VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 21.05.2008 - 19 C 07.3398 - asyl.net: M13538
https://www.asyl.net/rsdb/M13538
Leitsatz:

Es ist stillenden Müttern unzumutbar, für die Teilnahme an einem Integrationskurs die Betreuung ihres Säuglings einem Dritten zu überlassen.

 

Schlagwörter: D (A), Integrationskurs, Kinderbetreuung, Stillzeit, Zumutbarkeit, vorübergehende Freistellung
Normen: AufenthG § 44a Abs. 1; IntV § 4 Abs. 2; IntV § 7 Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 2; IntV § 13 S. 2 Nr. 2 a.F.; IntV § 13 Abs. 1 S. 2 Nr. 2
Auszüge:

Es ist stillenden Müttern unzumutbar, für die Teilnahme an einem Integrationskurs die Betreuung ihres Säuglings einem Dritten zu überlassen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die statthafte, fristgerecht eingelegte Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht ist zulässig (§§ 146 Abs. 1, 147 Abs. 1 VwGO). Sie erweist sich auch als begründet, denn in dem für die Entscheidung über den Prozesskostenantrag maßgeblichen Zeitpunkt hatte die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO.

Eine grundsätzliche Teilnahmeverpflichtung gemäß § 44 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 b AufenthG i. V. m. § 4 Abs. 2 IntV wird von der Klägerin nicht in Frage gestellt und sie macht auch keinen Anspruch auf Befreiung von der Teilnahmepflicht gemäß § 44 a Abs. 2 Nr. 3 AufenthG geltend. Vielmehr begehrt sie lediglich eine vorübergehende Freistellung, die von der Vorschrift des § 44 a AufenthG nicht erfasst wird. Auch § 7 Abs. 2 IntV in der zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses geltenden Fassung verpflichtet lediglich zur unverzüglichen Anmeldung, nicht auch zur unverzüglichen Teilnahme. Letztere könnte auch mit dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbar sein. Dieses umfasst auch eine Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewählten Form (vgl. BVerfGE 99, 216 [234]; 105, 313 [354]). Nimmt der Staat ausländische Eltern aus Gründen der Verwirklichung besonderer Gemeinwohlbelange, hier der Integration in die Gesellschaft, in Anspruch, so hat er der Wahrnehmung und Ausübung des Elternrechtes Rechnung zu tragen. Diese grundsätzliche Verpflichtung hat in § 13 Satz 2 Nr. 2 IntV (a. F.), § 13 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 IntV (n. F.), wonach für Eltern, die aus familiären Gründen keinen allgemeinen Integrationskurs besuchen können, spezielle Kurse eingerichtet werden können, auch ihren besonderen Niederschlag gefunden. Soweit solche Kursangebote im Einzelfall nicht zur Verfügung stehen, muss sich eine stillende Mutter nicht auf eine Betreuung ihres Kindes durch Dritte verweisen lassen. Vielmehr ist sie in diesen Fällen – jedenfalls vorübergehend – von ihrer Teilnahmeverpflichtung freizustellen. Die Entscheidung der Mutter, in dieser wichtigen Lebensphase ganz für ihr Kind da zu sein, ist als Ausfluss des Elternrechts zu achten.

Welche konkreten Nachteile für die Integration der (weiteren) Kinder der Klägerin eintreten sollten, wenn diese erst nach Abschluss der Stillphase an einem Integrationskurs teilnimmt, ist auch unter Berücksichtigung des besonderen Interesses am Erwerb deutscher Sprachkenntnisse durch die Klägerin nicht ersichtlich. Jedenfalls wöge eine etwaige Integrationsverzögerung – sollte sie überhaupt eintreten und feststellbar sein – denkbar gering. Dabei verkennt der Senat nicht, dass sich die Situation einer Schwangerschaft oder einer Stillzeit bei der Klägerin auch in Zukunft erneut stellen könnte. Allerdings bleibt eine solche Betrachtung rein spekulativ; sie darf deshalb der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden. Aus den vorgenannten Gründen begegnet die angefochtene Entscheidung auch unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) Bedenken.