VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Gerichtsbescheid vom 15.09.2008 - 8 K 1502/08 - asyl.net: M14034
https://www.asyl.net/rsdb/M14034
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ehegattennachzug, Verlängerung, Schengen-Visum, Visum nach Einreise, Anspruch, Einreise, Beurteilungszeitpunkt, Eheschließung im Ausland, Positivstaatler, Schengener Durchführungsübereinkommen, Schengener Grenzkodex, Ermessen, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1; AufenthG § 5 Abs. 2; AufenthV § 39 Nr. 3; SDÜ Art. 20 Abs. 1; SDÜ Art. 19 Abs. 1; AufenthV § 39 Nr. 5
Auszüge:

Die Klage ist als Untätigkeitsklage nach § 75 Satz 1 und 2 VwGO zulässig, aber unbegründet.

Vorliegend beantragt die Klägerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug und damit für einen dauerhaften Aufenthalt. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist. Gemäß § 6 Abs. 4 AufenthG ist für längerfristige Aufenthalte grundsätzlich ein nationales Visum für das Bundesgebiet erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird. In der auf der Grundlage von § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erlassenen Aufenthaltsverordnung, namentlich in den §§ 39 bis 41 AufenthV, ist bestimmt, in welchen Fällen der Aufenthaltstitel nach der Einreise im Bundesgebiet eingeholt werden kann.

Die Klägerin ist danach jedoch nicht berechtigt, den Aufenthaltstitel zum Familiennachzug nach der Einreise einzuholen. Die Voraussetzungen des hier allein in Betracht zu ziehenden § 39 Nr. 3, 1. Alt. AufenthV i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I, S. 1970) sind nicht erfüllt. Danach kann ein Ausländer über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn er Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (1. Alt.) oder ein gültiges Schengenvisum besitzt (2. Alt.), sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind.

Zwar hielt sich die Klägerin, die als brasilianische Staatsangehörige für Aufenthalte im Schengen-Gebiet bis zu drei Monaten von der Visumpflicht befreit ist (vgl. Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Anhang II EG-VisaVO), im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung rechtmäßig im Bundesgebiet auf (vgl. Art. 20 Abs. 1 des Schengener Durchführungsübereinkommen - SDÜ -). Es fehlt jedoch an der weiteren Voraussetzung, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. Der Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 5 AufenthG ist bereits am 19. März 2008 mit der Eheschließung mit dem deutschen Staatsangehörigen Dr. H. G. in Dänemark und damit vor ihrer letzten Einreise in das Bundesgebiet entstanden.

Unter "Einreise" im Sinne der Bestimmung ist die letzte vor der Entstehung des Anspruchs erfolgte Einreise in das Bundesgebiet - ggf. auch aus einem anderen Schengen-Staat - zu verstehen, nicht jedoch die letzte Einreise in das Schengen-Gebiet (vgl. Beschluss der Kammer vom 1. September 2008 - 8 L 352/08 -; so auch: VG Kassel, Beschluss vom 27. Mai 2008 - 4 L 604/08.KS - juris; a.A.: VG Darmstadt, Beschluss vom 12. März 2008 - 5 L 168/08.DA -; Benassi, InfAuslR 2008, 127 - "unzureichende Änderung des § 39 Nr. 3 AufenthV im Falle dänischer Eheschließung"; offen gelassen: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 21. Dezember 2007 - 18 B 1535/07 -, juris, sowie OVG Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 22. April 2008 - OVG 2 S 118/07 -, AuAS 2008, 158).

Eine andere Auslegung des Begriffs "Einreise" gebietet insbesondere auch nicht das europäische Gemeinschaftsrecht betreffend die Einreise und den Aufenthalt im Schengen-Gebiet für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten mit einem Schengen-Visum oder visumfrei. § 39 Nr. 3 AufenthV knüpft ebenso wie § 1 Abs. 2 AufenthV zwar an die Begrifflichkeiten des Schengener Durchführungsübereinkommens und der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 an. Durch § 39 Nr. 3 AufenthV wird die durch das Gemeinschaftsrecht gewährte Reisefreiheit im Schengen-Gebiet während des Kurzaufenthaltes (vgl. Art. 19 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 SDÜ) jedoch nicht eingeschränkt, sondern vielmehr vorausgesetzt. Die Bestimmung sieht - wie dargelegt - lediglich eine Ausnahme für den im deutschen Aufenthaltsrecht bestehenden Grundsatz vor, dass ein Ausländer für die Einreise in das Bundesgebiet zum Zwecke eines längerfristigen Aufenthalts eines Aufenthaltstitels in Form eines nationalen Visums bedarf. Insoweit wird lediglich von der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten in Bezug auf Aufenthalte, die drei Monate überschreiten, Gebrauch gemacht, ohne die gemeinschaftsrechtlich vorgesehene Reisefreiheit im Schengen-Gebiet während eines Kurzaufenthalts bis zu drei Monaten in Frage zu stellen. Es handelt sich daher bei § 39 Nr. 3 AufenthV um eine nationale Vorschrift, die allein den in der Zuständigkeit des nationalen Gesetzgebers liegenden Bereich der Gestattung eines dauerhaften Zuzugs in das Bundesgebiet - mit oder ohne nationales Visum - betrifft und damit nach Maßgabe des nationalen Rechts auszulegen ist. Allein die Tatsache, dass die Terminologie des Gemeinschaftsrechts im Bereich der Kurzaufenthalte verwendet wird, gebietet keine dem ausdrücklichen Willen des nationalen Gesetzgebers widersprechende gemeinschaftsrechtliche Auslegung des Begriffs der Einreise.

§ 39 Nr. 5 AufenthV i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes ist im Fall der Klägerin ebenfalls nicht einschlägig. Weder war ihre Abschiebung im Zeitpunkt der Antragstellung nach § 60 a AufenthG ausgesetzt, noch hat sie aufgrund einer Eheschließung im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben.

Von der Verpflichtung zur Einholung eines Visums vor der Einreise ist auch nicht nach Maßgabe von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abzusehen.

Die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sind hier zwar erfüllt, da im Fall der Klägerin die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 AufenthG vorliegen. Die Klägerin ist mit dem deutschen Staatsangehörigen Dr. H. G. verheiratet. Auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 - insbesondere Nr. 1 - AufenthG liegen vor. Der Beklagte hat die damit erforderliche Ermessensentscheidung jedoch beanstandungsfrei in seinem Schriftsatz vom 1. August 2008 getroffen. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass das Ermessen rechtmäßig allein dahingehend auszuüben wäre, dass im Fall der Klägerin von dem grundsätzlich durchzuführenden Visumverfahren zum Familiennachzug abzusehen wäre.

Im Rahmen ihrer Entscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG hat die Ausländerbehörde bezüglich beider dort aufgeführten Sonderfälle im Wege des Ermessens zu beurteilen, ob eine Ausnahme von der Einhaltung der Visumsregeln (vgl. § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 4 AufenthG) vertretbar und angemessen ist. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Regelung als Ausnahmebestimmung prinzipiell eng auszulegen ist. Die Durchführung des Visumverfahrens soll nach der amtlichen Begründung des § 5 Abs. 2 AufenthG sowohl bei Vorliegen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als auch in allen anderen Fällen die Regel bleiben (vgl. BT-Drucks. 15/420, S. 70). Auf diese Weise wird einerseits sichergestellt, dass die Steuerungsmechanismen des Aufenthaltsgesetzes nicht lahmgelegt und die dort vorgesehenen Zugangskontrollen hinsichtlich eines Aufenthalts in der Bundesrepublik nicht unterlaufen werden. Andererseits wird durch die Regelung deutlich, dass die Einhaltung der Visumsregeln kein Selbstzweck sein soll. Erforderlich ist demnach eine Güterabwägung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, bei der zu berücksichtigen ist, dass die Einhaltung des Visumsverfahrens der Regelfall bleiben soll und dass allein die Verpflichtung, zur Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft in Deutschland vor der Einreise ein Visum einzuholen, nicht Art. 6 Abs. 1 GG verletzt. Dies erfordert, die legitimen Interessen des Ausländers (z.B. wirtschaftliche Interessen, Familieneinheit) gegen das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumsverfahrens abzuwägen. Dabei ist zu beachten, dass die Nachholung des Visumsverfahrens stets mit allgemein bekannten und deshalb auch vom Gesetzgeber in den Regelungen des Aufenthaltsgesetzes berücksichtigten Unannehmlichkeiten verbunden ist. Vor allem aber gilt es, dem Eindruck bei anderen Ausländern entgegenzuwirken, man könne durch eine Einreise stets vollendete Tatsachen schaffen. Die Grenze liegt dort, wo das Beharren auf die Einhaltung des Visumsverfahrens objektiv als unangemessen empfunden werden müsste, vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 10. April 2007 - 18 B 303/07 - und vom 5. Oktober 2006 - 18 B 1767/06 -, beide juris.

Gemessen daran begegnet die Ermessensausübung durch den Beklagten keine Bedenken. Er hat zutreffend in den Blick genommen, dass über den bloßen Bestand der Ehe hinaus keine Gesichtspunkte erkennbar seien, welche die Durchführung eines Visumverfahrens vom Heimatland aus als besondere Belastung erscheinen ließen.