrund, dass der Vater türkischer Staatsangehöriger war, - anders als für die Klägerin - dessen türkische Staatsangehörigkeit auch subjektiv nahe. Die Klägerin müsste auch nicht im Hinblick auf ihren türkischen Vater, der unstreitig arabisch sprechender Mahalmi-Kurde war; von einer eigenen türkischen Staatsangehörigkeit ausgehen. Zwar ist es zutreffend, dass sie nach türkischem Staatsangehörigkeitsrecht infolge der Geburt als Tochter eines türkischen Staatsangehörigen auch diese Staatsangehörigkeit erwarb, derartige rechtliche Kenntnisse können für sie jedoch nicht unterstellt werden. Die Klägerin ist nach ihren eigenen Angaben und durch den Beklagten unwidersprochen nie zur Schule gegangen und Analphabetin. Sie stammt offensichtlich von einer libanesischen Mutter ab - deren Personalausweis ist nach der kriminaltechnischen Untersuchung jedenfalls nicht verfälscht -, und der Beklagte räumt selbst ein, es gebe keine Anhaltspunkte, dass sich die Klägerin jemals in der Türkei auf gehalten habe.

Es fehlen nach alledem hinreichende Anhaltspunkte für eine Täuschung seitens der Klägerin bei Erlangung und Verlängerung der früheren Aufenthaltserlaubnisse nach der sog. Altfallregelung ab 1989. Somit dürfte die Verlängerung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 23 AufenthG vor dem Hintergrund naheliegen, dass dieses Aufenthaltsrecht in der Tat von vornherein auf einen Daueraufenthalt angelegt war. Die Annahme des Beklagten, die frühere Weisungslage habe derartige Täuschungsfälle nicht berücksichtigen können, vor diesem Hintergrund müsste die Weisungslage ergänzend dahin ausgelegt werden, dass in Täuschungsfällen ein Aufenthaltsrecht nicht erteilt oder verlängert worden wäre, geht vorliegend schon deshalb ins Leere, weil - wie oben dargelegt - von einer Täuschung seitens der Klägerin aufgrund der bisher vorliegenden Erkenntnisse nicht ausgegangen werden kann. Dass diese Verlängerung zuletzt auf das Sorgerecht für die minderjährigen deutschen Kinder der Klägerin gestützt wurde, steht dem ebenfalls nicht notwendig entgegen. Dass der fortlaufende "Sozialhilfebezug" der Klägerin einer Verlängerung auf dieser Grundlage nicht entgegensteht, räumt der Beklagte selbst ein.

Nicht fernliegend ist auch ein Anspruch auf Erteilung einer Auferrthaltserlaubnis nach 25 Abs. 4 AufenthG wegen Vorliegens einer außergewöhnlichen Härte (vgl. dazu nur Urt. des BVerwG vom 19. September 2000 - 1 C 14.00 -, Buchholz 402.240 § 6 AuslG Nr. 16) bzw. gem. § 25 Abs. 5 AufenthG. Insofern ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nicht im Besitz von Einreisepapieren in die Türkei ist und trotz Vorführung der Klägerin im türkischen Generalkonsulat am 22. August 2007 bisher offensichtlich solche nicht ausgestellt wurden. Jedenfalls aber dürfte im vorliegenden Fall die Annahme einer außergewöhnlichen Härte im Fälle des Verlassens des Bundesgebietes bzw. eine Unzumutbarkeit der Ausreise in die Türkei anzunehmen sein. Die Klägerin ist im Libanon geboren und aufgewachsen und 1981 mit Ehemann und fünf Kindern ins Bundesgebiet eingereist. Seit 1989 ist sie ununterbrochen im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen und hat durchaus erhebliche Integrationsleistungen erbracht.