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VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 15.08.2008 - 1 A 23/07 - asyl.net: M13902
https://www.asyl.net/rsdb/M13902
Leitsatz:

Ausländer haben Anspruch auf Verwendung und Speicherung der von ihnen genannten Personalien.

 

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Aufenthaltsgestattung, Bescheinigung, Identität, Name, Menschenwürde, informationelle Selbstbestimmung, Identitätszweifel, Zumutbarkeit, Mitwirkungspflichten, Vietnamesen, Vietnam, Auslandsvertretung, Fälschung, Personalausweis
Normen: AsylVfG § 55; AsylVfG § 63; GG Art. 1 Abs. 1; AufenthG § 78 Abs. 6 Nr. 10
Auszüge:

Ausländer haben Anspruch auf Verwendung und Speicherung der von ihnen genannten Personalien.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die zunächst als Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) erhobene und sodann als Verpflichtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO bzw. als Leistungsklage zulässige Klage hat Erfolg.

Die Ablehnung und Unterlassung der begehrten Korrektur des abgespeicherten Vornamens nebst Änderung der Datensätze des Klägers ist rechtswidrig und verletzt diesen in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Der Kläger hat Anspruch auf eine Korrektur seiner Personalien. Sein Anspruch auf Ausstellung einer Aufenthaltsgestattung gem. § 55 AsylVfG, eines verfahrensabhängigen Aufenthaltsrechtes als Vorwirkung des Asylgrundrechts (Art. 16 a Abs. 1 GG), beinhaltet regelmäßig nicht nur die Ausstellung dieser Gestattung, sondern impliziert die Ausstellung unter Verwendung seiner Personalien, so wie er sie angibt. Die Identitätsangaben des Klägers sind hier durch Vorlage des vietnamesischen Personalausweises belegt, also auch von der Beklagten entsprechend zu verwenden. Darauf, ob diese zutreffen, kommt es nicht an. Vgl. dazu Beschl. des Nds. OVG v. 1.11.2007 - 4 LB 577/07 -:

"Die Leistungsberechtigung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz setzt jedoch nur eine Aufenthaltsgestattung voraus. Für die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz kommt es auf die Begründetheit des Asylantrags ebenso wenig an wie darauf, ob die Personalien der Aufenthaltsgestattung zutreffen (BGH, Beschl. v. 10.7.1997, a. a. O.). Entscheidend ist, dass für den Asylbewerber nur ein Asylverfahren durchgeführt wird."

In dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess sind zwar alle Beteiligten verpflichtet, an der Erforschung eines Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Im Asylverfahren gilt dies in besonderem Maße für den Asylbewerber (§§ 15, 25 AsylVfG). Aber es obliegt auch der zuständigen Behörde die Klärung des Sachverhaltes und die Erhebung der erforderlichen Beweise (§ 24 AsylVfG; vgl. BVerwG 9. Senat, Urt. v. 29.06.1999 - 9 C 36/98 -). Das gilt in entsprechendem Maße für die Ausländerbehörde (§ 49 AufenthG). Wenn ein Ausländer die üblichen und ihm zumutbaren Mitwirkungshandlungen erfüllt hat, trägt die Ausländerbehörde die Ermittlungs-, Darlegungs- und Beweislast dafür, welche konkreten weiteren und nicht von vornherein aussichtslosen Mitwirkungshandlungen der Betroffene ggf. noch zu unternehmen hat (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 20.05.2008 - 18 A 209/07 -).

Auf die Darstellung und Ausformung seines Namens und seiner Personalien jedoch hat der Ausländer ein durch Art. 1 GG sowie durch sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung geformtes und garantiertes (Grund-)Freiheitsrecht, das von den Behörden entsprechend ihrer Bindung an das Grundgesetz zu achten und zu respektieren ist. § 78 Abs. 6 Nr. 10 AufenthG zeigt das als Vorschrift unterhalb der Verfassung auf: Der Name kann den Menschen nicht behördlich "zudiktiert" werden. Vielmehr haben die Behörden die ihnen genannten Personalien hinzunehmen und ggf. - nach Ermessen - einen ergänzenden Zusatz auf den auszustellenden Aufenthaltstiteln, Ausweisersatzpapieren oder Bescheinigungen anzubringen, wenn die Personalien für sie nicht verifizierbar sind (vgl. insoweit z.B. OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.7.2008 - 3 Ss 226/07 -, zum (alten) AuslG, das insofern mit § 78 Abs. 6 AufenthG übereinstimmt):

"Der in § 39 Abs. 1 Satz 3 Nr. 10 AuslG zugelassene Hinweis versetzt die Verwaltungsbehörde in die Lage, den fehlenden gesicherten Nachweis der Personalien in der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung selbst zum Ausdruck zu bringen. Damit wird für den Rechtsverkehr zugleich klargestellt, dass die Personalienangaben im Ausstellungsverfahren nicht verifiziert wurden und dementsprechend keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben übernommen werden soll. Der der gesetzlichen Regelung des § 39 Abs. 1 Satz 3 Nr. 10 AuslG erkennbar zugrunde liegende Vorbehalt des Gesetzgebers gegen die Richtigkeit von sich allein auf die Bekundungen des Ausländers stützenden Personalangaben schließt es aus, den öffentlichen Glauben der Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung gerade auch auf diese Personalangaben zu erstrecken (ähnlich OLG Naumburg StV 2007, 134). Dies gilt - unabhängig von der Aufnahme eines Hinweises nach § 39 Abs. 1 Satz 3 Nr. 10 AuslG in die konkrete Bescheinigung - in allen Fällen, in denen die in der Bescheinigung aufgeführten Personalien lediglich auf den eigenen Angaben des Asylbewerbers beruhen."

Jedenfalls sind die Behörden nicht berechtigt, einen ihnen "richtig" erscheinenden Namen zu vergeben bzw. beizubehalten - entgegen dem selbstbestimmenden und durch Art. 1 GG getragenen Antrag und den Angaben des Ausländers. Sie haben lediglich die Möglichkeit, in eine Ermessensprüfung darüber einzutreten, ob sie auf der auszustellenden Bescheinigung einen Zusatz gem. § 78 Abs. 6 Nr. 10 AufenthG anbringen wollen oder nicht. Eine Ablehnung bzw. Unterlassung von Namenskorrekturen ist ihnen versagt.

Vorliegend ist es dem Kläger im Übrigen nicht einmal zuzumuten, sich mit den vietnamesischen Behörden hinsichtlich der Ausstellung eines Passersatzpapieres noch in Verbindung zu setzen, da er eine politische Verfolgung durch eben diese Behörden befürchtet. Der Kläger hat damit die ihm aufgrund des AsylVfG bzw. des AufenthG obliegenden Mitwirkungspflichten im Rahmen seiner Möglichkeiten vollumfänglich erfüllt.

Soweit die Beklagte behauptet, dass die vietnamesischen Behörden der Rückübernahme zugestimmt und Passersatzpapiere unter dem ursprünglich angegebenen Namen "V. N. N..." ausgestellt haben und dies für die Echtheit dieser (alten) Identität spreche, kann dem nicht gefolgt werden. Es ist der Kammer aus verschiedenen anderen Verfahren bekannt, dass die vietnamesischen Behörden mitunter ohne nachvollziehbare Gründe die Echtheit von Personalien leugnen oder zuvor noch bestätigte Angaben zurückweisen (vgl. dazu Urteile der Kammer v. 29.5.2002 - 1 A 189/00 - und v. 8.4.2002 - 1 A 135/98 - ; vgl. auch VG Lüneburg, InfAuslR 2002, 367;vgl. auch die Sitzungen der Arbeitsgruppe "Rückführung" in Düsseldorf). Zudem muss davon ausgegangen werden, dass die Datenerfassung in Vietnam nicht dem europäischen Standard entspricht und den Angaben der vietnamesischen Behörden im Hinblick auf einen Asylbewerber daher ein eher geringer Beweiswert zukommt.