VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 18.06.2008 - 7 A 248/08 - asyl.net: M13863
https://www.asyl.net/rsdb/M13863
Leitsatz:

Eine nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der maßgeblichen Verhältnisse in der Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste), welche einen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nach § 73 AsylVfG rechtfertigt, ist für höherrangige RDR-Mitglieder nicht gegeben.

 

Schlagwörter: Côte d'Ivoire, Widerruf, Flüchtlingsanerkennung, RDR, Rassemblement des Republicains, Funktionäre, Mitglieder, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungssicherheit, Sicherheitslage, politische Entwicklung, Oppositionelle, interne Fluchtalternative, Versorgungslage, Existenzminimum
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Eine nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der maßgeblichen Verhältnisse in der Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste), welche einen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nach § 73 AsylVfG rechtfertigt, ist für höherrangige RDR-Mitglieder nicht gegeben.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der mit Bescheid vom 11. Dezember 2004 ausgesprochenen Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG lagen zum gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht nicht vor.

Die Flüchtlingsanerkennung des Klägers erfolgte aufgrund des die Beklagte verpflichtenden Urteils vom 25. August 2004 durch Bescheid vom 11. Oktober 2004, da ihm seinerzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in die Republik Côte d'Ivoire politisch motivierte Verfolgung drohte, weil er sich als Mitglied der Oppositionspartei RDR und seiner offiziellen Tätigkeit für diese als "Generalsekretär für Kulturangelegenheiten" erkennbar für die RDR engagierte.

Diese Tatsache wird im Widerrufsbescheid des Bundesamts, welches den Kläger wegen seiner Tätigkeit als Kulturbeauftragter als einfaches Mitglied einstuft und ihm keine politische, sondern eine kulturelle Tätigkeit zugesteht, fehlerhaft gewürdigt. Die Tätigkeit als "Generalsekretär für Kulturangelegenheiten und gesellschaftliche Tätigkeiten" und die daraus resultierenden Verfolgungen führten, wie es rechtskräftig durch das Urteil des VG Hannover 25. August 2004 feststeht, dazu, den Kläger als vorverfolgt anzusehen. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als "Generalsekretär" für kulturelle Angelegenheiten in der RDR-Abteilung seines Viertels ist auch im vorliegenden Widerrufsverfahren zugrunde zu legen und entgegen der Auffassung des Bundesamts ist der Kläger damit nicht nur ein einfaches Mitglied - ein "militant" der RDR -, sondern er ist vielmehr zumindest örtlich begrenzt als offizieller Parteivertreter und damit als exponiertes Mitglied in Erscheinung getreten. Als solches drohte ihm im Anerkennungszeitpunkt bei einer Rückkehr politische Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG.

Für RDR-Aktivisten dieser Funktionsebene haben sich zwischenzeitlich trotz der von der Beklagten dargestellten langsamen Stabilisierung der Lage in der Elfenbeinküste die Umstände und Verhältnisse nicht so gravierend verändert, dass an dieser Wertung nicht länger festgehalten werden müsste. Zwar ist dem Bundesamt zuzugeben, dass sich die innenpolitische Situation und die Sicherheitslage in der Elfenbeinküste ausweislich der vorhandenen Erkenntnismittel insgesamt im Vergleich zur Zeit des Bürgerkrieges gebessert haben. Insoweit erweist sich auch die Darstellung in dem angefochtenen Bescheid und in dem gerichtlichen Verfahren im Wesentlichen als zutreffend.

Nach den o.g. Maßstäben setzt die Rechtmäßigkeit eines Widerruf aber voraus, dass sich die Verhältnisse im Herkunftsstaat tatsächlich in einer Weise verändert (d.h. verbessert) haben, dass sich eine für die Flucht maßgebliche Verfolgungsmaßnahme auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt. Eine derartige Prognoseentscheidung lässt sich hier jedoch nicht treffen.

Zwar führt eine einfache Mitgliedschaft in der RDR aller Voraussicht nach nicht dazu, bei einer Rückkehr von der politischen Gegenseite, also den regierungsnahen Truppen, verfolgt zu werden. Diesbezüglich ist auszuführen, dass die bloße Mitgliedschaft in der RDR, also in der politischen Opposition, aufgrund der neueren Entwicklungen in der Elfenbeinküste keine generelle staatliche oder sonstige Verfolgung begründet (Auswärtiges Amt, Informationen an das BAMF vom 22. Juni 2007). Zwar wurden in der Vergangenheit RDR-Mitglieder im Süden des Landes immer wieder unter dem Verdacht verhaftet, für die Rebellen im Norden zu arbeiten und sowohl einfache als auch exponierte RDR-Mitglieder wurden Ziel gewalttätiger Aktionen oder Drohungen seitens staatlicher Sicherheitskräfte und regierungsnaher Milizen (Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), Auskunft vom 19. Januar 2007). Nach den Auskünften der SFH besteht für einfache Mitglieder eine Fluchtalternative in den Norden, exponierten Mitgliedern konnte jedoch zumindest im Jahr 2006 auch dort noch Verfolgung drohen. Nach den Auskünften des Auswärtigen Amtes müssen jedoch Mitglieder der RDR, auch örtliche Parteifunktionäre, nicht generell Verfolgungsmaßnahmen befürchten (Auswärtiges Amt, a.a.O.). Im Einzelfall des Klägers gilt zur Überzeugung des Gerichts jedoch, dass eine erneute Verfolgung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Zum einen war der Kläger nicht nur ein einfaches Parteimitglied, sondern gehörte als "Generalsekretär für Kulturangelegenheiten" einer übergeordneten Organisationsebene an. Danach ist der Kläger als jemand, der für die RDR aktiv war, bekannt, und zwar als einer der örtlich Verantwortlichen mit einer über einem schlichten Parteimitglied einzuordnenden Position innerhalb der RDR (zu den Strukturen der RDR vgl. www.rdrci.org). Für Funktionsträger der Partei kann jedoch anhand der vorliegenden Erkenntnislage die erneute Verfolgung nicht ausgeschlossen werden. Gerade angesichts der ausstehenden Wahlen, welche bereits mehrfach verschoben wurden, und der anstehenden notwendigen Prozesse wie der Demobilisierung der ehemaligen Rebellen, um die Wiedervereinigung des Landes vorantreiben zu können, kann eine nachträgliche erhebliche Veränderung der Verhältnisse, welche nicht nur vorübergehend ist, nicht festgestellt werden. Dies ist insbesondere dadurch ersichtlich, dass trotz der offiziellen Beendigung des Bürgerkrieges vereinzelte Übergriffe seitens der regierungstreuen Gruppen immer noch stattfinden (vgl. etwa zu Übergriffen der FESCI Asylmagazin 6/2007) und stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung des Klägers angesichts dessen nicht erkennbar sind.

Es besteht auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung für den Kläger keine zumutbare inländische Fluchtalternative im Norden der Elfenbeinküste. Zwar dürfte ihm dort nach den oben angeführten Informationen als RDR-Mitglied grundsätzlich keine politische Verfolgung drohen. Diese mögliche Fluchtalternative ist ihm aber nicht zumutbar.

Ein unzumutbarer Nachteil liegt vor, wenn der Betroffene in dem verfolgungsfreien Gebiet nicht über das wirtschaftliche Existenzminimum verfügt.

Nach der Auskunft des Instituts für Afrikakunde (Auskunft vom 31. März 2003 an das VG Oldenburg) war die Versorgungslage in einigen der von den Rebellen gehaltenen Gebiete in den vergangenen Jahren extrem angespannt. Es wird dementsprechend die Einschätzung vertreten, dass zahlreiche Menschen erheblichen Risiken für Leib und Leben ausgesetzt seien. Auch amnesty international (Auskunft an das VG Oldenburg vom 3. April 2003) ist der Auffassung, dass für Rückkehrer in den nördlichen Gebieten des Landes kein gesichertes Existenzminimum bestehe. Angesichts der beginnenden politischen Stabilisierung ist zwar davon auszugehen, dass sich die wirtschaftliche Situation auch in den nördlichen Gebieten in den letzten Monaten verbessert hat. Anhaltspunkte für weitreichende Hungersnöte vermag das Gericht den vorhandenen Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen. Grundsätzlich sind jedoch in der Republik Côte d'Ivoire Arbeitslosigkeit und Armut weit verbreitet (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 8. Januar 2007 an das Verwaltungsgericht Karlsruhe).

Auch ist zu berücksichtigen, dass der Kläger im Nordteil der Elfenbeinküste keine persönlichen Bindungen hat. Diese Fluchtalternative ist ihm daher, auch unter dem Gesichtspunkt, dass er eine Ehefrau und ein Baby hat, welche ebenfalls zu versorgen wären, nicht zumutbar. Bei einer Rückkehr in das südliche Gebiet des Landes wäre dagegen das Existenzminimum gewährleistet. Der Kläger könnte seine Tätigkeit im Hafen von Abidjan wieder aufnehmen.