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VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 26.06.2008 - 8 K 52/07 - asyl.net: M13690
https://www.asyl.net/rsdb/M13690
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Ausweisung, zwingende Ausweisung, Privatleben, Europäische Menschenrechtskonvention, Schweiz, Schutz von Ehe und Familie, Schengener Durchführungsübereinkommen, SIS, Einreiseverweigerung
Normen: AufenthG § 53 Nr. 1; EMRK Art. 8; AufenthG § 55 Abs. 3 Nr. 1; SDÜ Art. 5 Abs. 1; SDÜ Art. 15
Auszüge:

2. Die Ausweisung der Klägerin ist auch materiell rechtmäßig.

a) Die Klägerin erfüllt den Tatbestand der zwingenden Ausweisung nach § 53 Nr. 1 Alt. 1 AufenthG.

c) § 53 AufenthG räumt dem Beklagten kein Ermessen ein, sondern sieht die Ausweisung als gebundene Entscheidung vor.

Die Ausweisung der Klägerin ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt - auch unter Beachtung des anwendbaren Völkerrechts, insbesondere des Art. 8 EMRK - nicht unverhältnismäßig.

Die Klägerin hielt und hält sich in Deutschland nicht rechtmäßig auf und schutzwürdige Belange im Sinne des § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG sind nicht erkennbar.

Soweit die Klägerin vorträgt, ihr Sohn habe in der Schweiz eine befristete Aufenthaltserlaubnis, im Falle ihrer Ausweisung werde die Schweiz ihr die Einreise auf Grund ihrer Ausschreibung in dem Schengener Informationssystem verweigern, ergibt sich daraus keine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung.

Auch angesichts der auf Art. 62 Abs. 2 EG beruhenden Art. 5 Abs. 1 bzw. Art. 15 f. des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) vom 19. Juni 1990 (vgl. BGBl. 1993 II, S. 1010) sowie des Abkommens vom 26. Oktober 2004 zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, das seit dem 1. März 2008 in Kraft ist (vgl. ABlEU L 53/18 vom 27. Februar 2008), ist keine unionsrechtskonforme Auslegung des § 55 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG dergestalt geboten, dass die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen oder Lebenspartner des Ausländers, die sich außerhalb des Bundesgebiets, aber innerhalb eines Schengener Vertragsstaates aufhalten und mit ihm dort in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft leben (wollen), bei der Entscheidung über die Ausweisung zu berücksichtigen sind.

Dafür könnte zwar sprechen, dass nach Art. 5 Abs. 1 bzw. Art. 15 SDÜ einem Drittausländer für einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien grundsätzlich nur gestattet werden kann bzw. ein Visum erteilt werden kann, wenn er nicht zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist.

Dagegen spricht jedoch erstens, dass die von der Klägerin befürchtete Einreiseverweigerung seitens der Schweiz nicht auf der Ausweisung aus dem Bundesgebiet beruht, sondern gegebenenfalls auf ihrem Eintrag in dem SIS, so dass etwaige rechtliche Schritte gegen diesen Eintrag zu unternehmen wären.

In dem Fall, dass der Familienangehörige des Drittausländers - anders als der Sohn der Klägerin - freizügigkeitsberechtigt im Sinne des Gemeinschaftsrechts ist, darf eine Ausschreibung des Drittausländers zur Einreiseverweigerung nur erfolgen, wenn diese gemeinschaftsrechtlich zulässig ist, weil der Drittausländer eine tatsächliche gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft darstellt (vgl. EuGH, Urteil vom 31. Januar 2006, Rs. C-503/03, Kommission/Spanien, Rn. 52 f.).

Der Sohn der Klägerin ist als - nicht über ein Daueraufenthaltsrecht verfügender - Drittstaatsangehöriger aber nicht freizügigkeitsberechtigt. Die Klägerin bzw. ihr Sohn haben auch keinen aus dem Unions-/Gemeinschaftsrecht folgenden Anspruch gegenüber der Schweiz auf Erlaubnis der Einreise der Klägerin als Mutter des dort aufenthaltsberechtigten Sohnes. Das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (vgl. ABlEG, L 114, S. 6, 30. April 2002) räumt Drittstaatsangehörigen nur als Familienangehörigen von Staatsangehörigen einer Vertragspartei Rechte ein, gewährt ihnen aber kein originäres, also von familiären Bindungen an einen Staatsangehörigen einer Vertragspartei unabhängiges (Aufenthalts-)Recht.

Zweitens hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung selbst erklärt, dass sie - ebenso wie ihr Sohn - gegenwärtig nicht über einen Pass verfüge, was einer Einreise in die Schweiz ebenso entgegenstehe. Daher wäre der Eintrag in das SIS nicht allein kausal für eine etwaige Einreiseverweigerung seitens der Schweizer Behörden.

Drittens muss zwar nach Art. 5 Abs. 2 SDÜ im Falle der Ausschreibung zur Einreiseverweigerung grundsätzlich die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien verweigert werden. Eine Vertragspartei kann es aber u.a. aus humanitären Gründen für erforderlich halten, von diesem Grundsatz abzuweichen, so dass die Zulassung des ausgeschriebenen Ausländers auf das Hoheitsgebiet dieser Vertragspartei beschränkt wird und diese die übrigen Vertragsparteien davon unterrichtet (vgl. EuGH, Urteil vom 31. Januar 2006, Rs. C-503/03, Kommission/Spanien, Rn. 9 und 49).

Daher können die Klägerin bzw. ihr minderjähriger Sohn gegenüber den Behörden der Schweiz, welche Vertragsstaat der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ist, ihr Recht auf Familienleben nach Art. 8 Abs. 1 EMRK geltend machen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2004 - 1 C 14.04 -, Rn. 16-19), welches durch die Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK begrenzt wird.