VG Oldenburg

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Zitieren als:
VG Oldenburg, Urteil vom 16.04.2008 - 11 A 5223/06 - asyl.net: M13590
https://www.asyl.net/rsdb/M13590
Leitsatz:

Wird das bundeseinheitliche Formular für Verpflichtungserklärungen durch eine Befristung ergänzt, ist die Haftung auf diesen Zeitraum beschränkt, auch wenn sich dadurch Widersprüche zu den Formulierungen im Formular entstehen; die Heranziehung zum Ersatz der Ausreisekosten setzt eine Ermessensausübung voraus, auch wenn die Leistungsfähigkeit bereits vor Abgabe der Verpflichtungserklärung geprüft worden ist; es ist nicht zumutbar, sich für die Zahlung von Ausreisekosten aufgrund einer Verpflichtungserklärung zu verschulden oder jahrelang den pfändbaren Teil des Einkommens aufzuwenden.

 

Schlagwörter: D (A), Verpflichtungserklärung, Abschiebungskosten, Auslegung, Beweislast, Befristung, Formulare, Ermessen, Darlehen, Ratenzahlung, Zumutbarkeit
Normen: AufenthG § 66 Abs. 2; AufenthG § 66 Abs. 1; BGB § 133; BGB § 157
Auszüge:

Wird das bundeseinheitliche Formular für Verpflichtungserklärungen durch eine Befristung ergänzt, ist die Haftung auf diesen Zeitraum beschränkt, auch wenn sich dadurch Widersprüche zu den Formulierungen im Formular entstehen; die Heranziehung zum Ersatz der Ausreisekosten setzt eine Ermessensausübung voraus, auch wenn die Leistungsfähigkeit bereits vor Abgabe der Verpflichtungserklärung geprüft worden ist; es ist nicht zumutbar, sich für die Zahlung von Ausreisekosten aufgrund einer Verpflichtungserklärung zu verschulden oder jahrelang den pfändbaren Teil des Einkommens aufzuwenden.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 27. November 2006 und 8. April 2008 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Kläger haftet nicht für die Kosten, die im Rahmen der Ausreise der Frau M. entstanden sind. Nach § 66 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 AufenthG haftet für Kosten, die durch die Abschiebung eines Ausländers entstehen, neben dem Ausländer auch derjenige, der sich gegenüber der Ausländerbehörde verpflichtet hat, für die Ausreisekosten des Ausländers aufzukommen. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, da der Kläger sich nicht wirksam verpflichtet hat, für die Ausreisekosten aufzukommen.

An eine die Haftung aus § 66 Abs. 2 AufenthG begründende Verpflichtungserklärung sind angesichts der erheblichen wirtschaftlichen Risiken, die der Verpflichtungsgeber eingeht, erhöhte formelle und inhaltliche Anforderungen zu stellen. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 5. Juni 2007 (11 LC 88/06 – juris) hierzu wie folgt ausgeführt:

"Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 24. November 1998 – 1 C 33.97 –, BVerwGE 108, 1 = InfAuslR 1999, 182 = DVBl. 1999, 537) stellt eine Verpflichtungserklärung eine einseitige und empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche (einem Schuldversprechen im Sinne von § 780 BGB vergleichbare) Willenserklärung zugunsten eines Dritten dar. Inhalt und Umfang (auch in zeitlicher Hinsicht) der jeweiligen konkreten Verpflichtungserklärung sind nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze der §§ 133 und 157 BGB anhand aller erkennbaren Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Es ist allgemein anerkannt, dass die Verpflichtungserklärung aus rechtsstaatlichen Gründen wie jede rechtsgeschäftliche Willenserklärung hinreichend bestimmt sein muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 1998 aaO; Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage: 2005, § 68 AufenthG, Rn. 5). Denn mit der Abgabe von Verpflichtungserklärungen der vorliegenden Art sind typischerweise erhebliche und oftmals nicht ohne weiteres abschätzbare wirtschaftliche Risiken für den Verpflichtungsgeber verbunden. Diesem muss vor Abgabe einer derartigen Erklärung unmissverständlich vor Augen geführt werden, worauf er sich einlässt. Zwar ist bei der Auslegung einer Willenserklärung grundsätzlich auf den Empfängerhorizont abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 1996 – 2 C 39.95 –, BVerwGE 102, 81), doch kann es sich anders verhalten, wenn eine Erklärung in einem Formular des Erklärungsempfängers abgegeben wird (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 27. Februar 2006, aaO). In einem solchen Fall kommt es jedenfalls auch darauf an, wie der Erklärende die Eintragungen in dem Formular verstanden hat, wobei Zweifel zu Lasten des Formularverwenders gehen (vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 27. Februar 2006, aaO, mwN)."

Gemessen an diesen Anforderungen hat sich der Kläger durch die Abgabe der Verpflichtungserklärung am 31. August 2005 nicht zur Übernahme der Abschiebungskosten verpflichtet.

Diese Verpflichtungserklärung erfolgte auf dem bundeseinheitlichen Formular der Bundesdruckerei (Artikel-Nr. 10150), welches dem Kläger von der Ausländerbehörde des Kreis D. zur Verfügung gestellt wurde. Es kam hinsichtlich der Auslegung des Erklärungsinhaltes folglich maßgeblich darauf an, wie der Kläger die Eintragungen in dem Formular verstanden hat, wobei etwaige Zweifel zu Lasten des Verpflichtungsempfängers gehen. Die Beklagte muss sich insoweit die Formularverwendung und -entgegennahme durch den Kreis D. zurechnen lassen (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 27. Februar 2006, – 11 S 1857/05, mwN, – juris).

Hiervon ausgehend war es für den Kläger im Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung nicht hinreichend klar, dass er auch für die Kosten einer zwangsweisen Beendigung des Aufenthalts von Frau M. nach Ablauf des in der Verpflichtungserklärung aufgeführten Zeitraums von drei Monaten ab Einreise von Frau M. aufkommen sollte.

In der Verpflichtungserklärung heißt es:

"Ich, der Unterzeichnende B. (...), verpflichte mich gegenüber der Ausländerbehörde/Auslandsvertretung für M. (...) ab Einreise drei Monate nach § 68 des Aufenthaltsgesetzes die Kosten für den Lebensunterhalt und nach §§ 68 und 67 des Aufenthaltsgesetzes die Kosten für die Ausreise o. g. Ausländers/in zu tragen."

Bei der gewählten Gestaltung des Formulars und dem aufzählenden verbindenden Charakter des Wortes "und" wird für den Erklärenden nicht ausreichend deutlich, dass die gewählte zeitliche Beschränkung sich allein auf die Kosten für den Lebensunterhalt nach § 68 AufenthG beziehen soll. Auch an anderer Stelle des Formulars ist nicht unmissverständlich dargestellt, dass die zeitliche Beschränkung auf drei Monate nicht für die Haftung für die Ausreise- oder Abschiebungskosten gilt (so auch OVG Lüneburg, aaO).

Das bundeseinheitliche Verpflichtungserklärungsformular (Artikel-Nr. 10150) wurde im Vergleich mit dem der o.g. Entscheidung des OVG Lüneburg zugrunde liegenden Formular zwar dahingehend geändert, dass es in dem betreffenden Vordruck bei der Dauer der Verpflichtung nicht mehr heißt: "von ... an bis zum ...", sondern nunmehr vielmehr folgender Text aufgeführt ist: "vom Beginn der voraussichtlichen Visumgültigkeit am ... bis zur Beendigung des Aufenthaltes o. g. Ausländers/in".

Aus dieser neuen Formulierung lässt sich grundsätzlich schließen, dass die Verpflichtung bis zur tatsächlichen Ausreise der eingeladenen Person fortdauert (zur grds. Möglichkeit zeitlich unbeschränkter Haftung: BVerwG, Urteil vom 24. November 1998 – 1 C 33.97 – <InfAuslR 1999,182,183>). Allerdings fügt sich der vom Kreis D. vorgenommene Eintrag zur Verpflichtungsdauer nicht in die vom Formularersteller vorgegebene Formulierung ein. Anstatt – wie im Vordruck vorgesehen – lediglich den Beginn der voraussichtlichen Visumsgültigkeit und damit auch nur den Beginn des Verpflichtungszeitraumes festzulegen, hat der Kreis D. als Dauer der Verpflichtung "ab Einreise 3 Monate" eingetragen.

Bei der Auslegung der Verpflichtungserklärung kommt es – wie ausgeführt – maßgeblich darauf an, wie der Erklärende die Eintragungen in dem Formular verstanden hat, wobei Zweifel zu Lasten des Formularverwenders gehen. Wenn die Ausländerbehörde als Formularverwender als Verpflichtungsdauer "3 Monate ab Einreise" einträgt, geht ein rechtsunkundiger Bürger im Zweifel davon aus, dass die gesamte Verpflichtung, die er mit der Erklärung eingeht, auf diesen von der Behörde explizit bestimmten Zeitraum beschränkt ist. Dass diese Eintragung nicht zu den in dem Formular vorgegeben Formulierungen passt, ändert hieran nichts, da ein Bürger in der Regel davon ausgehen kann, dass die einzelfallbezogene gesonderte Eintragung der Behörde vorrangig ist. Soweit die Beklagte vorträgt, dass eine Haftung für Ausreisekosten denklogisch nur für Zeiten nach Ablauf des Visums gelten könne, geht dieser Widerspruch zu ihren Lasten. Die Beklagte muss sich insoweit die Formularverwendung und -entgegennahme durch den Kreis D. zurechnen lassen (VGH Mannheim, Urteil vom 27. Februar 2006, aaO, mwN).

Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht die Tatsache, dass der Kläger durch Unterschrift unter das ihm vorgelegte Formular bekundet hat, er sei über "den Umfang und die Dauer der Haftung" aufgeklärt worden. Die Verpflichtungserklärung ist keine Urkunde im Sinne der §§ 415 Abs. 1 und 418 Abs. 1 ZPO und vermag deshalb nicht den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen zu begründen (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 27. Februar 2006, aaO).

Die Bescheide der Beklagten sind auch noch aus einem anderen Grund rechtswidrig. Die Entscheidung der Beklagten, den Kläger zum vollständigen Ersatz der Ausreisekosten in Höhe von über 32.000,– Euro heranzuziehen, war ermessensfehlerhaft.

Die Heranziehung zum Kostenersatz setzt nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 24. November 1998, aaO, S. 188) eine Ermessensbetätigung der zuständigen Behörde dahin gehend voraus, ob und in welchem Umfang eine Heranziehung erfolgen soll. Zwar ist eine Geltendmachung von Geldleistungsansprüchen durch die öffentliche Hand in der Regel wegen des in der Verwaltung geltenden Gebotes der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit geboten, die Rechtsordnung sieht jedoch vor, dass bei Vorliegen atypischer Gegebenheiten von dieser Regel auch abgewichen werden darf, um bei fehlender oder eingeschränkter Leistungsfähigkeit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Billigkeit im Einzelfall angemessen Rechnung tragen zu können. Dabei sind in diesen Fällen solche Gesichtspunkte vorrangig bereits im Stadium der Geltendmachung der Forderung selbst und nicht erst im Rahmen der vollstreckungsrechtlichen Instrumentarien der Stundung, Niederschlagung oder des Erlasses zu berücksichtigen (Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Band 1, Stand: Februar 2008, – GK-AufenthG –, Rn. 33 zu § 68). Ob ein Ausnahmefall vorliegt, unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung (GKAufenthG, aaO, Rn. 35).

Ein Regelfall ist gegeben, wenn die Voraussetzungen des Aufenthaltstitels, wozu auch die Erteilung eines Visums gehört, einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren voll und individuell geprüft worden sind und nichts dafür spricht, dass die Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung des Verpflichteten führen könnte (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Februar 2000, – 4 L 3101/99 –; BayVGH, Urteil vom 15. Dezember 2003, – 24 B 0.31049 –, <InfAuslR 2004, 252>). Dagegen kann für einen Ausnahmefall sprechen, dass die zuständigen Behörden im Grunde eine Risikoentscheidung getroffen und damit eine Mitverantwortung übernommen haben, indem sie keine eingehende und sorgfältige, sondern nur eine überschlägige Bonitätsprüfung des Erklärenden vorgenommen haben bzw. auch gar nicht durchführen wollten (OVG Lüneburg, Beschluss vom 5. Juni 2007, aaO).

Zwar wurden die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers im Rahmen der Abgabe der Verpflichtungserklärung von der Ausländerbehörde des Kreis D. geprüft. Allerdings war zum Zeitpunkt der Abgabe der Verpflichtungserklärung die Höhe der später entstehenden Kosten der Abschiebung nicht absehbar, so dass naturgemäß zu diesem Zeitpunkt eine abschließende Prüfung, ob der Kläger die Abschiebungskosten wird tragen können, nicht erfolgen konnte. Aus diesem Grund schließt allein der Umstand, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Abgabe der Verpflichtungserklärung geprüft wurden, die Annahme eines Ausnahmefalles nicht aus.

Das Vorliegen eines Ausnahmefalles folgt hier daraus, dass der Kläger wegen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse und der Höhe der Forderung lediglich eingeschränkt leistungsfähig ist, so dass die Heranziehung zu den vollständigen Ausreisekosten für den Kläger zu einer unzumutbaren Belastung führen würde. Ausweislich der im Rahmen der Abgabe der Verpflichtungserklärungen vorgelegten Lohn- und Gehaltsabrechnungen verfügt der Kläger über ein monatliches Nettoeinkommen von etwa 2.300,– Euro. Von diesem Einkommen bestreitet er den Lebensunterhalt für seine Ehefrau, seine zwei Kinder und sich selbst. Mit ihren Bescheiden vom 27. November 2006 und 8. April 2008 fordert die Beklagte die Zahlung eines Betrages in Höhe von mehr als 32.000,– Euro binnen eines Monats. Es liegt nach Auffassung der Kammer auf der Hand, dass der Kläger bei seinen Einkommensverhältnissen einen solchen Betrag nicht "auf einen Schlag" zahlen könnte. Dies hätte sich auch der Beklagten aufdrängen müssen. Gleichwohl finden sich in ihren Bescheiden keinerlei Ausführungen zu der Frage, ob angesichts der Höhe der Forderung einerseits und der Einkommensverhältnisse des Klägers andererseits ein Härtefall vorliegt.

Dass die Kosten in vergleichbaren Fällen (Flugabschiebungen nach Kenia) regelmäßig in ähnlicher Höhe angefallen, schließt die Annahme eines Ausnahmefalles nicht aus. Die Annahme eines Ausnahmefalles folgt im vorliegenden Fall nicht allein aus der absoluten Höhe der Kostenersatzforderung, sondern vor allem aus der vergleichsweisen Betrachtung der Kostenforderung und der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers und damit aus der relativen Höhe der Forderung für den Kläger.

Der Kläger muss sich auch nicht darauf verweisen lassen, dass er ein Darlehen aufnehmen könnte. Die Möglichkeit, sich zu verschulden, erhöht nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Die Tatsache, dass er ein Darlehen aufnehmen müsste, um die Verpflichtungen zu begleichen, belegt vielmehr seine mangelnde Leistungsfähigkeit.

Auch eine ratenweise Begleichung der gesamten Abschiebungskosten mit dem pfändungsfreien Anteil seines Einkommens ist dem Kläger nicht zumutbar. Bei seinem Einkommen und seinen familiären Verhältnissen müsste der Kläger, um die Forderung der Beklagten vollständig zu begleichen, über mehrere Jahre hinweg den pfändbaren Betrag seines Arbeitseinkommens zahlen. Zudem sehen die angefochtenen Bescheide der Beklagten eine ratenweise Begleichung der Forderung gar nicht vor, sondern der Kläger wird aufgefordert, den Betrag vollständig mit einer Zahlung zu leisten.