VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 05.06.2008 - 2 K 1001/06.A - asyl.net: M13526
https://www.asyl.net/rsdb/M13526
Leitsatz:
Schlagwörter: Türkei, Widerruf, Asylanerkennung, Jesiden, Gruppenverfolgung, Verfolgung durch Dritte, mittelbare Verfolgung, Verfolgungsdichte, Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Gefahr für die Allgemeinheit, Straftat, Wiederholungsgefahr, PKK, Totschlag, Mitglieder, Religion, religiös motivierte Verfolgung, Religionsfreiheit, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Krankheit, Diabetes mellitus, medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, yesil kart, Grüne Karte
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1; GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 8; AufenthG § 60 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. b; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Die Voraussetzungen gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG für einen Widerruf der Asylanerkennung liegen vor.

Dass keine Gruppenverfolgung von Yeziden in der Türkei mehr gegeben ist, ist von der erkennenden Kammer im Anschluss an die Entscheidungen des OVG Münster (Urteil vom 14.02.2006 - 15 A 2119/02.A), des OVG Schleswig (Urteil vom 29.09.2005 - 1 LB 38/04) und das OVG Lüneburg (Urteil vom 17.07.2007 - 11 LB 332/03) in ständiger Rechtsprechung bestätigt worden (Urteil vom 14.09.2006 - 2 K 2819/05.A; Urteil vom 06.09.2007 - 2 K 2976/04.A; Urteil vom 26.11.2007 - 2 K 1413/04.A; Urteil vom 27.03.2008 - 2 K 1959/06.A).

Das Bundesamt hat den Widerruf zu Recht auch darauf gestützt, dass nachträglich individuelle Umstände eingetreten sind, die zu einer Versagung von Asyl und Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG hätten führen müssen. Denn im Falle des Klägers liegt der Ausschlusstatbestand des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG vor. Dieser führt nicht nur zum Wegfall des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG, sondern auch gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG zur Asylablehnung als offensichtlich unbegründet.

Der Kläger ist mit Urteil des Landgerichts Bremen vom 20.02.2003 (25 Ks 210 Js 37010/99) wegen Totschlags in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Dabei handelte es sich um ein Verbrechen (§§ 12 Abs. 1, 212 Abs. 1 StGB). Der Kläger bedeutet eine Gefahr für die Allgemeinheit, weil ein Wiederholungsrisiko bei ihm besteht, und er ist zugleich aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen.

Die seinerzeitige Straftat erfolgte auf Veranlassung der für Bremen zuständigen PKK-Führung. Der Kläger beteiligte sich an einer von dieser angeordneten Tötungsaktion gegen S. A. und A. D. ("Bunker-Mord").

Der Umstand, dass der Kläger sich von der regionalen PKK-Führung in eine brutale Tötungsaktion gegen kurdische Landsleute einbinden ließ, zeigt seine bedingungslose Treue zu dieser Organisation auf, die nach wie vor auf der Liste der terroristischen Organisationen der Europäischen Union steht (Beschluss des Rates der EU vom 12.12.2002 zur Durchführung von Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus) und sowohl in der Türkei als auch in Deutschland verboten ist.

Die PKK und von ihr beeinflusste Organisationen wenden Gewalt an, wenn es der Führung opportun erscheint. Eine bedingungslose Absage hinsichtlich gewaltsamer Aktionen gibt es nicht (VG Bremen, Urteil vom 19.05.2006 - 2 K 2650/04.A).

Der Einzelrichter ist nicht davon überzeugt, dass die Einbindung des Klägers in PKK-Strukturen und seine Bereitschaft, im Auftrag der PKK Gewaltaktionen durchzuführen, entfallen sind. Denn seine Angaben im Strafverfahren zeigen deutlich auf, dass er Anordnungen der PKK-Führungsebene akzeptierte und ausführte, auch wenn er Sinn und Grund solcher Anordnungen nicht verstand. Signifikant ist seine Einlassung im Strafverfahren, dass man die Oberen nichts fragen dürfe, sie schon gar nicht zur Rede stellen dürfe, die Oberen hätten immer höhere Gründe, sie hätten das Recht, über das Schicksal der Unteren zu bestimmen. Wer so denkt und sich in eine selbst gewählte Abhängigkeit zu PKK-Führern begeben hat, ist gefährlich im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Solange der Kläger sich nicht innerlich von der PKK vollständig abgewendet und dieses durch einen äußeren Bruch dokumentiert hat, ist davon auszugehen, dass er sich auch künftig von der PKK für Gewaltaktionen instrumentalisieren lässt. Eine Abkehr von der PKK ist aber weder vorgetragen noch ersichtlich.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AuslG kann nicht aus Art. 10 Abs. 1 b) Qualifikationsrichtlinie hergeleitet werden.

Schließlich besteht auch kein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Sowohl der beim Kläger vorliegende Diabetes mellitus als auch andere Krankheiten des Klägers sind in der Türkei behandelbar.