LSG Hessen

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Zitieren als:
LSG Hessen, Beschluss vom 04.08.2008 - L 6 B 75/08 EG - asyl.net: M13823
https://www.asyl.net/rsdb/M13823
Leitsatz:

Es bestehen hinreichende Erfolgsaussichten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Klage eines geduldeten Ausländers auf Zahlung von Elterngeld, wenn er einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hatte, da es insoweit auf die Klärung verfassungsrechtlicher Fragen durch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines Vorlageverfahrens zu § 62 Abs. 2 EStG ankommen kann.

 

Schlagwörter: D (A), Elterngeld, Duldung, Aufenthaltserlaubnis, Anspruch, deutsche Kinder, Verfassungsmäßigkeit, Prozesskostenhilfe, Erfolgsaussichten, Bundesverfassungsgericht, Vorlageverfahren
Normen: SGG § 73a Abs. 1; ZPO § 114; BEEG § 1 Abs. 7; AufenthG § 28 Abs. 1 Nr. 3
Auszüge:

Es bestehen hinreichende Erfolgsaussichten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Klage eines geduldeten Ausländers auf Zahlung von Elterngeld, wenn er einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hatte, da es insoweit auf die Klärung verfassungsrechtlicher Fragen durch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen eines Vorlageverfahrens zu § 62 Abs. 2 EStG ankommen kann.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Daran gemessen und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (vgl. z.B. Beschluss vom 4. Februar 2004, Az. 1 BvR 1172/02 = NJW-RR 2004, S. 1053), wonach keine überspannten Anforderungen an die Erfolgsaussicht gestellt werden dürfen, ist diese vorliegend zu bejahen.

Der Beklagte hat § 1 Abs. 7 BEEG in der seit dem 1. Januar 2007 geltenden Fassung angewandt. Diese Vorschrift hat für die ab dem 1. Januar 2007 geborene Kinder den übergangsweise noch bis zum 31. Dezember 2008 geltenden § 1 Abs. 6 des Gesetzes zum Erziehungsgeld und der Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG -) abgelöst. Beide Vorschriften sind im Wortlaut nahezu identisch. § 1 Abs. 6 BErzGG ist wiederum im Wortlaut völlig identisch mit der Vorschrift des § 62 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG), die den Anspruch auf Kindergeld regelt. Damit haben alle drei genannten Vorschriften einen inhaltsgleichen Regelungsgehalt. Bei dem Bundesverfassungsgericht sind zwei Verfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 62 Abs. 2 EStG anhängig. Der 10. Senat des Finanzgerichts Köln hat insoweit mit Beschlüssen vom 9. Mai 2007 (Az.: 10 K 1689/07 und 10 K 1690/07) dem Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 62 Abs. 2 EStG in der seit dem 1. Januar 2006 geltenden Fassung insoweit mit dem Grundgesetz unvereinbar sei, als die Gewährung von Kindergeld im Falle eines gestatteten oder geduldeten Aufenthalts aus humanitären Gründen von über drei Jahren noch von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht werde. Zwei weitere Senate des Finanzgerichts Köln sind dem zwar nicht gefolgt und haben die Auffassung vertreten, dass die Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne (14. Senat, Urteil vom 20. Dezember 2007, Az.: 14 K 2820/03 und 15. Senat, Urteil vom 14. Juni 2007, Az.: 15 K 4522/05). Die genannten Entscheidungen dokumentieren aber, dass in der Rechtsprechung die Frage der Verfassungsmäßigkeit der in § 1 Abs. 6 BErzGG/§ 62 Abs. 2 EStG geregelten Anspruchseinschränkung - insbesondere im Hinblick auf die Voraussetzung einer berechtigten Erwerbstätigkeit - streitig ist. Die beiden Verfahren bei dem Bundesverfassungsgericht (Az.: 2 BvL 3/07 und 2 BvL 4/07) sind weiterhin anhängig und noch nicht entschieden. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage steht mit der von dem Finanzgericht Köln vorgelegten und von dem Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Frage zumindest im Zusammenhang. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Dies trifft hier auf die Klägerin zu, so dass sie Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat. Nach ihren Angaben ist diesem Anspruch mittlerweile Genüge getan und die Aufenthaltserlaubnis auch erteilt worden. Nach § 28 Abs. 5 AufenthG berechtigt die so erteilte Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Auch für den Senat stellt sich die Frage, ob § 1 Abs. 7 Nr. 2 BEEG verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, soweit danach der Anspruch auf Elterngeld von der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis und nicht lediglich von dem Vorliegen der Voraussetzungen für die Aufenthaltserlaubnis abhängt. Im Ergebnis sind Rechtsfragen angesprochen, die derzeit höchstrichterlich bzw. verfassungsgerichtlich noch ungeklärt sind. Es ist nicht auszuschließen, dass das Bundesverfassungsgericht § 62 Abs. 2 EStG für verfassungswidrig erklärt und die Entscheidung wegen des identischen Wortlauts gleichermaßen Auswirkungen auf § 1 Abs. 6 BErzGG bzw. § 1 Abs. 7 BEEG hat. Damit kann aber der Klage eine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 114 S. 1 ZPO nicht von vornherein abgesprochen werden. Dies gilt zumindest vor dem Hintergrund einer nicht abschließenden und insoweit für das Prozesskostenhilfeverfahren ausreichenden rechtlichen Prüfung.