VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 02.07.2008 - 8 K 2972/07.A - asyl.net: M13680
https://www.asyl.net/rsdb/M13680
Leitsatz:

Äthiopische Staatsangehörige, die sich in Deutschland engagiert für die im äthiopischen Parlament vertretenen Oppositionsgruppen (hier: Coalition for Unity and Democracy - CUD) einsetzen, droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung.

 

Schlagwörter: Äthiopien, Oppositionelle, Mitglieder, Kinijit-Unterstützerkomitee NRW, CUDE, Coalition for Unity and Democracy, CUD, exilpolitische Betätigung, Überwachung im Aufnahmeland, Internet
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

Äthiopische Staatsangehörige, die sich in Deutschland engagiert für die im äthiopischen Parlament vertretenen Oppositionsgruppen (hier: Coalition for Unity and Democracy - CUD) einsetzen, droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass in Bezug auf ihn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen.

Das Gericht hat in Anwendung dieser Grundsätze die Überzeugung gewinnen können, dass dem Kläger wegen seiner Mitgliedschaft im Kinijit-Unterstützerkomitee NRW und seiner Aktivitäten für das Kinijit - Unterstützerkomitee NRW in der Bundesrepublik Deutschland bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche Verfolgungsmaßnahmen drohen.

Die CUDE (Coalition for Unity and Democracy), die auch unter dem Kürzel CUD oder ihrem amharischen Namen "Kinijit" bekannt ist, hat an den Parlamentswahlen vom Mai 2005 teilgenommen. Sie ist das stärksten Oppositionsbündnis und neben dem Regierungsbündnis EPRDF zweitstärkste politische Kraft (vgl. Gutachten des Instituts für Afrika-Kunde vom 29. Juni 2006).

Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes kommt es für die Beantwortung der Frage, ob wegen exilpolitischer Aktivitäten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche Verfolgungsmaßnahmen bei einer Rückkehr nach Äthiopien drohen, grundsätzlich darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen als terroristisch eingestuft wird (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien Stand September 2007).

Darüber hinaus richten sich nach Auffassung des erkennenden Gerichts die Verfolgungsmaßnahmen des äthiopischen Staates aber auch gegen die im Parlament vertretenen Oppositionsparteien und -bündnisse.

Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes (vgl. Auskunft an das VG Magdeburg vom 6. November 2006 zur CUD) werden die Parteien der Oppositionsbündnisse in ihrer Arbeit behindert, obwohl sie als legale Parteien im Parlament vertreten sind. Mitglieder, Anhänger und Kandidaten der Parteien werden durch Bedrohung, Verhaftungen und wirtschaftliche Benachteiligungen eingeschüchtert (vgl. Auskunft an das VG Magdeburg vom 6. November 2006 zur CUD).

Im Prozess gegen die prominentesten Führer der Oppositionspartei CUD wurden im Juli 2007 gegen 38 Angeklagte z.T. lebenslange Haftstrafen verhängt (vgl. FAZ vom 17. Juli 2007 ("Lebenslange Haft für Oppositionelle in Äthiopien")).

Kurz darauf verkündete die äthiopische Regierung - allerdings auf internationalen Druck - eine umfassende Begnadigung für alle Verurteilten, nachdem sie zuvor in einem Brief an den Staatspräsidenten ihre Mitverantwortung an den damaligen Ausschreitungen eingeräumt hatten (vgl. ai-Journal 08/2007; FAZ vom 20. Juli 2007 ("Oppositionelle in Äthiopien frei"); VG Wiesbaden, Beschluss vom 19. Februar 2008 - 5 L 168108.Wf.A(V) -, juris).

Nach Auskunft des Instituts für Afrikakunde (vgl. gutachterliche Stellungnahmen vom 29. Juni und, 1. Oktober 2006) sind seit dem für die Regierungskoalition ungünstigen Wahlausgang in Äthiopien hauptsächlich CUD-Mitglieder und Sympathisanten von den Verhaftungswellen betroffen, obwohl es sich bei der CUD um eine legale Partei handelt, die auch bei den Parlamentswahlen kandidiert hat. Betroffen sind nicht nur die prominente Führungsspitze, sondern auch einfache Mitglieder der Partei (vgl. Gutachten des Instituts für Afrika-Kunde vom 1. Oktober 2006).

Aus diesen Auskünften und Stellungnahmen lässt sich nach Überzeugung des Gerichts jedenfalls entnehmen, dass ein erhebliches Verfolgungsinteresse des äthiopischen Staates hinsichtlich solcher Personen besteht, die sich - wie der Kläger - in der Bundesrepublik Deutschland engagiert für die im Parlament vertretenen äthiopischen Oppositionsgruppen einsetzen (vgl. hinsichtlich der EPRP: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 25. Februar 2008 - 21 B 05.31082 -, juris; Gutachten des Instituts für Afrika-Kunde vom 1. Oktober 2006; hinsichtlich der CUD: VG Ansbach, Urteil vom 14. August 2007 - AN 18 K 07.30437 -, juris; VG Wiesbaden, Beschluss vom 19. Februar 2008 - 5 L 168108.WI.A(V) -, juris).

Es ist auch davon auszugehen, dass die Aktivitäten des Klägers den äthiopischen Behörden bekannt geworden sind. Die Beobachtung exilpolitischen Verhaltens äthiopischer Staatsangehöriger ist ein erklärtes Anliegen des äthiopischen Staates (vgl. die "Richtlinie zum Aufbau einer Wählerschaft" für das Haushaltsjahr 2005/2006, gerichtet an die Botschaften, Konsulate und ständigen Vertretungen der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien im Ausland; SZ vom 10. Oktober 2006 ("Nach Hause in die Ungewissheit")).

Nach der dem erkennenden Gericht in einer Übersetzung vorliegenden Direktiven der äthiopischen Regierung hat diese ihre Auslandsvertretungen angewiesen, Namenslisten der im Exil tätigen Oppositionsführer zu erstellen.

Nach einem Zusatzpapier vom 31. Juli 2006 sollen zudem Listen "extremistischer Elemente" erstellt werden, damit diese in der Heimat angeklagt werden können (vgl. gutachterliche Stellungnahme des Instituts für Afrika-Kunde vom 24. April 2008).

Ungeachtet der Frage, ob der Kläger von den äthiopischen Stellen als "extremistisches Element" angesehen wird, ist jedenfalls auch allgemein davon auszugehen, dass die äthiopischen Auslandsvertretungen die politischen Aktivitäten oppositioneller Vereinigungen und deren Mitglieder observieren (vgl. gutachterliche Stellungnahme des Instituts für Afrika-Kunde vom 24. April 2008).

Nach Angaben des Instituts für Afrikakunde ist anzunehmen, dass die äthiopische Regierung bemüht ist, die Aktivitäten der legalen und illegalen Opposition im Ausland zu erfassen und aktive Mitglieder zu überwachen. Da die äthiopische Exilgemeinde in Deutschland relativ überschaubar sei, sei wahrscheinlich, dass auch weniger exponierte Tätigkeiten den äthiopischen Behörden bekannt würden, da diese bemüht seien, exilpolitische Veranstaltungen durch informelle Geheimdienstmitarbeiter zu überwachen (vgl. gutachterliche Stellungnahme des Instituts für Afrika-Kunde vom 24. April 2008).

Vor dem beschriebenen Hintergrund geben die in der Öffentlichkeit wahrnehmbaren und engagierten Aktivitäten des Klägers hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass er von der äthiopischen Regierung als Oppositionsangehöriger individualisiert und registriert worden ist.

Der Kläger hat nachgewiesen, sich in der Bundesrepublik Deutschland als (Gründungs-)mitglied des Kinijit-Unterstützerkomitees NRW und Koordinator der Gruppe NRW zu betätigen und an zahlreichen Veranstaltungen der äthiopischen Exilopposition teilgenommen zu haben. Ferner sind im Internet Bilder des Klägers veröffentlicht, die ihn bei Veranstaltungen zeigen, bei denen er regierungskritische Transparente in Händen hält.