VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 23.05.2008 - 7 K 2488/07.A - asyl.net: M13700
https://www.asyl.net/rsdb/M13700
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Folgeantrag, Christen, Konversion, Apostasie, Missionierung, Internet, exilpolitische Betätigung, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, religiös motivierte Verfolgung
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 28 Abs. 2
Auszüge:

In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe ist festzustellen, dass für den Kläger das Abschiebungshindernis des § 60 Abs. 1 AufenthG besteht.

Eine Rückkehr in den Iran ist dem Kläger deshalb jedoch nicht zuzumuten, weil er in der Bundesrepublik Deutschland zum Christentum übergetreten ist und er sich inzwischen in seiner Kirche auf eine Weise betätigt, die ihm eine Rückkehr in den Iran einer Verfolgung aus religiösen Gründen aussetzen würde.

Nach ständiger obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 05.09.2001 - 6 A 3293/01.A -, vom 13.02.2002 - 5 A 4412/01.A -, vom 13.05.2004 - 5 A 1833/04.A -. vom 01.06.2005 - 5 A 1737/05.A - und vom 02.12.2005 - 5 A 4684/05.A -; OVG Hamburg, Urteil vom 29.08.2003 - 1 Bf 11/98.A-, Sächsisches OVG, Urteil vom 04.05.2005 - A 2 B 524/04 -, veröffentlicht in juris.) sind moslemische Apostaten, die in Deutschland zum christlichen Glauben übergetreten sind und ihren Glauben hier betätigen, deshalb im Iran nur dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ausgesetzt, wenn sie in Deutschland - über Aktivitäten wie regelmäßige Gottesdienstbesuche oder Gespräche mit Gleichgesinnten hinaus - eine missionarische Tätigkeit in herausgehobener Position entfalten, die nach außen erkennbar und mit Erfolg ausgeübt wird oder die sich aus sonstigen Gründen ausnahmsweise in vergleichbarer Weise deutlich von der missionarischen Tätigkeit anderer Apostaten abhebt. Missionarische Aktivitäten in Deutschland innerhalb der jeweiligen Kirchengemeinde ohne hervorgehobene Funktion, im Freundes- oder Bekanntenkreis oder in Form des Ansprechens fremder Personen auf den christlichen Glauben vermögen hingegen die Gefahr politischer Verfolgung im Falle der Rückkehr in den Iran nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu begründen.

Das Gericht schließt sich dieser Einschätzung, die auch durch die neueren vorliegenden Erkenntnisse nicht in Zweifel gezogen wird, an.

Aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung ist das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass sich das Engagement des Klägers für seine Kirchengemeinde und die missionarische Tätigkeit ausnahmsweise aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles deutlich von der missionarischen Tätigkeit anderer Apostaten abhebt und der nach außen erkennbaren missionarischen Tätigkeit in herausgehobener Form vergleichbar ist.

So hat der Kläger vorgetragen und durch entsprechende im Folgeverfahren vorgelegte Auszüge belegt, dass er nach Abschluss seines ersten Asylverfahrens eine Vielzahl von Artikeln verfasst und diese auf seiner Homepage veröffentlicht hat. Darüber hinaus hat der Kläger vorgetragen, dass er an einer Bibelübersetzung in irakische Sprache mitgewirkt habe und zurzeit intensiv daran arbeite, die Bibel in eine persische Fassung zu übersetzen. Auf dieser neu überarbeiteten Fassung werde er als Bearbeiter namentlich aufgeführt.

Nach dem Eindruck des Klägers in der mündlichen Verhandlung steht zudem für das Gericht fest, dass der Kläger es mit seinem Übertritt zum christlichen Glauben ernst meint und nicht zu den Asylbewerbern gehört, die nur um ihrem Asylverfahren zum Erfolg zu verhelfen, den Glauben wechseln wollen. Das Gericht sieht deshalb auch keinen Anlass, an der insofern im Schreiben der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde ... zum Ausdruck gebrachten Einschätzung zu zweifeln.

Dies alles zugrundegelegt, ergibt sich nach Auffassung des Gerichts, dass in der Summe der vorgenannten Besonderheiten des Einzelfalles eine missionarische Tätigkeit des Klägers vorliegt, die sich deutlich von der Situation anderer Glaubensübertritte abhebt. Der Fall zeichnet sich nunmehr auch dadurch aus, dass der Kläger nicht lediglich im Bekannten- und Freundeskreis missionarisch tätig wird, sondern vielmehr aktiv Werbung mit Hilfe seiner lnternetpräsentation und insbesondere auch durch seine Mitarbeit an der Bibelübersetzung betreibt und dadurch eine Wirksamkeit erzielt, die weit über das Missionieren im "privaten" Raum hinausgeht. Dem Kläger kann daher auch abgenommen werden, dass seine Aktivitäten bereits zu Reaktionen von moslemischen Glaubensbrüdern geführt hat, wie die von ihm im Klageverfahren und in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Ausdrucke der E-Mails zeigen. Wenn auch aufgrund der Absender nicht - wovon der Kläger ausgeht - sicher nachvollzogen werden kann, von wem die dort ausgesprochenen Bedrohungen stammen, so ist doch davon auszugehen, dass die Aktivitäten des Klägers interessierten islamischen und iranischen Kreisen nicht verborgen geblieben sind.

Die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 1 AufenthG steht nach Auffassung des Gerichts auch im Einklang mit § 28 Abs. 2 AsylVfG. Grundgedanke ist insoweit, dass ausgeschlossen sein soll, dass ein Ausländer oder Staatenloser bei Fehlen des Kausalzusammenhanges zwischen Verfolgung/Flucht und Asyl nicht durch eine risikolose Verfolgungsprovokation vom gesicherten Ort aus ein grundrechtlich verbürgtes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland praktisch selbst erzwingen können soll. Diese Überlegung trifft jedoch auf den Fall eines ernsthaften Glaubensübertrittes aus religiösen Gewissensgründen - wie im Fall des Klägers - ersichtlich nicht zu.