VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Beschluss vom 23.07.2008 - 10 L 430/08.A - asyl.net: M13699
https://www.asyl.net/rsdb/M13699
Leitsatz:

Vorläufige Aussetzung der Überführung nach Schweden wegen drohender Kettenabschiebung eines Yeziden in den Irak.

Schlagwörter: Schweden (A), Verordnung Dublin II, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Abschiebungsanordnung, Drittstaatenregelung, Kettenabschiebung, Irak, Jesiden, Dublin II-VO, Dublinverfahren, Schweden,
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; AsylVfG § 34a Abs. 1; AsylVfG § 34a Abs. 2, GFK Art. 33,
Auszüge:

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage 10 K 1072/08.A gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. Juli 2008 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen, ist zulässig und begründet.

Ob der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. Juli 2008 offensichtlich rechtmäßig oder rechtswidrig ist, kann angesichts der kurz bevorstehenden Abschiebung des Antragstellers nicht hinreichend sicher entschieden werden. Zwar können Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die gemäß § 34 a Abs. 1 AsylVfG nach § 34 Abs. 2 AsylVfG nicht mit einen Antrag nach § 80 VwGO ausgesetzt werden, doch hat das Bundesverfassungsgericht demgegenüber entschieden, dass ein Ausländer ausnahmsweise "eine Prüfung, ob der sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, ... erreichen <kann>, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist." (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 ff. = EZAR 208 Nr. 7).

Ob solche Tatsachen und ein solcher Sonderfall vorliegen, muss der Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Der Antragsteller hat jedenfalls Tatsachen glaubhaft gemacht, die der Anwendung und Durchführung des Dubliner Übereinkommens auf den ersten Blick entgegenstehen und den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge jedenfalls nicht offensichtlich als rechtmäßig erscheinen lassen.

Im Rahmen der dann vorzunehmenden allgemeinen Interessenabwägung überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung gegen über dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin an einer Rückführung nach Schweden.

Der Antragsteller hat glaubhaft dargelegt, dass ihm bei einer Rückführung nach Schweden eine sog. Kettenabschiebung drohe, weil er von Schweden in den Irak zurückgeführt werden würde, wo ihm dann aufgrund seiner yezidischen Religionszugehörigkeit Verfolgungsmaßnahmen durch den überwiegenden muslimischen Bevölkerungsanteil drohen könnten. Ob dies tatsächlich der Fall sein wird, d.h., ob Schweden den Antragsteller unmittelbar ohne Prüfung seines Asylbegehrens in sein Herkunftsland zurückschieben wird, kann an dieser Stelle und in diesem Verfahrensstadium nicht beurteilt werden. Nach der von dem Antragsteller vorgelegten Stellungnahme des UNHCR, die dieser dem Einzelrichter auf telefonische Nachfrage bestätigte, werden irakische Staatsangehörige aus Schweden nach einem bilateralen Abschiebungsabkommen in ihr Herkunftsland zurückgeführt. Anders als in der Bundesrepublik Deutschland, von der aus Rückführungen allein in den Nord-Irak möglich sein sollen, würden irakische Staatsangehörige aus Schweden in den Zentralirak und dort unmittelbar in die Hauptstadt Bagdad zurückgeschoben. Eine Differenzierung der abgeschobenen irakischen Asylbewerber etwa nach Familienstand, Religionszugehörigkeit oder Herkunftsgebiet im Irak werde von den schwedischen Behörden nicht vorgenommen. Nach telefonischer Auskunft des Mitarbeiters des UNHCR müssten sich irakische Staatsangehörige yezidischer Glaubenszugehörigkeit dann von Bagdad in den Nord-Irak durchschlagen. Angesichts dieser Umstände könnte hier ein Sonderfall vorliegen, den im Hauptsacheverfahren nachzugehen sein wird und der im Rahmen der allgemeinen Interessenabwägung das Anordnungsinteresse des Antragstellers ausnahmsweise als überwiegend erscheinen lässt.