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VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.07.2008 - 11 S 1534/08 - asyl.net: M13847
https://www.asyl.net/rsdb/M13847
Leitsatz:

Zur Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bei fehlender "Verwurzelung" i.S. des Art. 8 EMRK (im Anschluss an den Senatsbeschluss v. 25.10.2007 - 11 S 2091/07 - InfAuslR 2008, 29).

 

Schlagwörter: D (A), vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung, Abschiebungshindernis, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK, Privatleben, Duldung, Straftat, Integration, Verhältnismäßigkeit
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AufenthG § 60a Abs. 2; EMRK Art. 8
Auszüge:

Zur Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bei fehlender "Verwurzelung" i.S. des Art. 8 EMRK (im Anschluss an den Senatsbeschluss v. 25.10.2007 - 11 S 2091/07 - InfAuslR 2008, 29).

(Amtlicher Leitsatz)

 

Das Verwaltungsgericht hat den Haupt- und Hilfsantrag des Antragstellers gemäß § 123 Abs. 1 VwGO im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Die Abschiebung ist auch nicht im Hinblick auf das gemäß Art. 8 EMRK geschützte Privatleben des Antragstellers aus rechtlichen Gründen unmöglich. Der Senat hat zwar im Beschluss vom 25.10.2007 - 11 S 2091/07 - (InfAuslR 2008, 29) ausgeführt, dass es im Rahmen des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 EMRK wohl nicht entscheidungserheblich darauf ankommt, ob der Ausländer über einen zumindest vorübergehenden legalen Aufenthalt verfügt hat; der Schutzbereich dieses Menschenrechts dürfte vielmehr auch bei nur Geduldeten eröffnet sein können. Das steht im Übrigen auch nicht im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 10.05.2006 - 11 S 2354/05 - und Urteil vom 25.04.2007 - 11 S 409/06 -), in der diese Frage ausdrücklich offen gelassen wurde.

Der Eingriff in das geschützte Privatleben des Antragstellers dürfte jedoch im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig sein. Die Abwägung insbesondere des öffentlichen Interesses an der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) mit dem Interesse des Antragstellers an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten Bindungen im Bundesgebiet geht im Ergebnis zu Lasten seines privaten Interesses. Zu Gunsten des Antragstellers nimmt der Senat dabei an, dass bezogen auf das Kosovo ein erheblicher Grad der "Entwurzelung" gegeben sein dürfte. Es wird als wahr unterstellt, dass der seit 19.10.1992 in Deutschland lebende Antragsteller dort keine Familienangehörigen mehr hat und, wie er im Schriftsatz vom 18.10.2007 ausführt, die Heimatsprache "nur eingeschränkt versteht". Allerdings fällt insoweit auf, dass die durch Urteil des Amtsgerichts Mosbach vom 14.06.2007 (1 Ls 12 Js 9812/06) abgeurteilten Mittäter allesamt kosovoalbanischen Migrationshintergrund hatten und die Eltern des Antragstellers jedenfalls bei ihrer Asylanhörung am 29.10.1992 fließend albanisch sprachen. Dass der Antragsteller, der sich offenbar bis heute in einem kosovoalbanisch geprägten Umfeld bewegt, von seinen Eltern in einer anderen Sprache als Albanisch erzogen worden ist, trägt er nicht vor. Nachdem er die Eltern nach seinen Angaben bis heute bei Behörden- und Arztgängen begleitet, und er insoweit möglicherweise auch Übersetzungsdienste leistet, ist ihm jedenfalls zuzumuten, seine Albanischkenntnisse im Kosovo zu vervollkommnen. Es kann des Weiteren davon ausgegangen werden, dass ihn seine in Deutschland lebende Familie dort unterstützen wird, sodass auch insoweit keine unüberwindbaren Schwierigkeiten der Reintegration gegeben sein dürften.

Im Rahmen der Abwägung des Art. 8 Abs. 2 EMRK spricht wesentlich gegen den Schutz der privaten Interessen des Antragstellers, dass es ihm trotz seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht hinreichend gelungen ist, sich in sozialer und kultureller Hinsicht zu "verwurzeln" und also erfolgreich in die bundesrepublikanische Gesellschaft zu integrieren.Im Lichte der sogenannten Boultif/Üner-Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK (vgl. Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 - NVwZ 2007, 1279) ist zudem in die Abwägung einzustellen, dass der Antragsteller schon am 22.08.2003, am 10.05.2004 und am 21.02.2005 durch Diebstähle auffällig geworden und schließlich wegen einer Einbruchserie im Zeitraum von 04.11.2006 bis zum 17.12.2006, wenn auch mit Bewährung, so doch zu einer erheblichen Jugendstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten sowie einer Woche Dauerarrest verurteilt worden ist. Seit dem 17.12.2006 ist noch keine so lange Zeit verstrichen, dass angesichts der gravierenden Eigentumsdelikte eine Wiederholungsgefahr hinreichend ausgeschlossen werden könnte. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet zu keinem Zeitpunkt durch einen Aufenthaltstitel - i.S. einer "Handreichung des Staates" - legitimiert war und mithin kaum schutzwürdiges Vertrauen auf ein dauerhaftes Hierbleibendürfen entwickelt werden konnte.