VG Koblenz

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Zitieren als:
VG Koblenz, Urteil vom 21.07.2008 - 3 K 1895/07.KO - asyl.net: M13866
https://www.asyl.net/rsdb/M13866
Leitsatz:

Die Aussagen eine Mitarbeiters des Verfassungsschutzes als "Zeuge vom Hörensagen" sind besonders kritisch zu würdigen; umfasst die Aussagegenehmigung nicht Aussagen zu der Art und Weise, auf die der Verfassungsschutz die Erkenntnisse gewonnen hat, ist die Aussage regelmäßig unverwertbar.

 

Schlagwörter: D (A), Niederlassungserlaubnis, allgemeine Erteilungsvoraussetzungen, Versagungsgründe, Ausweisungsgründe, Terrorismus, terroristische Vereinigung, Unterstützung, PKK, Kadek, Kongra-Gel, Veranstaltung, Teilnehmer, Mazlum-Dogan-Jugend-Kultur- und Sportfestival, Verfassungsschutz, Zeuge, Zeuge vom Hörensagen, Beweiswürdigung, Aussagegenehmigung, YEK-KOM
Normen: AufenthG § 26 Abs. 4; AufenthG § 5 Abs. 4; AufenthG § 54 Nr. 5
Auszüge:

Die Aussagen eine Mitarbeiters des Verfassungsschutzes als "Zeuge vom Hörensagen" sind besonders kritisch zu würdigen; umfasst die Aussagegenehmigung nicht Aussagen zu der Art und Weise, auf die der Verfassungsschutz die Erkenntnisse gewonnen hat, ist die Aussage regelmäßig unverwertbar.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist begründet.

Der Kläger hat Anspruch auf Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis.

Anspruchsgrundlage für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis an den Kläger ist § 26 Abs. 4 Satz 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG – in Verbindung mit § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 AufenthG.

Liegen die Voraussetzungen für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis somit im Falle des Klägers dem Grunde nach vor, so steht der Erteilung entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten auch nicht der Versagungsgrund des § 5 Abs. 4 in Verbindung mit § 54 Nr. 5 AufenthG entgegen.

Nach § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist die Erteilung des Aufenthaltstitels zwingend zu versagen, wenn einer der Ausweisungsgründe nach § 54 Nr. 5 oder 5a vorliegt. Im Falle des Klägers ist § 54 Nr. 5 AufenthG in Betracht zu ziehen. Hiernach liegt ein Ausweisungsgrund vor, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat; auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen kann die Ausweisung nur gestützt werden, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Dabei kann von vornherein ausgeschlossen werden, dass der Kläger selbst einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt. Zwar stuft die Kammer die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL in Anknüpfung an den gemeinsamen Standpunkt des Rates der EG vom 27. Dezember 2001 in der Fassung vom 06. Juni 2005, Anhang Ziffer 21 als terroristische Vereinigung ein. Allerdings ergeben sich weder aus dem Asylvorbringen des Klägers noch aus seinem Verhalten in Deutschland Anhaltspunkte dafür, dass er Mitglied dieser Organisationen gewesen wäre oder gar noch sein könnte. Solches wird auch seitens des Beklagten nicht behauptet.

Aber auch für die Unterstützung dieser Organisationen durch den Kläger ergeben sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und Auswertung der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakten keine hinreichenden Anhaltspunkte. Insbesondere ist dem insoweit beweispflichtigen Beklagten der Nachweis ausreichender Belegtatsachen nicht gelungen, die geeignet wären, den Schluss auf die Erfüllung des Tatbestandes des § 54 Nr. 5 AufenthG im Falle des Klägers zu rechtfertigen.

Als erste Belegtatsache für die Unterstützung der PKK durch den Kläger ist dessen Asylvorbringen in den Blick zu nehmen. Danach hat er die PKK in der Türkei aktiv durch Übernahme von Kurierdiensten und Herausgabe von Lebensmitteln an PKK-Kämpfer unterstützt. Diese Unterstützungshandlungen erfolgten aber in der Zeit vor seiner Einreise nach Deutschland zu Beginn des Jahres 2000. Hierauf allein kann der Versagungsgrund deshalb nicht gestützt werden. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 54 Nr. 5 AufenthG, wonach zurückliegende Unterstützungshandlungen die Ausweisung nur dann rechtfertigen, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Gerade dafür ergeben sich hier aber keine hinreichenden Anhaltspunkte. Vielmehr handelt es sich bei diesem Verhalten des Klägers um einen abgeschlossenen Sachverhalt, der sich zudem in der Türkei zugetragen hat. Dies begründet für sich genommen noch keine gegenwärtige Gefährlichkeit des Klägers während seines derzeitigen Aufenthalts in Deutschland.

Als weitere Belegtatsachen für die Unterstützung der PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen durch den Kläger beruft der Beklagte sich auf die Teilnahme des Klägers an den drei im Tatbestand näher bezeichneten Veranstaltungen im Jahre 2006.

Diesbezüglich hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals seine Teilnahme an der Veranstaltung am 08. Juli 2006, dem "Mazlum-Dogan-Jugend-Kultur- und Sportfestival" im Kölner Südstadion, eingeräumt.

Hinsichtlich der beiden übrigen Veranstaltungen vom 27. Mai 2006 und 26. November 2006 hat der Kläger seine Teilnahme weiterhin bestritten. Die hierzu durchgeführte Beweisaufnahme hat den in Bezug auf die Belegtatsachen zu führenden Nachweis der Teilnahme nicht erbracht. Der Zeuge L. hat zunächst nicht selbst an den in Rede stehenden Veranstaltungen teilgenommen, so dass er aus eigener Wahrnehmung zur dortigen Anwesenheit des Klägers keine Angaben machen konnte. Auf die Frage des Gerichts, ob der Zeuge die entsprechenden Informationen von einer Gewährsperson erhalten habe, gab der Zeuge an, hierzu könne er mit Blick auf die Einschränkungen seiner Aussagegenehmigung keine Angaben machen. Allgemein gab er hierzu an, die Erkenntnisse über die Teilnahme des Klägers an den in Rede stehenden Veranstaltungen seien durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gewonnen worden, über die er im Einzelnen keine Angaben machen dürfe. Aufgrund der Auswertung dieser Informationen, die sich auch mit der Zuverlässigkeit dieser Quellen auseinandersetze, halte der Verfassungsschutz die Angaben für zutreffend. Die weitergehende Frage des Gerichts, wie hoch der Zeuge die Irrtumswahrscheinlichkeit bezüglich des Wahrheitsgehalts der dem Verfassungsschutz zugehenden Informationen konkret im vorliegenden Fall einschätze, vermochte der Zeuge wiederum nicht zu beantworten. Die tatsächlich gemachten Angaben reichen zur Überzeugung der Kammer unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Verwertung von Aussagen sogenannter "Zeugen vom Hörensagen" (BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1981 – 2 BvR 215/81 -; BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 – 1 C 26/03 -) im vorliegenden Fall als Beleg für die Teilnahme des Klägers an den beiden Veranstaltungen am 27. Mai und 26. November 2006 indessen nicht aus.

Der Zeuge vom Hörensagen ist als eine Form des mittelbaren Beweises grundsätzlich als zulässiges Beweismittel anerkannt. Allerdings stellt die nur begrenzte Zuverlässigkeit des Zeugnisses vom Hörensagen besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung. Die jedem Personalbeweis anhaftenden Fehlerquellen verstärken sich nämlich erheblich dadurch, dass die Qualität des Beweisergebnisses zusätzlich von der Zuverlässigkeit des Beweisermittlers abhängt. Der Beweiswert derartiger Bekundungen ist daher besonders kritisch zu prüfen. Dabei genügen die Angaben des Gewährsmannes regelmäßig nicht, wenn sie nicht durch andere, nach der Überzeugung des Fachgerichts wichtige Gesichtspunkte bestätigt werden (BVerfG, a.a.O.; GK-AufenthG, Kommentar, Loseblatt-Sammlung, vor §§ 53 ff. Rdnr. 1723.1; jeweils m.w.N.).

Hieran gemessen vermochte das Gericht sich von der Teilnahme des Klägers an den strittigen Veranstaltungen nicht zu überzeugen. Zwar hat das Gericht an der Glaubwürdigkeit des Zeugen L. als solchem keinerlei Zweifel. Vielmehr waren dessen Angaben durch ein hohes Maß an Sachlichkeit und das Bemühen geprägt, im Rahmen der ihm durch die Einschränkung der Aussagegenehmigung gesteckten Grenzen möglichst präzise Angaben zu machen. Allerdings erachtet die Kammer die Einschränkung der Aussagegenehmigung als im Ergebnis zu weitreichend, um hier eine belastbare Tatsachengrundlage für die Annahme des Beklagten, der Kläger habe an den in Rede stehenden Veranstaltungen teilgenommen, zu schaffen. So blieb bereits völlig offen, über welche Art von Erkenntnisquellen der Verfassungsschutz überhaupt in den Besitz der in Rede stehenden Informationen gelangt ist. Ob dies über sogenannte V-Leute oder sonstige Observanten oder z.B. durch Film- oder Tonaufnahmen geschehen ist, blieb ausdrücklich offen. An insoweit verwertbaren Informationen blieb es letztlich bei der Angabe, der Verfassungsschutz halte die mitgeteilten Informationen für zutreffend. Auf die in diesem Zusammenhang gestellte Frage, ob der Zeuge die Informationsquelle im vorliegenden Fall für zuverlässig halte, erklärte der Zeuge, er könne insoweit nur angeben, dass der Verfassungsschutz die Informationen für zutreffend halte. Auch hieraus lässt sich allenfalls mittelbar der Rückschluss ziehen, dass das Erkenntnismittel für sehr zuverlässig gehalten wird. Aus welchen Gründen dies der Fall ist, bleibt ebenfalls wieder unklar, so dass auch diese Einschätzung für das Gericht nicht bewertbar ist. Dies gilt um so mehr, als der Zeuge auch auf nochmalige Nachfrage keine Angaben zu einer möglichen Irrtumswahrscheinlichkeit im konkreten Fall machen konnte. Ferner wurde auch nicht deutlich, ob der Zeuge L. die Erkenntnismittel persönlich ausgewertet hat oder ob dies wiederum durch andere Mitarbeiter des Verfassungsschutzes erfolgt ist, die ihre Einschätzung wiederum an den Zeugen L. weitergegeben haben könnten.

Auch an sonstigen verwertbaren Hinweisen hat die Beweisaufnahme nichts erbracht. Der Zeuge vermochte weder Angaben dazu zu machen, ob der Kläger bei den in Rede stehenden Veranstaltungen in irgendeiner Weise besonders in Erscheinung getreten ist, noch aus welchen Gründen er gerade im Jahr 2006 in den Fokus der Sicherheitsbehörden gerückt ist, während für die Zeit vorher und nachher keine verwertbaren Erkenntnisse vorliegen. Auch sonst wurden keinerlei Unterlagen in das Verfahren eingeführt, die auf eine Teilnahme des Klägers an den beiden genannten Veranstaltungen hindeuten. Zwar vermochte schließlich der Kläger trotz mehrfacher Nachfrage des Gerichts seinerseits keine plausible Erklärung dafür zu liefern, aus welchen Gründen er bis zur mündlichen Verhandlung auch die Teilnahme an der Veranstaltung vom 08. Juli 2006 bestritten hatte, was seine Glaubwürdigkeit zur Überzeugung der Kammer erheblich in Frage stellt. Dieser Umstand rechtfertigt indessen mit Blick auf das Ergebnis der Zeugenvernehmung noch nicht den zwingenden Schluss, dass der Kläger auch in Bezug auf die beiden übrigen Veranstaltungen die Unwahrheit sagt. Eine solche Schlussfolgerung wäre mangels Vorliegens sonstiger belastbarer Hinweistatsachen hoch spekulativ und kann von daher nicht geeignet sein, eine Entscheidung zu Lasten des Klägers zu rechtfertigen. Es steht somit nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nach wie vor die Aussage des Klägers gegen die Aussage des Beklagten. Der Beklagte hat seiner Nachweispflicht für das Vorliegen der Belegtatsachen im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG somit nicht genügt.

Bleibt es nach alledem dabei, dass der Kläger nachweislich lediglich an der Veranstaltung vom 08. Juli 2006 teilgenommen hat, so ist diese einmalige, bloße Teilnahme nicht als eine Unterstützungshandlung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG zu qualifizieren.

Angesichts der erheblichen Bandbreite der Themen und sonstiger Inhalte dieser Veranstaltung kann nicht von vornherein unterstellt werden, dass sich jeder der mehreren Tausend Teilnehmer – und damit auch der Kläger – uneingeschränkt und vorbehaltslos mit allen im Rahmen einer solchen Großveranstaltung öffentlich bekundeten Stellungnahmen und Meinungsäußerungen vollinhaltlich identifiziert. In Bezug auf den Kläger kommt hinzu, dass dieser nach seinen insoweit vom Beklagten nicht substantiiert bestrittenen Einlassungen geltend macht, er habe sich anlässlich eines Aufenthaltes in Köln zu Besuchs- und Einkaufszwecken spontan von Bekannten zur Teilnahme an der Veranstaltung überreden lassen. Insbesondere sei er nicht eigens zum Zwecke der Teilnahme an der Veranstaltung nach Köln gefahren.