OLG Karlsruhe

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Zitieren als:
OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.07.2008 - 3 Ss 226/07 - asyl.net: M13965
https://www.asyl.net/rsdb/M13965
Leitsatz:

Keine Strafbarkeit wegen mittelbarer Falschbeurkundung gem. § 271 Abs. 1 StGB wegen falschen Angaben zur Identität bei Asylantragstellung, wenn die in die Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung aufgenommenen Personalienangaben ausschließlich auf eigenen Bekundungen des Asylantragstellers beruhen, unabhängig davon, ob ein entsprechender Hinweis in die Bescheinigung aufgenommen wurde.

Schlagwörter: D (A), Strafrecht, mittelbare Falschbeurkundung, Aufenthaltsgestattung, Bescheinigung, Falschangaben, Identitätstäuschung, Beweiskraft, öffentliche Urkunde
Normen: StGB § 271 Abs. 1; AsylVfG § 63; AsylVfG § 63 Abs. 5; AuslG § 39 Abs. 1 S. 3 Nr. 10; AufenthG § 78 Abs. 7 S. 2; AufenthG § 78 Abs. 6 S. 2 Nr. 10
Auszüge:

Der Freispruch hält einer rechtlichen Prüfung stand. Der Angeklagte hat sich nicht der mittelbaren Falschbeurkundung nach § 271 Abs. 1 StGB schuldig gemacht, da nach der Änderung des Asylverfahrensgesetzes durch das am 01.01.2002 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) vom 09.01.2002 (BGBl I 361) Personalangaben, welche allein auf den Angaben des Asylbewerbers beruhen, in einer Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung nach § 63 AsylVfG nicht mehr von der Beurkundung im Sinne des § 271 Abs. 1 StGB umfasst sind.

1. Wegen mittelbarer Falschbeurkundung nach § 271 Abs. 1 StGB strafbar macht sich, wer bewirkt, dass Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen, welche für Rechte oder Rechtsverhältnisse von Erheblichkeit sind, in öffentlichen Urkunden, Büchern, Dateien oder Registern als abgegeben oder geschehen beurkundet oder gespeichert werden, während sie überhaupt nicht oder in anderer Weise oder von einer Person in einer ihr nicht zustehenden Eigenschaft oder von einer anderen Person abgegeben oder geschehen sind. Tathandlung der mittelbaren Falschbeurkundung ist die gleichsam in mittelbarer Täterschaft herbeigeführte Beurkundung eines unwahren Sachverhalts in einer öffentlichen Urkunde (vgl. BGHSt 42, 131). Nicht jede in einer öffentlichen Urkunde enthaltene Angabe, welche ein Außenstehender durch Täuschung eines gutgläubigen Amtsträgers bewirkt, kann aber Gegenstand einer Straftat nach § 271 Abs. 1 StGB sein. Beurkundet im Sinne dieser Vorschrift sind nur diejenigen Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen, auf die sich der öffentliche Glaube, d. h. die volle Beweiskraft für und gegen jedermann erstreckt. Welche Angaben das im Einzelfall sind, kann sich, wenn es an einer ausdrücklichen Regelung fehlt, mittelbar aus den gesetzlichen Bestimmungen ergeben, die für die Errichtung und den Zweck der Urkunde maßgeblich sind. Dabei sind auch die Anschauungen des Rechtsverkehrs zu beachten. Bei der Prüfung, ob es hiernach gerechtfertigt ist, die erhöhte Beweiskraft der öffentlichen Urkunde auf eine darin aufgeführte Tatsache zu beziehen, muss ein strenger Maßstab angelegt werden. Eine Beweiswirkung für und gegen jedermann kann nur angenommen werden, wenn kein Zweifel besteht, dass dies unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung dem Sinn und Zweck des Gesetzes entspricht (vgl. BGHSt 22, 201, 203; 42, 131; 44, 186, 187 f; BGH NStZ 1996, 231, 232).

2. Bei Zugrundelegung dieses Maßstabes erstreckt sich die erhöhte Beweiskraft einer Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung nach § 63 AsylVfG in der zur Tatzeit geltenden Fassung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes vom 09.01.2002 nicht auf solche darin aufgeführte Personalienangaben, welche allein auf den Bekundungen des Asylbewerbers beruhen.

a) Die Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung, welche mit deklaratorischer Wirkung das kraft Gesetzes bestehende Aufenthaltsrecht zur Durchführung des Asylverfahrens dokumentiert, besitzt die Funktion eines Ausweispapiers, mit welchem der Asylbewerber seiner Ausweispflicht nach § 64 Abs. 1 AsylVfG nachkommt. § 63 Abs. 1 und 5 AsylVfG enthält nähere Bestimmungen zur Gestaltung der maschinenlesbaren und mit einem Lichtbild des Asylbewerbers versehenen Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung. Nach der Vorschrift des § 63 Abs. 5 AsylVfG a. F. in Verbindung mit §§ 56 a Satz 2, 39 Abs. 1 Satz 3 Nr. 10 AuslG, die mit der heutigen Gesetzeslage in § 63 Abs. 5 AsylVfG n. F. in Verbindung mit § 78 Abs. 7 Satz 2, Abs. 6 Satz 2 Nr. 10 AufenthG übereinstimmt, kann in die Bescheinigung der Hinweis aufgenommen werden, dass die Personalangaben auf den eigenen Angaben des Ausländers beruhen. Diese Regelung geht auf die Stellungnahme des Bundesrates zu dem Entwurf der Bundesregierung zum Terrorismusbekämpfungsgesetz zurück, in welcher vorgeschlagen wurde, der Praxis bei Ausländern, bei denen die Personalien häufig nur auf eigenen Angaben beruhen, die Anmerkung "Identität nicht nachgewiesen" zu ermöglichen (vgl. BT-Drucks. 14/7727 S. 9). Die Bundesregierung griff das Anliegen des Bundesrates, dass die Bescheinigung auch einen Hinweis darauf enthalten können sollte, dass die Personalangaben auf den eigenen Angaben des Ausländers beruhen, auf und brachte die schließlich Gesetz gewordene Formulierung des § 39 Abs. 1 Satz 3 Nr. 10 AuslG in das Gesetzgebungsverfahren ein (vgl. BT-Drucks. 14/7754 S. 3).

b) Die Regelung des § 63 Abs. 5 AsylVfG a. F. in Verbindung mit §§ 56 a Satz 2, 39 Abs. 1 Satz 3 Nr. 10 AuslG trägt dem Umstand Rechnung, dass in Fällen, in welchen bei der Ausstellung der Bescheinigung ausschließlich die eigenen Bekundungen des Asylbewerbers zu seiner Person vorliegen, der mit der Ausstellung der Bescheinigung befasste Amtsträger regelmäßig keine Möglichkeit besitzt, die Richtigkeit der angegebenen Personalien zu überprüfen (vgl. BGH NStZ 1996, 231, 232). Der in § 39 Abs. 1 Satz 3 Nr. 10 AuslG zugelassene Hinweis versetzt die Verwaltungsbehörde in die Lage, den fehlenden gesicherten Nachweis der Personalien in der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung selbst zum Ausdruck zu bringen. Damit wird für den Rechtsverkehr zugleich klargestellt, dass die Personalienangaben im Ausstellungsverfahren nicht verifiziert wurden und dementsprechend keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben übernommen werden soll. Der der gesetzlichen Regelung des § 39 Abs. 1 Satz 3 Nr. 10 AuslG erkennbar zu Grunde liegende Vorbehalt des Gesetzgebers gegen die Richtigkeit von sich allein auf die Bekundungen des Ausländers stützenden Personalangaben schließt es aus, den öffentlichen Glauben der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung gerade auch auf diese Personalangaben zu erstrecken (ähnlich OLG Naumburg StV 2007, 134). Dies gilt - unabhängig von der Aufnahme eines Hinweises nach § 39 Abs. 1 Satz 3 Nr. 10 AuslG in die konkrete Bescheinigung - in allen Fällen, in denen die in der Bescheinigung aufgeführten Personalien lediglich auf den eigenen Angaben des Asylbewerbers beruhen. Denn die Reichweite der Beweiskraft der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung kann - worauf das Landgericht zu Recht hinweist - nicht von der Korrektheit des Verwaltungshandelns im Einzelfall abhängen, zumal sachgerechte Ermessenserwägungen dafür, bei nicht verifizierten Personalangaben von einem Hinweis nach § 39 Abs. 1 Satz 3 Nr. 10 AuslG abzusehen, kaum vorstellbar erscheinen.

c) Beruhen die in die Bescheinigung übernommenen Personalienangaben ausschließlich auf den eigenen Bekundungen des Asylbewerbers, beschränkt sich die erhöhte Beweiskraft der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung auf die Tatsache, dass die durch das Lichtbild und gegebenenfalls weitere biometrische Merkmale nach § 39 Abs. 1 Satz 3 Nr. 9 AuslG näher individualisierte Person unter den angegebenen Personalien einen Asylantrag gestellt hat und ihr deswegen der Aufenthalt in der Bundesrepublik gestattet ist (vgl. BGH NStZ 1996, 231, 232; OLG Naumburg aaO). Diese so umschriebene Beweiswirkung stellt die Funktionen der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung nach § 63 AsylVfG als Ausweispapier nicht in Frage, da die Identität des Inhabers der Bescheinigung auf Grund des Lichtbildes und gegebenenfalls erhobener und in die Bescheinigung aufgenommener weiterer biometrischer Merkmale von Fingern, Händen oder Gesicht (§ 39 Abs. 1 Satz 3 Nr. 9 AuslG bzw. § 78 Abs. 6 Satz 2 Nr. 9 AufenthG) feststeht (vgl. BGH NStZ 1996, 231, 232; auch BGHSt 42, 131, 134). Der untrennbaren Verbindung der Aufenthaltsgestattung mit der Person des Asylantragstellers (BGHSt 42, 131, 132) wird auf diese Weise hinreichend Rechnung getragen.