VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Gerichtsbescheid vom 18.08.2008 - 5 K 1484/08.F.A (3) - asyl.net: M14134
https://www.asyl.net/rsdb/M14134
Leitsatz:

Kein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung eines türkischen Staatsangehörigen, der im Verdacht steht, Mitglied der PKK in Deutschland zu sein.

 

Schlagwörter: Türkei, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, PKK, Verdacht der Mitgliedschaft, Verdacht der Unterstützung, exilpolitische Betätigung, Situation bei Rückkehr, Grenzkontrollen, Folter, Amnestie, Menschenrechtslage
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Kein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung eines türkischen Staatsangehörigen, der im Verdacht steht, Mitglied der PKK in Deutschland zu sein.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27.05.2007 ist rechtswidrig und deshalb aufzuheben.

Die Widerrufsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) liegen nicht vor.

Eine von der Rechtskraftbindung des Urteils des VG Frankfurt vom 01.11.2000 lösende Änderung der Sachlage ist im vorliegenden Fall nicht eingetreten und wird seitens des Bundesamtes in seinem Bescheid vom 27.05.2008 nicht dargelegt. Ausweislich des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 01.11.2000, an dessen Feststellung das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gebunden ist und dessen Rechtsfindung es nicht in Frage zu stellen hat, ist der Kläger als Unterstützer und als Mitglied der PKK in Deutschland den türkischen Sicherheitsbehörden bekannt. Er wurde seitens des Kronzeugen in dessen Prozess in der Türkei als Organisationsmitglied der PKK in Deutschland benannt. Von daher sind Überlegungen, die das Bundesamt in seinem Bescheid anstellt, ob die türkischen Behörden Kenntnis von den Unterstützungsaktivitäten des Klägers für die PKK oder seiner Mitgliedschaft erlangt haben können, obsolet.

Wegen dieser Unterstützungshandlungen bzw. des Verdachtes, Mitglied in der Organisation PKK in Deutschland zu sein, ist es auch weiterhin beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei Rückkehr politische Verfolgung drohen könnte. Die Verfolgung der von dem Kläger geschilderten Handlungen hat das VG Frankfurt als politische Verfolgung im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG gewertet. An diese Rechtsfindung ist das Bundesamt gemäß § 121 VwGO gebunden. Die Möglichkeit, dass der Kläger als Mitglied der PKK angesehen werden könnte, wurde ebenfalls durch das Gericht so festgestellt. Für diesen Personenkreis nimmt das Auswärtige Amt ausweislich der Feststellung des Bundesamtes in seinem Bescheid vom 27.05.2008 weiterhin ein Verfolgungsinteresse an. Eine Änderung der Sachlage ist insoweit nicht eingetreten.

Die Möglichkeit, dass dem Kläger weiterhin Strafverfolgung wegen § 169 TürkStGB droht, ist durch das Amnestiegesetz Nr. 4616 vom 21.12.2000 (vgl. Informationsschrift des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom Februar 2008 zu Amnestien, Strafnachlass, Verjährung, Begnadigung) nicht ausgeschlossen. Es findet nämlich nur Anwendung auf Straftaten, die vor dem 23.04.1999 begangen wurden. Ausweislich der Feststellungen des VG Frankfurt war der Kläger jedoch auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 01.11.2000 für die PKK in Deutschland aktiv und hat mithin auch nach dem 23.04.1999 Straftaten begangen, für die er zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Damit findet das Amnestiegesetz Nr. 4616 vom 21.12.2000 auf den Kläger keine Anwendung.

Das Amnestiegesetz Nr. 4616 vom 21.12.2000 findet auch keine Anwendung für den Straftatbestand des § 168 TürkStGB. Die vom Bundesamt vorgenommene Bewertung der Handlungen des Klägers als Unterstützungshandlungen widerspricht der Feststellung des VG Frankfurt in seinem Urteil vom 01.11.2000 wonach die Benennung als Organisationsmitglied der PKK durch geeignet sei, bei seiner Rückkehr die Aufmerksamkeit der türkischen Sicherheitsbehörden auf sich zu ziehen. Durch das Gericht wurde eine Strafverfolgung als Organisationsmitglied zur Grundlage des zuerkennenden Urteils gemacht. Eine Neubewertung dieses Sachverhaltes durch das Bundesamt ist deshalb unzulässig.

Soweit das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in seinem Bescheid vom 27.05.2008 die Auffassung vertritt, dass eine menschenrechtswidrige Behandlung bei einer Einreise in die Türkei deshalb ausgeschlossen sei, weil dem Auswärtigen Amt seit 4 Jahren kein Fall bekannt geworden sei, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei, ist die Beobachtung des Auswärtigen Amtes sicherlich zutreffend. Für die Person des Klägers ist die vom Auswärtigen Amt beobachtete Personengruppe jedoch keine geeignete Referenzgruppe. Bei den in die Türkei zurückgekehrten abgelehnten Asylbewerbern, die das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht anspricht, handelt es sich nämlich nicht um solche, die, zumindest nach den Feststellungen deutscher Behörden und Gerichte, tatsächlich verfolgt waren oder im Ausland Aktivitäten entwickelt haben, die die Gefahr politischer Verfolgung begründeten.