VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 28.08.2008 - 12 A 28/08 - asyl.net: M14116
https://www.asyl.net/rsdb/M14116
Leitsatz:

Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Kosovo wegen schwerer psychischer Erkrankung.

 

Schlagwörter: Kosovo, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, Psychosyndrom, depressive Störung, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Kosovo wegen schwerer psychischer Erkrankung.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass das Vorliegen eines Abschiebungsverbots in seiner Person festgestellt wird.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Den vorgelegten ärztlichen Äußerungen lässt sich zweifelsfrei entnehmen, dass der Kläger an einer schweren psychischen Erkrankung leidet und seit mehreren Jahren nicht nur einer medikamentösen Behandlung mit den im Attest vom 23.07.2008 genannten Medikamenten, sondern auch regelmäßiger stationärer psychiatrischer Behandlung bedarf. Angesichts der bisherigen Krankengeschichte des Klägers und der vorgelegten Atteste steht fest, dass der Kläger an einem hirnorganischem Psychosyndrom und einer schweren depressiven Störungen leidet und seine psychische Erkrankung nicht - wie von der Beklagten behauptet - (allein) auf dem Gefühl einer massiven Verunsicherung in Folge des Verlustes der sozialen Bindungen durch den Prozess der Abschiebung beruht. Ohne die Behandlung mit den oben genannten Medikamenten und ohne die Möglichkeit regelmäßiger stationärer Behandlung dürfte sich der Gesundheitszustand des Klägers alsbald lebensbedrohlich verschlechtern, wie sich aus dem bisherigen Krankheitsverlauf des Klägers und dem zuletzt vorgelegten ärztlichen Attest vom 23.07.2008 ergibt.

Sowohl die Medikamente wie auch die stationäre Behandlung stehen dem Kläger bei einer Rückkehr in den Kosovo jedoch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht zur Verfügung. Schon die zur Vermeidung schwerer Gesundheitsschäden benötigten Medikamente wird der Kläger bei einer Rückkehr in den Kosovo zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht erhalten. Die Medikamente Doxepin und Cipralex, welcher der Kläger laufend benötigt, sind nicht auf der "essential drug list" (Stand Dezember 2006) aufgeführt. Doxepin kann in privaten Apotheken auf eigene Kosten (20 Tbl., 25 mg, Euro 2,50) erworben werden (vgl. Auskunft Deutsches Verbindungsbüro Kosovo vom 16.04.2004 an VG Osnabrück (Anfrage vom 09.02.2004 zu 5 A 506/03). Cipralex ist im Kosovo gar nicht verfügbar und kann nur von den dortigen Apotheken auf Kosten des Patienten aus dem Ausland beschafft werden (vgl. Auskunft Deutsches Verbindungsbüro Kosovo vom 16.04.2004 an VG Osnabrück). Der Kläger verfügt jedoch nicht über die erforderlichen Mittel zur Beschaffung der Medikamente. Aufgrund seines jahrelangen Aufenthalts in Deutschland, seiner psychischen Erkrankung und unter Berücksichtigung der hohen Arbeitslosigkeit im Kosovo hat er keine Aussicht, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Die Sozialhilfeleistungen, die lediglich 35 Euro für die erste Person und maximal 75 Euro für Familien betragen, reichen kaum aus, um den laufenden Lebensunterhalt zu bestreiten (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.11.2007) und stehen daher für den Kauf der vom Kläger benötigten Medikamente nicht zur Verfügung.

Hinzu kommt noch der Umstand, dass der Kläger nicht nur auf Medikamente, sondern auch auf regelmäßige stationäre psychiatrische Behandlungen angewiesen ist, wie er sie - ausweislich des ärztlichen Attestes vom 23.07.2008 - zuletzt im März 2007 in Anspruch nehmen musste. Die stationären Behandlungsmöglichkeiten für Psychiatriepatienten sind aber auch nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29.11.2007 weiterhin äußerst begrenzt. Das psychotherapeutische Angebot beschränkt sich in den Krankenhäusern auf die medikamentöse Behandlung, reguläre Psychotherapie wird nicht angeboten. Selbst soweit es das Angebot von Gesprächen gibt, gehen die behandelnden Ärzte selbst nicht davon aus, dass diese Gespräche die Bezeichnung Psychotherapie verdienen (vgl. Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur Lage der medizinischen Versorgung im Kosovo vom 7. Juni 2007).

Angesichts der konkret drohenden erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers bei einem Behandlungsabbruch liegt - anders als von der Beklagten behauptet - in der Person des Klägers kein bloßes inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis vor, das von der mit dem Vollzug der Abschiebung betrauten Ausländerbehörde zu beachten wäre, sondern ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot.