OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.05.2008 - 18 B 425/08 - asyl.net: M13531
https://www.asyl.net/rsdb/M13531
Leitsatz:

Die nach § 4 Abs. 3 StAG durch Geburt im Inland erworbene Staatsangehörigkeit entfällt mit Rückwirkung, wenn durch die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis eines Elternteils die Voraussetzungen dafür entfallen.

 

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, deutsche Staatsangehörigkeit, Entziehung, Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt im Inland, Rücknahme, Aufenthaltserlaubnis, Rückwirkung, Verfassungsmäßigkeit, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: StAG § 4 Abs. 3; GG Art. 16 Abs. 1; VwGO § 48 Abs. 1
Auszüge:

Die nach § 4 Abs. 3 StAG durch Geburt im Inland erworbene Staatsangehörigkeit entfällt mit Rückwirkung, wenn durch die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis eines Elternteils die Voraussetzungen dafür entfallen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die mit dieser allein angegriffene Feststellung des Verwaltungsgerichts, die deutsche Staatsangehörigkeit des Sohnes B. des Antragstellers sei durch die Rücknahme der erschlichenen Aufenthaltstitel des Antragstellers mit Rückwirkung entfallen, ist nicht zu beanstanden. Sie lässt sich ohne Weiteres bereits im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes treffen. Die Frage, ob der Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit aus Verfassungsgründen Bedenken unterliegt, ist gerade in der hier in Rede stehenden Fallgestaltung auch unter Berücksichtigung der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts, auf die die Beschwerde verweist, zu verneinen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 24. Mai 2006 (2 BvR 669/04 - InfAuslR 2006, 335) auf die gesetzgeberische Regelungsbedürftigkeit der – hier nicht in Rede stehenden – Aufhebung von Einbürgerungen sowie der Nichtigkeit von Einbürgerungsakten hingewiesen. Ferner hat das Bundesverwaltungsgericht – nach der Feststellung, § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG bilde grundsätzlich eine taugliche Grundlage für die Rücknahme von Aufenthaltstiteln auch dann, wenn die Rücknahme Auswirkungen auf die deutsche Staatsangehörigkeit eines Dritten habe – empfohlen, auch eine solche Fallkonstellation bei der bevorstehenden Befassung des Gesetzgebers mit staatsangehörigkeitsrechtlichen Fragen mit zu bedenken (vgl. Urteil vom 5. September 2006 - 1 C 20.05 -, AuAS 2007, 3).

Diese allgemeine Empfehlung kann jedoch nicht isoliert, sondern muss in Zusammenschau mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Beschluss vom 24. Oktober 2006 (2 BvR 696/04 -, InfAuslR 2007, 79) zum selben Komplex bewertet werden, welche dem oben genannten Urteil desselben Gerichts nachfolgt. Für den vorliegenden Fall entscheidend ist insoweit, dass – worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat – das Bundesverfassungsgericht in letzterer Entscheidung für Kinder im Alter des Sohnes B. des Antragstellers festgestellt hat, der Verlust der Staatsangehörigkeit sei verfassungsrechtlich unbedenklich, weil das davon betroffene Kind in einem Alter war, in dem es "normalerweise noch kein eigenes Bewusstsein" von seiner Staatsangehörigkeit und "kein eigenes Vertrauen auf deren Bestand entwickelt" habe (vgl. auch Senatsbeschluss vom 31. Juli 2007 - 18 A 2065/06 mit weiteren Nachweisen, juris).

Zwar lag dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Fallgestaltung zugrunde, dass das betroffene Kind die Staatsangehörigkeit infolge erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung einbüßte. Es ist indessen gerade aus der Sicht des die Staatsangehörigkeit erworben habenden Kindes und dessen Schutzbedürftigkeit auch im Hinblick auf Art. 16 Abs. 1 GG kein Grund ersichtlich, warum die genannte tragende Erwägung nicht in gleicher Weise in der hier in Rede stehenden Konstellation greifen sollte, in der das Kind die nach § 4 Abs. 3 StAG erworbene Staatsangehörigkeit rückwirkend verloren hat, weil die durch Täuschung erlangten Aufenthaltstitel seiner Eltern zurückgenommen worden sind. Im Hinblick auf die Vereinbarkeit der angegriffenen Maßnahmen mit Art. 16 Abs. 1 GG gilt mithin das Entsprechende für den am 21. September 2005 geborenen und damit noch nicht dreijährigen Sohn des Antragstellers, der aufgrund seines geringen Alters gleichfalls noch kein eigenes Bewusstsein von seiner Staatsangehörigkeit und kein eigenes Vertrauen auf deren Bestand erlangt haben wird.