VG Berlin

Merkliste
Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 23.07.2008 - 15 V 3.08 - asyl.net: M13961
https://www.asyl.net/rsdb/M13961
Leitsatz:

Es ist für den Nachweis ausreichender einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache nicht unbedingt erforderlich, ein Sprachzertifikat des Goethe-Instituts oder dessen Lizensnehmern vorzulegen; einfache Kenntnisse der deutschen Sprache setzten auch schriftliche Sprachkenntnisse voraus.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ehegattennachzug, Sprachkenntnisse, Sachaufklärungspflicht, Goethe-Institut, Sprachzertifikat
Normen: AufenthG § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Auszüge:

Es ist für den Nachweis ausreichender einfacher Kenntnisse der deutschen Sprache nicht unbedingt erforderlich, ein Sprachzertifikat des Goethe-Instituts oder dessen Lizensnehmern vorzulegen; einfache Kenntnisse der deutschen Sprache setzten auch schriftliche Sprachkenntnisse voraus.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug.

Der Kläger erfüllt derzeit nicht das Nachzugserfordernis des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Nach dieser Bestimmung für die Ehegatten von Ausländern, die nach § 28 Abs. 1 Satz 5 AufenthG entsprechend auf die Ehegatten von Deutschen anzuwenden ist, darf dem nachzugswilligen Ehegatten das Visum nur erteilt werden, wenn er sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Die Vorschrift ist ohne Übergangsregelung am 28. August 2007 in Kraft getreten (vgl. Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union v. 19. August 2007, BGBl. I, 1970).

(1) Es erscheint zwar zweifelhaft, ob die Beklagte zu Recht grundsätzlich die Vorlage eines Sprachzertifikats über das erfolgreiche Bestehen des vom Goethe-Institut und dessen Lizenznehmern beziehungsweise Partnerorganisationen durchgeführten Sprachtests "Start Deutsch 1" fordert. Eine solche Prüfung ist im Gesetz nicht vorgesehen und auch ausweislich der Gesetzesbegründung vom Gesetzgeber nicht verlangt. Zwar mag eine solche Prüfung aus praktischen Erwägungen für den Nachweis der Sprachkenntnisse sinnvoll sein, da es den Verwaltungsaufwand der Beklagten verringert. Es erscheint aber zumindest in den Fällen, in denen ein Zugang zu den Tests aufgrund der örtlichen Gegebenheiten im Heimatland des den Nachzug begehrenden Ausländers mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, geboten, die erforderlichen Sprachkenntnisse anderweitig festzustellen. Jedenfalls kann das Gericht selbst das Vorliegen der verlangten Sprachkenntnisse im Rahmen des Verfahrens überprüfen und aus eigener Kompetenz feststellen (BVerwG, Beschluss v. 19. Februar 1997 – 9 B 590/96). Ob die Prüfung bei einer anderen Sprachschule anerkannt werden könnte wie z.B. die des Almanya Kültür Merkezi, wo der Kläger einen Deutschtest bestanden haben will, kann dahinstehen, weil der Kläger diese Prüfung nicht durch eine Urkunde o.ä. belegt hat.

(2) Dies kann jedoch letztlich offen bleiben, denn die Deutschkenntnisse des Klägers erreichen gegenwärtig nicht den zu fordernden Mindeststandard. Eine Verständigung auf einfache Art in deutscher Sprache setzt mindestens voraus, dass der Ausländer Sätze mit Subjekt, Prädikat und Objekt bilden und entsprechende Sätze Anderer mit geläufigen Alltagsbegriffen mehr als nur selten verstehen kann (vgl. VG Berlin, Urteil v. 19. Dezember 2007 – 5 V 22.07 – juris; VGH Bayern, Urteil v. 16. April 2008 – 19 B 07.336 - juris).

(a) Nach der in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Überzeugung des Gerichts erfüllt der Kläger diese Voraussetzungen gerade noch.

(b) Jedoch sind aktive und passive mündliche Kenntnisse des Deutschen nicht ausreichend. Vielmehr muss der Kläger auch Kenntnisse der deutschen Schriftsprache vorweisen. Hierzu gehört jedenfalls, dass der nachziehende Ausländer deutsche Texte lesen kann. Ob darüber hinaus verlangt werden kann, dass der nachziehende Ausländer auf Deutsch schreiben kann, ist vorliegend nicht zu entscheiden.

(aa) Der reine Wortlaut der Regelung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erlaubt keinen sicheren Rückschluss, ob die verlangten Sprachkenntnisse, "sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen" zu können, auch Kenntnisse und Fähigkeiten der deutschen Schriftsprache - aktiv und passiv - beinhalten. Der Begriff der Sprache als Kommunikationsmittel kann sowohl lediglich das gesprochene bzw. gehörte Wort und nicht auch die Schriftsprache bezeichnen (vgl. BVerwG, Urteil v. 20. Oktober 2005 – 5 C 17/05, DVBl. 2006, 922 ff.). Das Wort "verständigen" bezeichnet aber zweifelsfrei nicht nur den passiven Vorgang des Verstehens, sondern beinhaltet auch ein aktives Moment des gegenseitigen Verstehens, d.h. des Sich-verständlich-Machens im Sinne der Entäußerung einer Kommunikationsmitteilung von einem Kommunikationspartner (Sender) an einen zweiten (Empfänger).

(bb) Es folgt aber aus der Systematik des Gesetzes, dass durch § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auch Kenntnisse der Schriftsprache verlangt werden. Das AufenthG verlangt in verschiedenen Vorschriften den Nachweis von Sprachkenntnissen. So ist beispielsweise für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis verlangt, dass der Ausländer über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt (§ 9 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG). In bestimmten Fällen kann von dieser Voraussetzung abgesehen werden, nämlich wenn der Ausländer nach § 44 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG keinen Anspruch auf Teilnahme am Integrationskurs hatte oder er nach § 44a Abs. 2 Nr. 3 AufenthG nicht zur Teilnahme hieran verpflichtet war. In beiden Fällen verlangt das Gesetz aber zusätzlich, dass der Ausländer sich "auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen" können muss (§ 9 Abs. 2 Satz 5 AufenthG). Indem das Gesetz aber an einer Stelle eine Verständigung auf einfache Art allein mündlich ausreichen lässt, an anderer Stelle aber eine "Verständigung auf einfache Art" verlangt, kann im Umkehrschluss geschlossen werden, dass die von § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG verlangten Sprachkenntnisse mehr als nur eine mündliche Verständigung, mithin also auch die Schriftsprache erfassen.

(cc) Die Gesetzesbegründung ist in dieser Frage unergiebig.

(dd) Dass § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auch gewisse Kenntnisse der Schriftsprache fordert, folgt auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung. Zweck der Einführung des Satzes 1 Nr. 2 ist es, die Integration der Betroffenen im Bundesgebiet zu erleichtern. Dabei wurde der Spracherwerb der Einreise vorgelagert, u.a., um präventiv Zwangsehen zu vermeiden bzw. Opfern hiervon ein eigenständiges Sozialleben zu ermöglichen (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 173). Unabhängig von den Fällen der Zwangsverheiratungen soll aber den Zuwanderern hierdurch ermöglicht werden, am Sozialleben im Gastland teilzunehmen. Zur Erreichung dieses Zwecks sind aber rudimentäre Kenntnisse der deutschen Schriftsprache jedenfalls in passiver Form zwingend erforderlich, d.h. die Fähigkeit, einen einfachen Text in deutscher Sprache zu lesen. Ohne die Fähigkeit, Medien zu verstehen und mit deutschen Behörden zu kommunizieren, ist eine Integration nicht möglich. Dies folgt aus der Bedeutung, die bei der Kommunikation mit der gesellschaftlichen Umwelt inklusive von Institutionen und Behörden der schriftlichen Kommunikation zukommt. Allein das Ausfüllen von Anträgen bei Ausländerbehörden setzt ein Leseverständnis des Formulars voraus. Ohne gewisse Lesekenntnisse ist der Ausländer auch nicht in der Lage, veröffentliche Mitteilungen von Behörden oder Institutionen zur Kenntnis zu nehmen, die für seine Orientierung in Deutschland wesentlich sein können. Zwar verlangt der vorgeschaltete Erwerb der Sprachkenntnisse nicht, dass sich der Ausländer völlig unproblematisch in Deutschland verständlich machen kann. Es ist aber erforderlich, dass die Sprachkenntnisse bereits einen Umfang haben, der eine Art "Integrationsanker" darstellt, an den weitere Maßnahmen wie die Teilnahme an Integrationskursen o.ä. anknüpfen können. Das BVerwG hat für die zu einer Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 StAG nötigen Sprachkenntnisse ebenfalls entschieden, dass allein mündliche Kenntnisse nicht ausreichen (BVerwG, Urteil v. 20. Oktober 2006, a.a.O.). Zwar ist der Wortlaut des § 10 Abs. 1 StAG ein anderer. Verlangt werden dort – wie in § 9 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG – "ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache". Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das Verhältnis von "ausreichenden Kenntnissen" zu einer "Verständigung auf einfache Art" nur ein quantitatives ist. Für eine Einbürgerung oder Niederlassungserlaubnis muss ein Ausländer "mehr", d.h. besser Deutsch sprechen als für den Ehegattennachzug (vgl. insoweit ausdrücklich die Gesetzesbegründung zum Gesetz v. 18. August 2007, BT-Drs. 16/5065 S. 173). Ein qualitativer Unterschied in dem Sinne, dass für einen Ehegattennachzug mündliche Sprachkenntnisse ausreichen, für Niederlassungserlaubnis und Einbürgerung zusätzlich auch schriftliche Sprachkenntnisse erforderlich sind, ist nicht erkennbar und nach der Überzeugung des Gerichts auch nicht gegeben.