VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 26.06.2008 - 11 K 4931/07.A - asyl.net: M13674
https://www.asyl.net/rsdb/M13674
Leitsatz:

Ist ein Ausländer aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage, sein Schicksal detailliert und nachvollziehbar zu schildern, stehen Zweifel an der Glaubhaftigkeit seiner Angaben der Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht entgegen.

 

Schlagwörter: Ägypten, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, psychische Erkrankung, posttraumatische Belastungsstörung, fachärztliche Stellungnahme, Glaubwürdigkeit, Retraumatisierung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Ist ein Ausländer aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage, sein Schicksal detailliert und nachvollziehbar zu schildern, stehen Zweifel an der Glaubhaftigkeit seiner Angaben der Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht entgegen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die zulässige Klage ist begründet.

Nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) droht dem Kläger bei Rückkehr nach Ägypten mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit eine konkrete erhebliche Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Der Kläger wurde ausweislich der vorliegende fachärztlichen Stellungnahmen der Rheinischen Kliniken ..., Allgemeine Psychiatrie 1, dort wegen einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome, Suizidversuch und einer diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung in der Zeit vom 19. Juli 2006 bis 29. Mai 2007 sowie vom 25. Oktober 2007 bis 12. Juni 2008 stationär behandelt. Aus dem Entlassungsbericht der Klinik vom 11. Juni 2008 wird deutlich, dass die Erkrankung des Klägers nicht behoben ist.

Das Gericht hegt keine Bedenken, dass der Kläger tatsächlich an einer schweren und behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung leidet. Das ergibt sich aus den vorliegenden fünf fachärztlichen Bescheinigungen und Gutachten der Rheinischen Kliniken die zu den Verwaltungsvorgängen bzw. der Gerichtsakte gelangt sind. Der Kläger wurde in der Klinik gleich von mehreren Fachärzten für Psychiatrie untersucht und behandelt und übereinstimmend wurde von allen Ärzten u.a. eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Zu dem gleichen Ergebnis kamen die Ärzte für Psychiatrie Dr. ... und Dr. ... in ihren Berichten, jeweils auf der Grundlage eigener Untersuchungen.

Angesichts der Dauer des Aufenthaltes des Klägers in einer geschlossenen Abteilung der Rheinischen Kliniken, wo er durchgehend fachärztlich beobachtet, untersucht und behandelt wurde, hegt das Gericht keine Bedenken, dass die Atteste und Gutachten auf einer ausreichenden Grundlage erstellt worden sind. Zwar hat sich der Kläger ausweislich der ärztlichen Stellungnahmen trotz wiederholter Ansprache nur bruchstückhaft zu seinem Lebensschicksal und seinen Beschwerden geäußert. Gleichwohl sahen sich die Ärzte schon aufgrund der Befunde in der Lage, eine eindeutige Diagnose zu stellen. In ihrer fachärztlichen Stellungnahme vom 21. Februar 2007 attestieren die drei unterschreibenden Ärzte der Rheinischen Kliniken dass sich trotz der nahezu nicht beeinflussbaren Unfähigkeit des Klägers, sich bezüglich der vorangegangenen Ereignisse verbal zu äußern, Hinweise für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung finden lassen.

Deuten diese Befunde trotz nur knapper verbaler Äußerungen des Klägers nach Auffassung der Fachmediziner mit hinreichender Sicherheit auf eine schwere psychische Erkrankung und u.a. auf eine posttraumatische Belastungsstörung des Klägers, und spricht nach Auffassung der behandelnden Ärzte alles dafür, dass die Erkrankung ihre Ursache in Erlebnissen des Klägers in der Heimat hat - andere Gründe sind nicht ersichtlich -, so sieht das Gericht keine Veranlassung, diese ärztliche Einschätzung in Frage zu stellen. Vor diesem Hintergrund kommen den vorn Verwaltungsgericht Aachen in seinem Urteil vom 16. Mai 2006 dargestellten Darlegungsmängeln keine entscheidende Bedeutung mehr zu. Nach Einschätzung der Ärzte ist der Kläger nicht in der Lage, sein Schicksal detailliert und nachvollziehbar zu schildern. Der detailarme Vortrag im Verlauf des ersten Asylverfahrens ist deshalb nicht zu Lasten des Klägers zu werten, sondern als Ausdruck seiner im Erstverfahren noch nicht deutlich gewordenen Erkrankung.

Die Schwere der Erkrankung erfordert nach Feststellung der Ärzte eine medikamentöse und therapeutische Behandlung des Klägers, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Nach der ärztlichen Bescheinigung des Dr. ... vom 11. Oktober 2007 würde eine Abschiebung des Klägers nach Ägypten aus ärztlich-psychiatrischer Sicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seine Retraumatisierung nach sich ziehen. Damit stellt sich nicht die Frage, ob und inwieweit Erkrankungen der Art, wie sie im Falle des Klägers vorliegen, in Ägypten behandelt werden können. Nach den vorliegenden Erkenntnissen würde allein der Umstand der Rückkehr in das Land, in dem der Kläger die traumatisierenden Ereignisse erlitten hat, zu einer konkreten und erheblichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes führen. Diese Feststellung betrifft nicht allein - inlandsbezogen - Fragen der Abschiebung, die von der Ausländerbehörde zu prüfen sind, sondern sie begründet zielstaatsbezogene Probleme, die vom Bundesamt bei der Frage, ob Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, unzureichend gewürdigt worden sind.