VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 18.08.2008 - 7 K 790/08.A - asyl.net: M14133
https://www.asyl.net/rsdb/M14133
Leitsatz:
Schlagwörter: Serbien, Kosovo, Widerruf, Asylanerkennung, Flüchtlingsanerkennung, Änderung der Sachlage, KFOR, Albaner, Verfolgung durch Dritte, nichtstaatliche Verfolgung, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Beklagte hat die mit Bescheid vom 17.06.1999 getroffene Feststellung zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG zu Recht widerrufen und zu Recht festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nicht vorliegen.

Die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse haben sich nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens des Urteils des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 22.04.1999 wesentlich entscheidungserheblich geändert. Die Kammer verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid, denen sie folgt (vgl. § 77 Abs. 2 AsylVfG). Ferner entspricht es der ständigen Rechtsprechung der Kammer, dass es seit Rückzug der jugoslawischen Sicherheitskräfte aus dem Kosovo und Beendigung der Kampfhandlungen zwischen der NATO und der Bundesrepublik Jugoslawien am 10. Juni 1999 - und damit nach Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 22.04.1999 und dem Einzug der KFOR-Truppen und der UNMIK in das Kosovo eine politische Verfolgung albanischer Volkszugehöriger durch den "serbischen Staat", die hier Grundlage für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG war, im Kosovo nicht mehr gibt. Die Serben haben ihre Staatsgewalt im Kosovo verloren. Auch eine asylbegründende politische Verfolgung albanischer Volkszugehöriger durch die albanische Bevölkerungsmehrheit findet nicht statt, denn eine funktionierende Staatsgewalt der albanischen Bevölkerungsmehrheit ist im Kosovo noch nicht etabliert (vgl. dazu nur VG Minden, Urteile vom 22.07.2004 - 7 K 6108/03.A - und vom 28.10.2004 - 7 K 5896/03.A -).

Für eventuelle Befürchtungen des Klägers, der Kosovo könne wieder unter serbische Herrschaftsgewalt kommen, bzw. UNMIK und KFOR könnten die Gebietsherrschaft in Kürze verlieren, findet sich kein objektiver Anhalt (vgl. dazu nur OVG NRW, Beschluss vom 29.04.2004 - 14 A 1705/04.A -), umso mehr als das kosovarische Parlament am 17.02.2008 seine Unabhängigkeit erklärt und mittlerweile der neue Staat Kosovo von 37 Staaten, u.a. den USA und einer Mehrzahl der EU-Staaten formell anerkannt wurde. Eine den Vorgaben des Ahtisaari-Plans entsprechende Verfassung wurde am 09.04.2008 vom kosovarischen Parlament verabschiedet und soll am 15.06.2008 in Kraft treten. Es wird allgemein erwartet, dass mit Inkrafttreten der Verfassung UNMIK durch EULEX abgelöst wird und weitere UNMIK-Befugnisse in der Polizei, Justiz, Zoll- und Transportwesen, Grenzkontrolle und Schutz von Kulturgut auf die kosovarischen Institutionen übergehen. Außerdem sollen ein Außenministerium und diplomatische Vertretungen im Ausland installiert werden (vgl. Informationszentrum Asyl und Migration, Länderreport Kosovo des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Stand Mai 2008).

Der Umstand, dass § 60 Abs. 1 AufenthG im Unterschied zu § 51 Abs. 1 AuslG nunmehr ausdrücklich auch die sog. nichtstaatliche Verfolgung anspricht (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c. AufenthG), führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Dass Angehörige der albanischen Bevölkerungsmehrheit - zu der der Kläger gehört - im Kosovo einer derartigen nichtstaatlichen Verfolgung ausgesetzt sein könnten, ist nicht zu ersehen, denn dass UNMIK und KFOR, die die Staatsgewalt im Kosovo ausüben, nicht willens sind, albanischen Volkszugehörigen Schutz vor Verfolgung durch Dritte zu bieten, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Es ist derzeit auch nicht davon auszugehen, dass UNMIK und KFOR erwiesenermaßen nicht in der Lage sind, dem Kläger Schutz vor Verfolgung zu bieten. Zwar mussten sie sich vorwerfen lassen, während der Unruhen im März 2004 im Kosovo Angehörige der ethnischen Minderheiten nur unzureichend geschützt zu haben. Doch seit März 2004 haben UNMIK und KFOR sich auf etwaige zukünftige Unruhen eingestellt, um ggf. besser reagieren zu können: Die Ausrüstung und Ausbildung wurden auf die Bekämpfung gewalttätiger Krawalle ausgerichtet, Distanzwaffen angeschafft, die Einsatzregeln der nationalen Kontingente gelockert und die Aufklärung verbessert. Es wurden zusätzliche Truppen in den Kosovo verlegt und die Wachsamkeit sensibilisiert (vgl. Frankfurter Rundschau vom 10.08.2004, Die ohnmächtigen Ordnungshüter rüsten im Stillen auf; Die Welt vom 02.09.2004, Franzosen übernehmen das Kommando im unruhigen Kosovo; Der Spiegel vom 18.10.2004, Krisenprovinz vor neuen Unruhen; Die Welt vom 06.10.2004, Kosovo-Soldaten werden wie Polizisten geschult).