VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 20.08.2008 - 2 K 317/08.TR - asyl.net: M14127
https://www.asyl.net/rsdb/M14127
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Christen, Apostasie, Konversion, religiöses Existenzminimum, Missionierung, Anerkennungsrichtlinie, Religion, religiös motivierte Verfolgung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Bedrohung, Angehörige, Religionswächter
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch nur insoweit begründet, als der Kläger einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG hat.

Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter besteht hinsichtlich des Klägers nicht.

Einen solchen Asylanspruch kann das Interesse, welches der Kläger im Iran für das Christentum gezeigt hat, nicht begründen.

Zunächst ist festzuhalten, dass mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. 2007, 1970) eine Rechtsänderung kodifiziert wurde, die einen wesentlich umfangreicheren Schutz der persönlichen Glaubensbetätigung enthält, als dies zuvor der Fall war. Gegenüber der bisherigen Annahme der verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, wonach sowohl Art. 16 a Abs. 1 GG als auch § 60 Abs. 1 AufenthG lediglich das sogenannte religiöse Existenzminimum schützt (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Juli 1987, BVerfGE 76, 143; BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2004, NVwZ 2004, 1000), sind nunmehr zur Auslegung des Begriffes der Religion im Zusammenhang mit der Prüfung von Verfolgungsgründen die Maßgaben der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatenangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sogenannte Qualifikationsrichtlinie, Amtsblatt der Europäischen Union L 304/12 vom 30. September 2004) zu beachten. Dies sieht § 60 Abs. 1 S. 5 AufenthG nunmehr ausdrücklich vor. Art. 10 Abs. 1 b der Qualifikationsrichtlinie erweitert den Bereich geschützter religiöser Betätigung. Das folgt aus dem Zweck der Qualifikationsrichtlinie. Gemäß Abs. 1 der Präambel ist Ziel, eine gemeinsame Asylpolitik der in der Europäischen Union verbundenen Mitgliedstaaten zu schaffen. Mittels eines gemeinsamen Asylsystems sollen die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Zuerkennung und die Merkmale der Flüchtlingseigenschaft einander angenähert werden (Präambel Abs. 4). Wesentliches Ziel der Qualifikationsrichtlinie ist es, ein Mindestmaß an Schutz von Flüchtlingen in allen Mitgliedsstaaten zu gewährleisten (Präambel Abs. 6), auch um die Sekundärmigration von Asylbewerbern zwischen den Mitgliedsstaaten, soweit sie auf unterschiedlichen Rechtsvorschriften beruht, einzudämmen (Präambel Abs. 7). Nach den Absätzen 16 und 17 der Präambel sollen Mindestnormen für die Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und ihre Merkmale festgelegt werden, um die jeweiligen innerstaatlichen Stellen der Mitgliedsstaaten bei der Anwendung der Genfer Konvention zu leiten und gemeinsame Kriterien für die Anerkennung von Asylbewerbern als Flüchtlinge im Sinne von Art. 1 der Genfer Konvention einzuführen. Die Qualifikationsrichtlinie bestimmt den Umfang des mit dem Flüchtlingsstatus verbundenen Schutzes deshalb unabhängig von der jeweiligen Auslegung der Genfer Konvention in den einzelnen Mitgliedsstaaten. Gegenüber dem religiösen Existenzminimum, dem sogenannten "Forum Internum", umfasst der Begriff der Religion in diesem Sinne nunmehr die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit, aber auch sonstige Betätigungen, Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dazu zählen insbesondere das offene, nicht nur an die Mitglieder der eigenen Religionsgemeinschaft gewandte Bekenntnis der persönlichen religiösen Überzeugung wie auch die Darstellung ihrer Verheißungen und damit auch missionarische Betätigung, die gerade darin besteht, Nicht- oder Andersgläubigen vor Augen zu führen, welches Heil den die jeweiligen Lehren beachtenden Gläubigen im Gegensatz zu der Verdammnis Ungläubiger erwartet. Eine Beschränkung dieses Bekenntnisses und der Verkündigung auf den Bereich der eigenen Glaubensgemeinschaft kann weder dem Wortlaut noch der Systematik dieser Vorschrift entnommen werden. Es sind vielmehr alle Betätigungen, Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen erfasst, die sich auf eine ernstzunehmende religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dem entspricht das Bedürfnis des Gläubigen, sich gegenüber anderen Menschen zu bekennen und für seine Überzeugung zu werben. Ihre Grenze finden solche religiöse Handlungen, wenn sie in einer erheblich, den öffentlichen Frieden störenden Weise, in die Lebenssphäre anderer Bürger eingreifen oder mit dem Grundbestand des Ordre Public nicht vereinbar sind. Innerhalb dieser Grenzen ist nicht nur derjenige geschützt, der seine religiösen Überzeugungen ohne Rücksicht auf Verfolgungsmaßnahmen nach außen vertritt, sondern auch derjenige, der unter dem Zwang der äußeren Umstände aus Furcht vor Verfolgung seine religiösen Bedürfnisse nur abseits der Öffentlichkeit oder gar heimlich auslebt. Maßstab können auch nicht die im Iran traditionell beheimateten christlichen Konfessionen sein, die um ihrer Existenz willen auf Missionsarbeit verzichten.

Im Falle des Klägers ist jedoch nicht davon auszugehen, dass dieser derzeit mit relevanten Verfolgungsmaßnahmen im Falle seiner Rückkehr in den Iran zu rechnen hat. Er ist bislang noch nicht zum christlichen Glauben übergetreten und hat daher den Tatbestand der Apostasie noch nicht verwirklicht. Die Apostasie kann im Iran als Hochverrat angesehen werden. Sie wird als massive Beleidigung des Propheten, der religiösen Führer, als Zerstörung islamischer Moral und als Angriff auf die Islamische Republik gewertet. Erforderlich ist jedoch die Abkehr vom Islam durch formellen Glaubenswechsel (Taufe), der mit der Verneinung der Propheteneigenschaft Mohammeds einhergeht (vgl. hierzu Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannover/Landeskirchenamt vom 18. Januar 2007; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 17. Oktober 2007 - 14 B 06.30315 -; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18. März 2008). Demzufolge liegen im Falle des Klägers die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vor. Die seitens seines Cousins befürchteten Maßnahmen stellen eine staatliche Verfolgung nicht dar.

Aus den gleichen Gründen kommt auch ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4, 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG in der Person des Klägers nicht in Betracht.

Jedoch droht dem Kläger nach Überzeugung der Kammer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben und Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG in Bezug auf die von ihm vorgetragene Verfolgung durch seinen Cousin.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung detailreich, glaubhaft und widerspruchsfrei geschildert, dass sein Cousin eine maßgebliche Stellung bei den Religionswächtern im Iran ausübe und über erheblichen politischen Einfluss verfüge. Des Weiteren hat er ausgeführt, dass sein Vater immer wieder von diesem Cousin aufgesucht und bedroht werde, damit er - der Kläger - Reue zeige und sich dem Islam wieder zuwende. Diese Reue werde der Cousin notfalls auch zwangsweise unter Anwendung von Gewalt und unter Missbrauch seiner hohen Stellung durchsetzen. Die private Bedrohung durch den Cousin ist nach den umfangreichen Ausführungen des Klägers durchaus ernst zu nehmen und stellt eine Rechtsgutverletzung des Klägers im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG dar. Aufgrund der von seinem Cousin ausgesprochenen Bedrohungen kann auch eine Ortsveränderung des Klägers im Iran keine Lösung darstellen, da für einen Mann mit der Position des Cousins alle Möglichkeiten offen stehen, den Kläger auch im übrigen Iran zu finden.