VG Darmstadt

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Zitieren als:
VG Darmstadt, Urteil vom 24.04.2008 - 5 E 260/07 A (3) - asyl.net: M13634
https://www.asyl.net/rsdb/M13634
Leitsatz:
Schlagwörter: Iran, Folgeantrag, Änderung der Rechtslage, Anerkennungsrichtlinie, Religion, religiös motivierte Verfolgung, religiöses Existenzminimum, Konversion, Apostasie, Glaubwürdigkeit, Christen
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 2; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b
Auszüge:

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet, denn der angefochtene Bescheid ist zwar rechtswidrig, er verletzt die Klägerin jedoch nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Klägerin steht der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Feststellung des Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG und auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht zu.

Ein weiteres Asylverfahren hatte nicht durchgeführt werden dürfen, denn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür liegen nicht vor.

Der Begründung des Bundesamtes, ein neues Asylverfahren durchzuführen, weil die Qualifikationsrichtlinie unmittelbare Geltung erlangt habe und sich die Rechtslage dahingehend geändert habe, dass eine Anerkennung wegen dieser Rechtsvorschrift nunmehr möglich erscheine, vermag das erkennende Gericht nur dann zu folgen, wenn die Qualifikationsrichtlinie dem Asylbewerber Ansprüche gewährt, die ihm nach nationalem Recht bisher nicht zustanden und wenn das Vorbringen einen Zusammenhang zwischen geänderter Rechtslage und individuellem Schicksal erkennen lässt. Wie sich nämlich aus § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ergibt, genügt nicht irgendeine Änderung einer Rechtsvorschrift. Es muss vielmehr eine solche sein, die die frühere Entscheidung in ihrer sachlichen Richtigkeit in Frage stellt und erwarten lässt, dass unter Berücksichtigung der neuen Rechtslage eine dem Betroffenen günstigere Regelung möglich erscheint (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 51 Rdnr. 25).

Eine neue Rechtslage im vorbeschriebenen Sinne liegt für die Klägerin jedoch nicht vor. Denn das Vorbringen, wegen ihres Glaubensübertritts in den Iran nicht zurückkehren zu können, wurde bereits in das Erstverfahren in der gerichtlichen Phase eingebracht und als nicht verfolgungsrelevant bewertet. Das Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie hat an der mangelnden Relevanz des Vorbringens nichts geändert. Es hätte nur dann Relevanz haben können, wenn der Glaubensübertritt glaubhaft geschildert worden wäre und die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus oder von Abschiebungsschutz allein daran gescheitert ist, dass die Klägerin auf die Glaubensbetätigung im sog. Forum internum hätte verwiesen werden können, obwohl sie im Verfahren glaubhaft machen konnte, ihren Glauben auch in der Öffentlichkeit praktizieren zu wollen ("Forum externum"). Denn nur in Bezug auf diesen Sachverhalt hat die Qualifkationsrichtlinie in ihrem Art 10 Abs. 1 b) zu einer echten Erweiterung der Rechtsposition von Glaubensflüchtlingen und damit zu einer neuen Rechtslage geführt, die eine Neubewertung des Asylbegehrens hätte erforderlich lassen werden können.

Eine Verfolgungsgefahr nach Glaubensübertritt ist nur dann in Erwägung zu ziehen, wenn plausibel dargetan werden würde, dass hinter dem Glaubensübertritt seriöse Motive stehen und der Glaubenswechsel auf einer ernsthaften aufrichtigen inneren Überzeugung beruht und deshalb auch bei einer Rückkehr in den Iran eine Beibehaltung des neu gefundenen Glaubens zu erwarten ist (st. Rechtsprechung des erkennenden Gerichts, vgl. z. B. Urt. v. 16.02.2004 - 5 E 30444/98.A [3] - NVwZ-RR 2004, 615 [617], ähnlich Hess VGH, Beschl. v 26.06 2007 - 8 UZ 1463/06.A -; Urt v. 03.12.2002 - 11 UE 3178/99.A) Hierzu kann von einem Muslim der plausible Vortrag erwartet werden, welches konkrete Schlüsselerlebnis ihn veranlasst hat, nicht mehr im Islam, sondern nunmehr im Christentum seinen Glauben zu finden.

Einen solchen Vortrag vermochte die Klägerin schon im ersten Asylfolgeverfahren nicht zu leisten.

Die Ausführungen der Klägerin sind floskelhaft, wirken konstruiert und auf den Zuhörer daher sehr unglaubhaft. Sie waren am 08.09.2006 Anlass, der Klägerin die Klagerücknahme nahe zu legen.

Aus diesem Grunde ist es im Falle der Klägerin nicht entscheidungserheblich, ob die Qualifikationsrichtlinie gläubigen Menschen einen größeren Betätigungsraum zugesteht, als dies nach dem bisher geltenden nationalen Recht der Fall war. Denn die Klägerin fallt nicht in den Schutzbereich der Norm, da davon ausgegangen werden darf, dass sie ihren neu gefundenen Glauben bei einer Rückkehr in den Iran nicht praktizieren wird - und zwar weder im Bereich des Forum internum noch im Bereich des Forum externum.

Nichts anderes folgt aus der umfangreichen Befragung der Klägerin durch das Bundesamt zu christlichen Glaubensinhalten. Solche Befragungen haben nur dann einen Erkenntniswert, wenn der Befragte überhaupt keine Antworten geben kann. Dann ist nämlich die Annahme gerechtfertigt, er habe sich mit dem angeblich neu gefundenen Glauben überhaupt nicht befasst. Umgekehrt ist das Beantworten können von Fragen zur christlichen Glaubenslehre erkenntnisneutral. Denn Wissen allein ist kein Beleg für innere Überzeugung. Jedermann, auch ein Muslim, ein Buddhist oder ein Atheist, ist in der Lage, sich den Inhalt des christlichen Glaubensbekenntnisses anzueignen und auf zielgerichtete Fragen zutreffende Antworten zu geben. In Zeiten des Internets kann mit wenig Aufwand (vgl z.B. über www.wikipaedia.de) nachgelesen werden, welchen biblischen Hintergrund das Oster- oder das Pfingstfest haben und weshalb Christi Himmelfahrt mit einem besonderen Feiertag gedacht wird.