VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 08.08.2008 - 8 K 2047/06 - asyl.net: M13906
https://www.asyl.net/rsdb/M13906
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Ermessensausweisung, Verstoß gegen Rechtsvorschriften, Diebstahl, Einbruchdiebstahl, Körperverletzung, Jugendkriminalität, Generalprävention, Spezialprävention, Wiederholungsgefahr, Ermessen, Aufenthaltsdauer, Integration, Privatleben
Normen: AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2; AufenthG § 55 Abs. 1; AufenthG § 55 Abs. 3; EMRK Art. 8
Auszüge:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Beklagte hat die Ausweisungsverfügung zu Recht auf § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gestützt.

Der Kläger ist durch Urteil des Amtsgerichts Münster vom ... wegen Diebstahls in besonders schwerem Fall in zehn Fällen, davon zweimal im Versuch und neunmal gemeinschaftlich begangen, sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden.

Die Rechtsverstöße sind nicht geringfügig, weil es sich um Vorsatztaten handelt. Auch bei vorsätzlich begangenen Straftaten kann es zwar Ausnahmefälle geben, in denen der Rechtsverstoß des Ausländers als geringfügig im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG zu bewerten ist. Dies braucht in diesem Fall aber nicht vertieft zu werden, weil zumindest auch mehrere Rechtsverstöße in Form mehrerer prozessualer Taten vorliegen und damit der Rechtsverstoß nicht vereinzelt war.

Die Ausweisung ist aus generalpräventiven Gründen gerechtfertigt, denn die konsequente Ausweisung strafgerichtlich verurteilter Ausländer ist ein geeignetes Mittel, um andere Ausländer von solchen Straftaten abzuhalten und so durch die abschreckende Wirkung die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor weiteren Beeinträchtigungen zu schützen.

Die Ausweisung ist überdies spezialpräventiv begründet, so daß es auf die Frage, ob eine Ausweisung des Klägers aufgrund seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland allein aus generalpräventiven Gründen unverhältnismäßig wäre, nicht ankommt.

Aufgrund des bisherigen Verhaltens des Klägers hat der Beklagte zu Recht zur Vorbeugung weiterer Gefahren gehandelt, die vom Kläger ausgingen. Der Kläger ist bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er ist erstmalig im Jahre ... im Alter von 11 Jahren wegen Diebstahls aufgefallen, konnte aber wegen Strafunmündigkeit nicht bestraft werden. Am ... verurteilte das Amtsgericht Münster den Kläger wegen versuchten Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in zwei Fällen zu Jugendarrest. Mit Urteil vom ... wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung zu einem Dauerarrest von vier Wochen verurteilt. Trotzdem hat diese Strafe den Kläger nicht davon abgehalten, weitere Straftaten zu begehen.

Die Einbruchsdiebstähle, die die Täter in einer Gruppe von zehn bis fünfzehn Jugendlichen wechselnder Zusammensetzung begangen haben, waren ausweislich der strafgerichtlichen Urteile von hoher krimineller Energie geprägt, und der Kläger hat bei allen Taten eine führende Rolle übernommen. Da der Kläger im wesentlichen Elektronikartikel entwendete, ist in vielen Fällen ein hoher Schaden in Höhe von mehreren hundert bzw. sogar tausend Euro entstanden. Trotz der Beteuerungen des Klägers, er habe sich gebessert, und trotz der behaupteten Stabilisierung seiner persönlichen Situation hat das Amtsgericht Münster in seinem Urteil vom ... beim Kläger in ganz erheblichem Umfang einen Erziehungsbedarf und darüber hinaus erkennbare schädliche Neigungen festgestellt. Auch unter Berücksichtigung des erheblichen Zeitablaufs seien die schädlichen Neigungen noch vorhanden.

Nach Erlass der Ordnungsverfügung ist der Kläger wiederum strafrechtlich in Erscheinung getreten. Das Amtsgericht Hamm verurteilte ihn am ... wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall in vier Fällen unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Münster zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren. Auch in diesem Urteil machte das Gericht deutlich, daß weiterhin schädliche Neigungen vorliegen und der Kläger sich gerade nicht gebessert habe. Das zeige sich durch die kurze Zeit nach der ersten Verurteilung begangenen erneuten schwerwiegenden Straftaten. Die Vollstreckung der Jugendstrafe konnte im Urteil des Amtsgerichts Hamm daher nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Entscheidung darüber wurde zunächst sechs Monate zurückgestellt. Nachdem der Kläger die entsprechenden Auflagen erfüllt hatte (u.a. Straffreiheit und Freizeitarbeit), erfolgte dann doch die Strafaussetzung zur Bewährung. Dies beseitigt aber nicht die beim Kläger immer noch vorhandenen schädlichen Neigungen, denn auch während des Klageverfahrens ist er - selbst wenn es sich dabei nicht mehr um Eigentumsdelikte handelte - strafrechtlich aufgefallen. Gegen ihn ist ein Strafbefehl in Höhe von 60 Tagessätzen wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ergangen, und ein Verfahren wegen Sachbeschädigung ist nach § 45 Abs. 2 i.V.m. § 109 JGG (nicht aufgrund mangelnden Tatverdachts!) eingestellt worden. In Anbetracht der Dokumentation seiner fehlenden Rechtstreue, die sich auch in den weiteren strafrechtlichen Auffälligkeiten während des Klageverfahrens widerspiegelt, nicht zuletzt auch wegen der seit früher Kindheit begonnenen Straffälligkeit und der erheblichen und kontinuierlichen Anzahl der von ihm meist zusammen mit weiteren Mittätern mitbegangenen Einbruchsdiebstähle war - auch unter Berücksichtigung der für den Kläger sprechenden Aspekte - noch von einer hohen Wiederholungswahrscheinlichkeit auszugehen.

Der Beklagte hat das ihm im Rahmen des § 55 AufenthG zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt.

Es ist nicht zu beanstanden, daß der Beklagte gem. § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG berücksichtigt hat, daß der Kläger sich zwar seit inzwischen zehn Jahren im Bundesgebiet aufhält, aber keinen rechtmäßigen Aufenthalt vorweisen kann. Gem. § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ist im Rahmen der Ermessensausübung allein die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts zu berücksichtigen. Wirtschaftliche Bindungen sind nicht erkennbar, da der Kläger und seine gesamte Familie während der gesamten Zeit ihres Aufenthalts von öffentlichen Mitteln gelebt haben und noch leben. Daß der Beklagte vor diesem Hintergrund die sozialen Bindungen des Klägers (feste Freundin und weitere Freunde) hinter die genannten gewichtigen Aspekte hat zurücktreten lassen, führt zu keiner Beanstandung. Der Beklagte hat des weiteren § 55 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG ausreichend beachtet. Zu berücksichtigen sind danach allein die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die Freundin des Klägers ist keine Familienangehörige im Sinne der Vorschrift. Die gesamte übrige Familie des Klägers befindet sich im Status der Duldung und hält sich damit unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Da alle Familienmitglieder vollziehbar ausreisepflichtig sind, können sie zusammen mit dem Kläger freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren.

Der Beklagte hat schließlich die Voraussetzung des § 55 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG hinreichend gewürdigt. Seine Ermessensausübung steht im Einklang mit dem Duldungsgrund des Art. 8 EMRK. Art. 8 EMRK ist nicht verletzt. Der Schutzbereich des Rechts auf Privatleben ist bereits wegen des langjährigen Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet eröffnet. Die Ausweisung erweist sich aber gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig, da die öffentlichen Interessen die privaten Belange des Klägers deutlich überwiegen. Dabei ist neben dem jahrelangen unrechtmäßigen Aufenthalt des Klägers und der fehlenden wirtschaftlichen Integration die erhebliche und über Jahre hinweg fortdauernde Straffälligkeit des Klägers und die Schwere der begangenen Straftaten von entscheidender Bedeutung.