OLG Zweibrücken

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Zitieren als:
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 24.10.2007 - 3 W 211/07 - asyl.net: M13799
https://www.asyl.net/rsdb/M13799
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, vorläufiger Gewahrsam, Ausländerbehörde, Festnahme, Untertauchen
Normen: AufenthG § 62 Abs. 4
Auszüge:

Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts beruht nicht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

Entgegen der von der Beteiligten zu 1) im Verfahren der weiteren Beschwerde vertretenen Auffassung ergibt sich auch aus der am 28. August 2007 in Kraft getreten neuen Regelung des § 62 Abs. 4 AufenthG nichts Gegenteiliges. Nach dieser Vorschrift kann die für den Haftantrag zuständige Behörde einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

1. der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 2 Satz 1 besteht,

2. die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und

3. der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.

Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.

Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber eine Ermächtigungsgrundlage für die Ingewahrsamnahme des Ausländers durch die Ausländerbehörde geschaffen. Ziel der Regelung des Absatzes 4 ist es, eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die vorläufige Festnahme von Ausländern in das Aufenthaltsgesetz aufzunehmen, um die richterliche Vorführung zur Anordnung der Sicherungshaft sicherzustellen. Satz 1 Nr. 1 stellt die Verknüpfung der vorläufigen Festnahme mit dem erstrebten Ziel der Maßnahme sicher, die Anordnung der Sicherungshaft. Nummer 2 dient ausschließlich der Klarstellung, dass eine vorläufige Festnahme nur dann erfolgen darf, wenn die Maßnahme nicht auch aufgrund einer richterlichen Anordnung erfolgen könnte. Diese Voraussetzung wird regelmäßig gegeben sein, wenn eine richterliche Anordnung in der konkreten Situation nicht rechtzeitig eingeholt werden kann und die Gefahr des Untertauchens des Ausländers zu befürchten ist. Nummer 3 ist ebenfalls notwendige Voraussetzung einer vorläufigen Festnahme, die nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn ansonsten die Gefahr besteht, dass der Ausländer die bezweckte Maßnahme – die richterliche Anordnung der Sicherungshaft – vereitelt. Satz 2 sieht die unverzügliche richterliche Vorführung nach der Festnahme vor. Im Übrigen richtet sich das Verfahren nach dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen.

Der gesetzlichen Regelung liegen vier Fallkonstellationen zugrunde:

1. Die Polizei überprüft die Personalien eines Ausländers zur Nachtzeit und stellt fest, dass er sich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

2. Der Ausländerbehörde ist nicht zuvor bekannt, dass Sicherungshaft beantragt werden soll. Dies ergibt sich erst während einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde. Der Ausländer will untertauchen.

3. Der Ausländerbehörde ist bereits bekannt, dass Sicherungshaft beantragt werden soll. Der Ausländer erscheint zufällig bei der Ausländerbehörde.

4. Der Aufenthalt des vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers ist unbekannt.

Für die erste Fallgruppe bildet § 62 Absatz 4 AufenthG nunmehr eine bundeseinheitliche Regelung, nach der der Ausländer bis zur unverzüglichen richterlichen Vorführung in Gewahrsam bleiben kann. Mangels eindeutiger polizeirechtlicher Regelungen der Länder musste bislang die Polizei den Ausländer nach der Feststellung der Personalien wieder frei lassen, wenn sie über keine rechtliche Grundlage verfügte, ihn bis zum nächsten Morgen festzuhalten, um ihn dem Richter zur Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen. Eine vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO kommt nicht in Betracht, soweit der Ausländer nicht zum Zwecke des Strafverfahrens, sondern zum Zwecke der Abschiebung festgehalten werden soll. Die zweite und dritte Fallgruppe sind typische Anwendungsfälle des Absatzes 4. Gleichwohl handelt es sich dabei in der Regel nicht um eine Freiheitsentziehung, sondern um eine Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG nicht unterfallende Freiheitsbeschränkung, wenn der Ausländer in der Ausländerbehörde vorläufig festgenommen und anschließend unmittelbar dem Richter vorgeführt wird. Das Ziel der Maßnahme ist nicht die Festnahme, sondern die Sicherung der Abschiebung. Die Maßnahme wird in der Regel nur eine kurze Zeit andauern, so dass von einer geringen Intensität des Eingriffs auszugehen sein wird. Auf die vierte Fallgruppe findet § 62 Absatz 4 i.V.m. Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG Anwendung (BT-Drucksache 16/5065, Seite 188, 189).

Auf dieser Grundlage hat das Landgericht zu Recht ausgeführt, dass die Ausländerbehörde hier, wenn sie des Betroffenen zufällig oder durch eine gezielte Kontrolle habhaft wird, nach § 62 Abs. 4 AufenthG vorgehen kann. Denn mit dieser Vorschrift ist gerade für die Fälle des unbekannten Aufenthalts des Betroffenen eine ausdrückliche gesetzliche Regelung dafür geschaffen worden, dass die Ausländerbehörde den Ausländer im Falle seines Auftauchens festnehmen (lassen) und dem Abschiebehaftrichter vorführen (lassen) kann. Die Kammer hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass für den vorliegenden Fall von einer geplanten Abschiebung gerade keine Rede sein kann. Denn der Betroffene ist, wie sich im Rahmen der Anhörung der Beteiligten zu 1) durch die Kammer ergeben hat, unbekannten Aufenthaltes. Zwar soll dessen Festnahme mit dem Ziel der Abschiebung erfolgen. Diese und ihr Zeitpunkt stehen jedoch aufgrund des unbekannten Aufenthalts des Betroffenen nicht fest. Angesichts dieser Umstände kommt der Erlass eines Haftbefehls nicht in Betracht.