OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.05.2008 - 8 A 1101/08.A - asyl.net: M13627
https://www.asyl.net/rsdb/M13627
Leitsatz:

Mit der Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit verliert ein anerkannter Asylberechtigter seinen asylrechtlichen Status.

Nach Einbürgerung des Stammberechtigten kommt die Gewährung von Familienasyl gemäß § 26 AsylVfG nicht mehr in Betracht.

 

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Familienasyl, Widerruf, Einbürgerung, Stammberechtigter, Erlöschen
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 2b; AufenthG § 60 Abs. 1; AsylVfG § 26 Abs. 2; AsylVfG § 72 Abs. 1 Nr. 3
Auszüge:

Mit der Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit verliert ein anerkannter Asylberechtigter seinen asylrechtlichen Status.

Nach Einbürgerung des Stammberechtigten kommt die Gewährung von Familienasyl gemäß § 26 AsylVfG nicht mehr in Betracht.

(Amtlicher Leitsatz)

 

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG wegen der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Es ergibt sich ohne weiteres aus dem Gesetzeswortlaut und wird im Schrifttum sowie in der zu § 26 Abs. 2 AsylVfG ergangenen Rechtsprechung nicht bezweifelt, dass ein Anspruch auf Gewährung von Familienasyl nicht - mehr - besteht, wenn der Familienangehörige, von dem die Berechtigung abgeleitet werden soll, zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 2 AsylVfG) deutscher Staatsangehöriger ist. Dafür kommt es - entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts und der Beklagten - nicht darauf an, ob der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit einen Erlöschensgrund nach § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG darstellt. Auch die Vertreter der Auffassung, dass die deutsche Staatsangehörigkeit keine "neue Staatsangehörigkeit" i.S.d. § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG sei, gehen nicht von einem Fortbestand der Asylberechtigung aus, sondern davon, dass sich die Asylberechtigung "eo ipso" bzw. i.S.d. § 43 Abs. 2 VwVfG "in anderer Weise erledigt" (zum Meinungsstand vgl. Schäfer, in: GK-AsylVfG, § 72 Rn. 30, m.w.N.).

Nach beiden Auffassungen verliert der Asylberechtigte mit der Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit seinen asylrechtlichen Status (vgl. VG München, Urteil vom 15. Juni 2007 - M 4 K 06.51044 -, juris, Rn. 50).

Ein deutscher Staatsangehöriger kann jedenfalls nicht zugleich Asylberechtigter i.S.d. § 26 Abs. 2 AsylVfG sein.

Der personale Schutzbereich des Art. 16 a GG erfasst nur Ausländer (vgl. Lübbe-Wolff, in: Dreier, GG, Bd. I, 1996, Art. 16 a Rn. 46; Schnapp, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 5. Aufl., 2000, Art. 16 a Rn. 7; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 10. Aufl., 2004, Art. 16 a Rn. 18).

Auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck, Regelungszusammenhang sowie Entstehungsgeschichte des § 26 Abs. 2 AsylVfG ist kein Grund ersichtlich, der es gebieten könnte, die Angehörigen von eingebürgerten Deutschen, die zuvor Asylberechtigte waren, über den Wortlaut der Vorschrift hinaus den Angehörigen von Asylberechtigten gleichzustellen.

Die im Jahr 1990 eingeführte Regelung über das Familienasyl (§ 7 a Abs. 3 AsylVfG in der Fassung des Gesetzes vom 9. Juli 1990, BGBl. I S. 1354) normiert einen lediglich einfachgesetzlichen Anspruch der Angehörigen von Asylberechtigten auf Statusangleichung, dessen Bestand aber mit dem Status des Stammberechtigten streng verknüpft ist (zur Akzessorietät des Familienasyls vgl. OVG Schl.-H., Urteil vom 28. Juni 2007 - 1 LB 4/07 -, S. 6 des Urteilsabdrucks).

Ein von eigenen Verfolgungsgründen unabhängiges Asylrecht von Familienangehörigen politisch Verfolgter wird weder von Art. 16 a GG noch von Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1991 - 2 BvR 720/91 -, NVwZ 1991, 978).

Allerdings besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere wenn Angehörige der Kernfamilie eines politisch Verfolgten in dem betreffenden Verfolgerstaat in vergleichbaren Fällen asylrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren, eine im Einzelfall widerlegliche Vermutung dafür, dass dem Ehepartner und den minderjährigen Kindern eines politisch Verfolgten auch selbst politische Verfolgung droht (vgl. BVerwG, Urteile vom 2. Juli 1985 - 9 C 35.84 -, NVwZ 1986, 487, vom 13. Januar 1987 - 9 C 53.86 -, BVerwGE 75, 304, und vom 26. April 1988 - 9 C 28.86 -, BVerwGE 79, 244).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung dient die einfachgesetzliche Regelung des Familienasyls in erster Linie der Entlastung des Bundesamtes und der Verwaltungsgerichtsbarkeit, da sie die Möglichkeit eröffnet, von einer unter Umständen schwierigen Prüfung eigener Verfolgungsgründe der Familienangehörigen eines Asylberechtigten abzusehen. Darüber hinaus wurde die Neuregelung als sozial gerechtfertigt angesehen, weil sie die Integration der nahen Familienangehörigen der in der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigte aufgenommenen politisch Verfolgten fördere (Vgl. BT-Drucks. 11/6960).

Die Vorschrift vermittelt den Familienangehörigen einen einheitlichen asylrechtlichen Status sogar dann, wenn objektiv feststeht, dass Familienangehörige des Asylberechtigten nicht von politischer Verfolgung bedroht sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1992 - 9 C 66.91 -, BVerwGE 89, 315).

Dies zugrunde gelegt ist kein Grund ersichtlich, der es gebieten könnte, die Angehörigen von eingebürgerten Deutschen, denen zuvor Asyl gewährt wurde, den Angehörigen von Asylberechtigten im Wege einer erweiternden Auslegung gleichzustellen.

Wenn dem nachziehenden Familienangehörigen selbst politische Verfolgung widerfahren ist oder droht, erhält er Schutz aus individuellen, vom Status des Stammberechtigten unabhängigen Gründen. Hinsichtlich des mit dem Familienasyl verfolgten Integrationsziels sind die Angehörigen von eingebürgerten Deutschen auf die aufenthaltsrechtlichen Regelungen über den Familiennachzug zu verweisen. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass nur das hier zugrunde gelegte Normverständnis unzuträgliche Ergebnisse vermeidet, die anderenfalls einträten, weil der Fortbestand der Verfolgungsgründe des Stammberechtigten nach dessen Einbürgerung nicht mehr geprüft werden kann. Eine kraft Gesetzes erloschene oder in sonstiger Weise erledigte Asylanerkennung kann nicht mehr in einem Verfahren nach § 73 AsylVfG aufgehoben werden. Die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung hätte deshalb zur Folge, dass der - wie hier nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts der Fall - selbst nicht politisch verfolgte Familienangehörige eines ehemaligen, zwischenzeitlich eingebürgerten Asylberechtigten einen auch bei Wegfall der Verfolgungsgründe des Stammberechtigten nicht zu widerrufenden asylrechtlichen Status und damit eine stärkere Rechtsposition erlangen würde als derjenige, der selbst Verfolgung erlitten hat und im Falle einer Verbesserung der Sicherheitslage in seinem Heimatland mit einem Widerruf rechnen muss. Das entspräche ersichtlich nicht dem Sinn des § 26 AsylVfG.

Ergänzend ist anzumerken, dass ein grundsätzlicher Klärungsbedarf auch nicht in Bezug auf den für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt ersichtlich ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 26 Abs. 2 AsylVfG kommt es nur in Bezug auf die Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Antragstellung und im Übrigen - also auch hinsichtlich der fortbestehenden Asylberechtigung des Elternteils - gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an.